Rainer Nikowitz: Spitzfindigkeiten

Bundeskanzler Kurz findet, dass im Moment das Recht der Politik zu folgen habe. Darüber muss man reden. Auch in einem nie geführten Interview.

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profil: Herr Bundeskanzler, darf ich Sie etwas fragen? Kurz: Das kommt darauf an.

profil: Worauf? Kurz: Ob mir die Frage gefällt.

profil: Das kann ich leider nicht versprechen. Kurz: Jetzt ist aber nicht die Zeit für journalistische Spitzfindigkeiten. Das sehen im Übrigen auch viele Ihrer verantwortungsbewussten Kollegen so, die sich offenbar wesentlich mehr dem großen Ganzen verpflichtet fühlen als Sie. Wenn Ihnen die „Krone“ draufkommt, dass Sie mir eine blöde Frage gestellt haben, werden Sie mindestens in einem Brief vom Jeannée rituell abgewatscht.

profil: Wär nicht das erste Mal. Und, wie soll ich sagen: Die deutsche Sprache verfügt über keinen Ausdruck, mit dem ich genau beschreiben könnte, wie unfassbar wurscht das ist. Kurz: Darüber hinaus haben wir aber auch schon eine entsprechende Verordnung in Ausarbeitung, in der festgelegt werden soll, welche Art von Fragen im Moment der Volksgesundheit abträglich sind.

profil: Die würde vor dem Verfassungsgerichtshof niemals halten. Und das wissen Sie auch. Kurz: Natürlich. Aber bis der das fertig überprüft hat, gilt sie eh nicht mehr.

profil: Womit wir glücklich wieder bei der Frage gelandet wären, die ich eingangs stellen wollte. Denn genau das haben Sie ja auch zur Prüfung des gesamten bisherigen Corona-Regelwerks gesagt: Sie haben ausgeschlossen, dass daran etwas eändert wird. Und der Verfassungsgerichtshof dürfe ja alles von Ihnen aus gerne überprüfen … Kurz: Was ich eigentlich recht großzügig von mir finde!

profil: … aber bis der eventuell zu dem Schluss komme, dass da einiges wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben werden müsse, würde das ohnehin alles nicht mehr gelten. Kurz: Eh nicht. Also wo ist das Problem?

profil: Ex-Justizminister Clemens Jabloner – ein Mann, den man wohl schwerlich unter „Fundamentalopposition“ einordnen kann – meinte dazu: „Das Setzen von Rechtsakten ist ja kein Gesellschaftsspiel.“ Kurz: Selbstverständlich ist das Fundamentalopposition!

profil: Wieso? Kurz: Na, weil der einfach so zurückredet!

profil: Unerhört! Kurz: Dabei verschließe ich mich Kritik ja gar nicht. Nicht einmal innerparteilich.

profil: Da könnte man aber mitunter einen anderen Eindruck gewinnen. Kurz: Wenn ich meiner Partei etwas vorschlage, gibt es alle möglichen Reaktionen.

profil: Tatsächlich? Keine Einhelligkeit? Kurz: Nein! Zwischen stummem Abnicken und frenetischer Begeisterung ist da alles dabei.

profil: Sie haben es echt nicht leicht. Kurz: Aber ich reagiere sicher nicht auf Zurufe von Ex-Ministern, die damals nicht einmal vom Volk gewählt worden sind.

profil: Kein Minister wird vom Volk gewählt. Kurz: Schon wieder so eine Spitzfindigkeit!

profil: Außerdem war Jabloner ja in erster Linie Präsident des Verwaltungsgerichtshofs. Kurz: No, da hamma’s ja. Verwaltung! Wir reden doch aber über die Verfassung. Ich habe da meine eigenen Experten.

profil: Das fällt auch auf. Experten in welchem maßgeblichen Fach auch immer, die Zweifel an irgendeiner Corona-Maßnahme anmelden, werden im günstigen Fall einfach nicht angehört. Oder sie bekommen gleich die Höchststrafe und sind ab sofort „sogenannte Experten“. Kurz: Sagen Sie, worüber reden wir da eigentlich? Schauen Sie sich doch die Zahlen an.

profil: Wir stehen mit unseren Krankheitszahlen mittlerweile zweifellos sehr gut da. Das bestreitet auch überhaupt niemand. Kurz: Ich hab eigentlich meine Umfragewerte gemeint. Aber, wenn Sie es schon ansprechen …

profil: Im Großen und Ganzen hat die Regierung eh einen guten Job gemacht. Und Sie selbst als ernster, über allem schwebender Mahner durchaus auch. Kurz: Na bitte!

profil: Wobei ich einräumen muss: Wenn ich Innenminister Nehammer nur noch ein einziges Mal mehr die Phrase „Corona-Partys! Schon alleine der Begriff ist an Schwachsinnigkeit nicht mehr zu überbieten!“ knurren gehört hätte – dann hätte ich möglicherweise schon allein deshalb eine veranstaltet. Kurz: Dann hätte er Sie aber gehabt am Krawattl!

profil: Und der – dann eh zurückgezogene – „Oster-Erlass“, der quasi polizeiliche Maßnahmen in jedem x-beliebigen Wohnzimmer erlaubt hätte, war natürlich auch ein Witz. Ebenso wie die angedachte Verpflichtung zur Verwendung der Corona-App. Da war Ihnen der Widerstand dann auch zu groß. Über gewisse Dinge muss man eben diskutieren. Oder von mir aus auch streiten. Und zwar nicht „auch jetzt“ – sondern gerade jetzt. Kurz: Muss man nicht. Der Zweck heiligt die Mittel. Lao-Tse, glaub ich.

profil: Klingt mehr nach Mao-Tse. Tung. Kurz: Mit dem habe ich nun aber wirklich nichts am Hut.

profil: Das wird an sich niemand bezweifeln. Aber da fällt mir ein anderer Name ein: Viktor Orbán. Haben Sie sich in der Zwischenzeit schon mit dem befasst, was der getan hat? Kurz: Dafür habe ich leider immer noch keine Zeit gehabt.

profil: Andere haben die durchaus gefunden. Die EU-Kommissionspräsidentin zum Beispiel. Kurz: Die hat ja auch sonst nichts zu tun.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort