Robert Treichler

Robert Treichler: Oh nein, Joe!

Wie US-Präsident Biden in ein Debakel geschlittert ist und wie er – vielleicht – wieder herauskommen kann.

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Ich fürchte, ich habe mich getäuscht. Im Jänner 2020 gaben der langjährige profil-Kommentator Georg Hoffmann-Ostenhof und ich jeweils eine Wahlempfehlung ab. Es ging damals darum, wer für die Demokraten gegen den regierenden US-Präsidenten Donald Trump antreten sollte. Mein Text trug den Titel „Vote for Biden!“, der von Hoffmann-Ostenhof „Vote for Sanders!“. Biden ging schließlich als Sieger aus den Vorwahlen hervor und kickte am 3. November 2020 Donald Trump aus dem Amt. So weit sollte ich recht behalten. Und dennoch war meine Einschätzung im Wesentlichen falsch.

Mein Argument für Biden lautete nämlich, dass er unter allen Kandidatinnen und Kandidaten die beste Antithese zu Donald Trump sei und kraft seiner Bodenständigkeit das zerrüttete Verhältnis zwischen weiten Teilen der Gesellschaft wiederherstellen könne. Jetzt, nach dem ersten Jahr von Bidens Amtszeit, herrscht seltene Einigkeit bezüglich der Bilanz des Präsidenten: Es ist ein Desaster.

Die größten Gesetzesvorhaben der Regierung landen in der Tonne, weil sie keine Mehrheit kriegen. Biden hatte im Wahlkampf damit geworben, dass er es als Senator verstanden habe, über Parteigrenzen hinweg Kompromisse auszuhandeln. Dieses Versprechen löst er bisher nicht ein. Schlimmer noch: Die Demokraten schaffen es nicht einmal, die eigene Mehrheit im Senat beisammen zu halten, regelmäßig fehlen die Stimmen zweier Abtrünniger.

Bidens eigene Partei sorgt verlässlich für ein kommunikatives Debakel.

In der abgelaufenen Woche, exakt ein Jahr nach der Angelobung des Präsidenten, war es wieder einmal so weit: Die Wahlrechtsreform scheiterte an den Gegenstimmen der Republikaner, und beim Antrag auf Änderung der Abstimmungsregeln im Senat stimmten zwei Demokraten dagegen. Flop. Flop.

Biden ist bei der Regierungsarbeit ähnlich erfolgreich wie Novak Djoković bei der Einreise nach Australien. Nun müsste man sich deshalb nicht groß den Kopf zerbrechen, schließlich können Regierungen versagen, und dann werden sie eben bei nächster Gelegenheit in die Opposition geschickt. Bloß: Am 5. November 2024 wird ein neuer US-Präsident oder eine Präsidentin gewählt, und ein gewisser Donald T. hat sich den Tag im Kalender rot angestrichen. Joe Bidens Eintrag im Buch der Geschichte könnte nach einer völlig verkorksten Amtszeit in etwa so lauten: Erst besiegte er Donald Trump, danach ebnete er ihm den Weg zurück ins Weiße Haus.

Deshalb lauten die entscheidenden Fragen: Was macht Biden falsch? Und: Sind die USA noch zu retten?

Klar ist, dass sich Biden einer Republikanischen Partei gegenübersieht, die immer noch an Trump und dessen wüster Weltsicht festhält. Von ihr ist kaum mehr als politische Destruktivität zu erwarten. Ist der Präsident also ein Opfer der verantwortungslosen Opposition? Das wäre zu einfach. Biden hat die Möglichkeit, Gesetzesvorschläge in den Kongress zu bringen, die nicht so einfach abgelehnt werden können, ohne dass sich die Opposition selbst schadet. Doch genau das gelingt ihm nicht.

Sein Vorzeigeprojekt, das sozial- und klimapolitische Investitionsprogramm „Build Back Better“ hätte das Potenzial, vom Volk ersehnt zu werden. Stattdessen wird es von der eigenen Partei runtergemacht. Der progressive Flügel um Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez findet es zu mickrig, den antilinken Abgeordneten Joe Manchin und Kyrsten Sinema ist es zu bombastisch. Resultat: Im Dezember sprachen sich in einer Umfrage lediglich 41 Prozent der Befragten für eine bereits auf zwei Billionen abgespeckte Version aus.

Barack Obama hätte „Build Back Better“ mit zwei, drei aufwühlenden Reden zu einem Anliegen der Herzen gemacht, dem sich (im besten Fall) die Mehrheit angeschlossen hätte – ähnlich wie bei seinem Krankenversicherungsprogramm „Obamacare“. Biden fehlen die politische Kraft und die rhetorische Gabe, er probiert es lieber mit Hinterzimmerdiplomatie – und strauchelt. So macht es der Präsident den Republikanern sehr leicht, sich querzulegen, und die eigene Partei sorgt verlässlich für ein kommunikatives Debakel.

Dazu kommt, dass der ideologisch in der Mitte stehende Pragmatiker Biden ein Gesetzesvorhaben ins Zentrum gestellt hat, zu dem ihn die Partei, die insgesamt nach links gerückt ist, gedrängt hat. Er vertritt es mehr schlecht als recht. Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung mehrheitlich viel mehr an den aktuellen Problemen der Pandemie-Bekämpfung und der Inflation interessiert ist. Doch diese Themen eignen sich nicht für die große Erzählung eines neuen „New Deals“, und genau das – eine Vergrößerung des staatlichen Einflusses in wichtigen Lebensbereichen – ist die derzeit vorherrschende Motivation der Demokratischen Partei. Kurz: Die Lage ist verkorkst.

Kann Biden seine Präsidentschaft aus dem Sumpf ziehen? Es wird nicht leicht, vor allem, weil die Kongresswahlen im Herbst die Lage der Demokraten voraussichtlich noch schwieriger machen werden. Biden muss den Anspruch, ein neuer Franklin D. Roosevelt zu werden, rasch entsorgen und stattdessen als Joe, der Pragmatiker, so hemdsärmelig an die akuten Probleme herangehen, wie ihm das charakterlich am ehesten liegt.

Ist ihm ein solcher Neustart zuzutrauen? Nun, wenn Sie jemandem Glauben schenken wollen, der sich bereits einmal arg geirrt hat: Ja.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur