Mit den Taliban reden

Abschiebungen sind nur einer von mehreren guten Gründen für Kontakte mit Afghanistans grausamen Herrschern.

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Die Aufregung hält an. Das österreichische Innenministerium schiebt straffällig gewordene Afghanen ab und kooperiert dabei mit dem dortigen Regime – den islamistischen Taliban. Zuletzt waren mutmaßlich niederrangige Vertreter des Taliban-Regimes zu einem Arbeitsbesuch im Innenministerium in Wien zu Gast. SPÖ und Grüne protestierten und wiesen darauf hin, dass das Taliban-Regime von den Vereinten Nationen nicht als legitime Regierung Afghanistans anerkannt werde und man sich „mitschuldig an seiner menschenverachtenden Politik“ mache, wenn man die Taliban empfange. Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) sagte am Mittwoch im „ZIB 2“-Interview, sie spreche anstatt mit den Taliban mit der – von den Taliban nicht anerkannten, aber offiziell legitimen – Botschafterin Afghanistans in Wien. Damit signalisiere sie „Solidarität für die Frauen und Mädchen in Afghanistan“, so Holzleitner.

War das Treffen mit den Taliban ein schwerer Fehler? Nimmt Österreich mit einem international geächteten Regime auf verantwortungslose Weise Kontakt auf?

Die Empörung basiert auf mehreren Irrtümern. Der erste besteht darin, zu glauben, Österreich habe eine internationale Kontaktsperre durchbrochen. Tatsächlich hat die Europäische Union im September den französischen Diplomaten Gilles Bertrand zum Sondergesandten für Afghanistan ernannt. Dessen erste Amtshandlung war eine sechstägige Reise in die afghanische Hauptstadt Kabul, um den Vize-Premier, mehrere Minister des Taliban-Regimes und auch Vertreter – und Vertreterinnen – der Zivilgesellschaft zu treffen.

Der zweite Irrtum besteht in der Annahme, solche Zusammenkünfte bedeuteten eine Anerkennung der Taliban als offizielle Regierung. Das Regime gilt als „De-facto-Machthaber“ und wird auch so behandelt.

Der dritte Irrtum besteht in der Vorstellung, man könne der afghanischen Bevölkerung – und besonders Frauen und Mädchen – am besten helfen, indem man jegliche Beziehung zu den Taliban verweigert. „De-facto-Machthaber“ heißen so, weil sie die Macht im Land innehaben. Das Taliban-Regime missbraucht seine Macht, um Frauen im Namen einer extremen Auslegung der islamischen Scharia massiv zu diskriminieren. Doch jegliche Kommunikation mit den Taliban zu verweigern, hilft den Frauen nicht.

Mit Schweigen ist niemandem geholfen.

In der Praxis ist das auch gar nicht möglich. Wer wie die EU seit 2021, als die Taliban die Macht übernahmen, humanitäre Hilfe im Wert von 1,8 Milliarden Euro leistet, muss mit den Behörden kooperieren. Der Sondergesandte Bertrand versucht den Taliban klarzumachen, dass die EU die Bevölkerung unterstützt und dass die diskriminierenden Scharia-Gesetze Hilfe schwieriger machen. Nach dem gewaltigen Erdbeben in der Provinz Kunar am 31. August konnten viele Frauen nicht gerettet werden, weil es männlichen Helfern untersagt ist, Frauen zu berühren.

Der vierte Irrtum besteht in der Überzeugung, Europa könne die Taliban zu politischen Änderungen zwingen, weil Afghanistan dringend Hilfe benötigt, Europa aber in Afghanistan selbst keine Interessen habe. Wahr ist, dass das bettelarme Land am Hindukusch vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch steht, auch weil in den vergangenen zwei Jahren insgesamt vier Millionen Afghanen aus Pakistan und dem Iran zurück in ihr Heimatland deportiert wurden. Dass Europa humanitäre Unterstützung leistet, ist allerdings nicht gänzlich selbstlos: Eine neuerliche Fluchtwelle aus Afghanistan soll verhindert werden.

Europa hat weiters ein dringendes Interesse daran, dass die Taliban die Terrororganisation „Islamischer Staat in der Provinz Khorasan“ (ISPK) bekämpfen. Der ISPK, der in Konkurrenz zu den Taliban steht, wurde zum Beispiel als Drahtzieher hinter dem vereitelten Anschlag auf den Wiener Stephansdom im Dezember 2023 vermutet.

Schließlich die Abschiebungen. Österreich und andere EU-Staaten verfolgen das berechtigte Ziel, Gewaltverbrecher afghanischer Herkunft rückzuführen. Dabei muss garantiert sein, dass es sich nicht um potenzielle Verfolgungsopfer wie etwa ehemalige Angehörige der afghanischen Nationalarmee handelt.

Es gibt viel Gesprächsstoff mit den Taliban, mit Schweigen ist niemandem geholfen.

Robert Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur