Michael Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh Wer suchet …

Wer suchet …

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Nicht schuldig. Was sonst. Seit Mittwoch vergangener Woche sitzen sie also wieder auf einer Anklagebank des Landesgerichts für Strafsachen Wien. Die früheren Vorstandsdirektoren der Bawag, deren Aufsichtsratspräsident a. D., ein Wirtschaftsprüfer – und natürlich Wolfgang Flöttl, von dem eigentlich niemand weiß, was genau er beruflich macht (er selbst scheint sich da auch nicht ganz sicher zu sein). Und wieder wollen sie versuchen, die gemeinsame Vergangenheit zu bewältigen – eine Komplizenschaft wider Willen.

Die Anklage lautet neuerlich auf Untreue respektive Beihilfe zu nämlicher. Die zweite Runde war notwendig geworden, nachdem der Oberste Gerichtshof Ende 2010 sieben der neun von Richterin Claudia Bandion-Ortner verhängten Urteile weitgehend gekippt und das Justizministerium eine Neuaustragung angeordnet hatte. Helmut Elsner dagegen bekam zehn Jahre rechtskräftig (wovon er viereinhalb Jahre abgesessen hat), Nachfolger Johann Zwettler deren fünf (wovon er keinen einzigen Tag abgesessen hat und auch nie wird – dafür ist er zu krank).

Schon der erste Prozesstag ließ erahnen, welche Richtung „Bawag II“ nehmen wird. Schuld am so genannten Karibik-Debakel der einstigen Gewerkschaftsbank war – erraten – Helmut Elsner. Und zwar nur er. Elsner soll seine Kollegen zunächst über Art und Umfang der Geschäfte mit Flöttl getäuscht und diese nach dem Eintreten der ersten Verluste – in Summe verpufften schlussendlich mehr als eine Milliarde Euro – auch noch in eine Art Geiselhaft genommen haben, um die Sache zu vertuschen. Wenn denn überhaupt einer überzuckerte, was da wirklich ablief, dann war es Elsners Nachfolger an der Bawag-Spitze, Johann Zwettler. So viel zur Zweitätertheorie. Nichts also, was die Öffentlichkeit nicht schon im Verlauf von „Bawag I“ gehört hätte.

Nun ist es das gute Recht jedes Beschuldigten, die eigene Verantwortung bei mutmaßlichen Straftaten kleinzureden oder rundheraus zu leugnen (Elsner und Zwettler sind vergleichsweise einfache Ziele, ihre Urteile sind ja bereits rechtskräftig). Es ist die Aufgabe der Justiz, der Schuldvermutung die Vermutung zu nehmen.

Und genau da hakte es schon bei Prozessbeginn vor nunmehr fünf Jahren.
Was hat Wolfgang Flöttl mit den ihm anvertrauten ­Bawag-Geldern wirklich gemacht? Verspekuliert, wie er in 117 Verhandlungstagen nie müde wurde zu beteuern? ­Zumindest teilweise gestohlen, wie Helmut Elsner bis heute bei jeder sich bietenden Gelegenheit proklamiert?

„Richter sind zur Wahrheitsfindung verpflichtet“, sinnierte Frau Bandion-Ortner einst in einem ORF-Interview während ihres Gastspiels als Justizministerin. Sind sie. Staatsanwälte übrigens auch. Doch genau das haben Bandion-Ortner und Anklagevertreter Georg Krakow damals sträflich unterlassen. Ungeachtet zahlreicher Ungereimtheiten bei Flöttls angeblichen Veranlagungen. Ungeachtet der Tatsache, dass Flöttl nie so mittellos war, wie er das erst die Bawag und später die Justiz glauben machte.

Dass Flöttl auch beim Auftakt von Bawag II jedwede ­Betrugs- oder Bereicherungshandlung nachdrücklich in Abrede stellte, ist, wie gesagt, sein gutes Recht. Das heißt nur eben nicht, dass es auch wahr ist.

Es wäre die Pflicht von Richterin und Staatsanwalt (den sie bekanntlich nach ihrem Eintritt in die Politik zu ­ihrem Kabinettschef beförderte) gewesen, den Verbleib des Bawag-Vermögens auf den Cent genau aufzuklären. Stattdessen wurde Wolfgang Flöttl aber wegen so genannter Beitragstäterschaft zur Untreue (der eigentliche Treulose war in dem Fall Elsner) der Prozess gemacht. Und bei Untreuedelikten geht es nur um den Schaden, nicht darum, was tatsächlich mit dem Geld geschehen ist. Anders bei Betrugsdelikten. Aber das hätte eben die lückenlose Rekonstruktion der Geschehnisse zwischen 1998 und 2000 vorausgesetzt. An einem Faktum kommt man nicht vorbei: Geld verschwindet nicht einfach – es wechselt lediglich den Besitzer.

So gesehen ist der erste Bawag-Prozess kolossal gescheitert. An sich selbst. Konsequenterweise wird auch dessen Fortsetzung dem Anspruch auf Wahrheitsfindung nicht gerecht werden. Der nunmehrige Richter Christian Böhm verhandelt de facto auf Grundlage derselben Anklageschrift, die schon 2007 vorlag. Böhms Engagement sollte jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch er sich nicht mit den Flöttl’schen Geldflüssen auseinandersetzen wird (bereits am zweiten Prozesstag Donnerstag vergangener Woche fasste Elsners frühere rechte Hand Peter Nakowitz eine dreijährige Haftstrafe aus, davon ein Jahr unbedingt. Nakowitz war schon in Zusammenhang mit der „Plastiksackerl-Affäre“ um Ex-Konsum-Chef Hermann Gerharter rechtskräftig zu 15 Monaten unbedingt verurteilt worden).

Nun drängt sich die Frage auf, ob Helmut Elsner einer Verurteilung wegen Untreue entkommen wäre, hätte die Staatsanwaltschaft Wolfgang Flöttl etwa als Betrüger entlarvt (was ihm hiermit auch nicht unterstellt sei). Vermutlich nicht. Schließlich hatte die Bawag den „Investmentberater“ auf Elsners Geheiß hin mit immer neuen Geldern versorgt, um dessen – vorgebliche – Verluste auszugleichen; à fonds perdu; ohne begleitende Kontrolle.

Hinter diesem Argument darf eine Justiz sich aber nicht verstecken, siehe Wahrheitsfindung. Denn das würde den unschönen (und leider nicht unberechtigten) Verdacht nähren, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wurde – und wird.

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Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.