Der China-Deal der Westbahn: Wer kann den Zug aufhalten?

Warum die Anschaffung chinesischer Bahngarnituren durch die Westbahn bedenklich ist.

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In dem fingernägelvernichtenden Thriller „Unstoppable – Außer Kontrolle“ des Regiemeisters Tony Scott setzt sich ein mit giftigen Chemikalien beladener Güterzug in Bewegung und rast unbemannt auf ein Treibstofflager zu. Wird Denzel Washington die Katastrophe verhindern?

Es ist schrecklich unfair, diesen Plot mit den neuen Zuggarnituren der Westbahn in Verbindung zu bringen, denn diese haben alle Sicherheitstests bestanden, können demnach unmöglich von selbst lostschuttern, und außerdem werden sie nicht mit Gift beladen, sondern mit harmlosen Wien-Salzburg-Wien-Fahrgästen wie unsereiner.

Und dennoch wird einigen Leuten mulmig zumute, wenn die neuen Züge durch unsere Landschaft flitzen. Die schicken Doppelstockgarnituren wurden nämlich von einem chinesischen Unternehmen produziert, und das besorgt Mobilitätsminister Peter Hanke (SPÖ), die Gewerkschaft und auch die europäische Bahnindustrie. Ihre Befürchtungen: unfaire Konkurrenz und der Verlust von Arbeitsplätzen. Handelt es sich da bloß um die üblichen protektionistischen Reflexe und die maßlose Überschätzung eines vergleichsweise überschaubaren Deals?

Dagegen spricht, dass die „Global Times“, eine Zeitung der Chinesischen Kommunistischen Partei, dem Westbahn-Deal tatsächlich ihren Kommentar des Tages widmete und ihn eine „richtungsweisende Entwicklung“ nannte. Und auch wenn die „Global Times“ ein Propaganda-Organ der KP ist – in diesem Fall hat sie recht. Der chinesische Zug war – metaphorisch gesprochen – sehr lange unterwegs, ehe er in Österreich auf die Gleise gehoben wurde.

Angesichts billiger, bequemer, toller Doppelstockgarnituren tut sich die Politik schwer einzugreifen.

Alles begann im Jahr 2015, als unter Staatspräsident Xi Jinping die Strategie „Made in China 2025“ verlautbart wurde. Darin definierte die politische Führung zehn Schlüsselindustrien, in denen China Weltmarktführer werden soll, darunter: die Eisenbahnproduktion. Im selben Jahr wurden die beiden größten staatseigenen Unternehmen in diesem Bereich zum riesigen Konzern „China Railway Rolling Stock Corporation“ (CRRC) fusioniert.

Die europäischen Schienenfahrzeughersteller Siemens (Deutschland) und Alstom (Frankreich) sahen sich plötzlich einem Giganten gegenüber, der mithilfe enormer staatlicher Subventionen und dank des chinesischen Binnenmarktes ebenso innovativ wie kostengünstig wirtschaften konnte. Daraufhin beschlossen Siemens und Alstom, ebenfalls zu fusionieren, um in derselben Liga wie CRRC zu spielen, doch die Europäische Kommission untersagte diesen Deal im Jahr 2019 in letzter Minute. Ihr Argument: Im Bereich der Hochgeschwindigkeitszüge sei es „höchst unwahrscheinlich“, dass ein neuer Mitbewerber aus China „in absehbarer Zukunft“ den Wettbewerb behindern könnte. Heute kann man sagen: Die Europäische Kommission irrte.

Mittlerweile drängt CRRC weltweit in alle Märkte – und stößt dabei auf viele Hindernisse: Das US-Verteidigungsministerium bezeichnete CRRC als potenzielle Gefahr für die Cyber-Sicherheit, und im Juli dieses Jahres beschlagnahmten US-Behörden U-Bahn-Garnituren wegen des Verdachts, bei der Herstellung könnte Zwangsarbeit zum Einsatz gekommen sein. Vorwürfe, die CRRC allesamt zurückweist. Immer wieder gelingt es dem chinesischen Konzern, Aufträge an Land zu ziehen, weil seine Züge kostengünstiger sind, qualitativ tadellos und meist schneller lieferbar als die der Mitbewerber.

Letztere glauben zu wissen, woran das liegt: an den Ressourcen, die CRRC dank staatlicher Stützung zur Verfügung stehen. Als CRRC an einer Ausschreibung für die Lieferung von U-Bahn-Zügen in Portugal teilnahm, eröffnete die EU-Kommission eine Untersuchung wegen des Verdachts unerlaubter Subventionen. Im Jahr davor geschah dasselbe, als CRRC sich in Bulgarien um den Auftrag für E-Züge bewarb. Sobald die EU-Kommission tätig wurde, zog sich der chinesische Konzern als Bieter rasch zurück.

Jetzt aber hat es für CRRC auf europäischem Boden geklappt, und das macht den Deal mit der Westbahn so bedeutsam – und bedenklich. Selbst das britische Magazin „The Economist“, das nicht im Verdacht steht, Protektionismus gutzuheißen, schreibt, wenn es Beweise für marktverzerrende Subventionen aus China gebe, seien „Gegenmaßnahmen gerechtfertigt und notwendig“. Doch angesichts billiger, bequemer, toller Doppelstockgarnituren tut sich die Politik schwer. Der Zug scheint nicht mehr aufzuhalten.

Und wo ist Denzel Washington?

Robert Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur.