Robert Treichler: Ohne Worte

Die Fahne Israels zu hissen, war gut gemeint, aber ein Fehler.

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Eine Fahne zu hissen, ist so ziemlich die älteste noch gebräuchliche Methode, seine Zugehörigkeit zu zeigen. Dieser Akt hat der Tendenz zur Digitalisierung widerstanden, und das hat einen simplen Grund: Es ist ein unübertreffbar starkes Symbol, sein Haus zu beflaggen; Farbe zu bekennen; Flagge zu zeigen. Vergangenen Freitag setzten Bundeskanzler Sebastian Kurz und Außenminister Alexander Schallenberg ein solches Zeichen. Sie ließen auf dem Bundeskanzleramt und dem Außenministerium die israelische Flagge aufziehen.

Das Stück Stoff mit dem blauen Davidstern auf weißem Grund zwischen zwei blauen Streifen, das auf den beiden österreichischen Regierungsgebäuden wehte, entfachte enorme Wirkung. Und naturgemäß sehr gespaltene Reaktionen, wie alles, was mit dem Nahostkonflikt zusammenhängt.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bedankte sich bei „Kanzler Kurz und dem Volk Österreichs“ in einem Tweet; Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif hingegen sagte einen für vergangenen Samstag geplanten Besuch empört ab; der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan „verfluchte den österreichischen Staat“.

Der Zorn von Zarif und Erdoğan braucht uns nicht zu beeindrucken, die beiden sind im Nahostkonflikt parteiisch und offen israelfeindlich – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.

Die Gefahr einer ernsthaften Kritik der Symbolpolitik von Kurz und Schallenberg besteht – wie so oft im Nahostkonflikt – darin, mit den falschen Leuten in eine Ecke gestellt zu werden. Und dennoch: Ich halte das Hissen der Israelfahne für gut gemeint, aber für nicht durchdacht und deshalb für falsch.

Das Motiv von Kanzler und Außenminister ist ehrbar: Israel wird von einem Raketenhagel der Hamas terrorisiert, unbeteiligte Bürger werden dabei getötet. Der Angriff der radikal-islamistischen Terrororganisation – die nicht nur eine Terrororganisation ist, aber eben auch – auf den jüdischen Staat ist bedrohlich, zumal es die Hamas nicht nur auf Menschenleben abgesehen hat, sondern gemäß ihrer Ideologie auf die Existenz des Staates Israel. In dieser Situation stellen sich Kurz und Schallenberg – und kraft ihrer Funktionen die Republik Österreich – eindeutig auf die Seite Israels. Wo ist das Problem?

Das beginnt mit der schrecklich banalen, grausamen Ebene der Kriegsopfer. Es stehen einander zwar militärisch die Hamas und die israelischen Streitkräfte gegenüber, aber das ist nur ein Teil der Realität. Da sind auch die Toten von Gaza. Unter den mehr als 200 Kriegsopfern auf palästinensischer Seite sind nach Angaben der dortigen Behörden mehr als 60 Kinder. Das Symbol der gehissten Israelfahne bedenkt nur Israel und seine Bürger als Opfer der Hamas, nicht aber palästinensische Opfer, die mit der Hamas nichts zu tun haben.
Das ist herzlos.

Die Vereinfachung durch die Fahnensymbolik ist zudem geschichtslos. Der Nahostkonflikt hat nicht mit den Raketen der Hamas begonnen. Es ist ein jahrzehntelanger, unendlich komplexer Streit zwischen Juden und Palästinensern um ein Land, das beide – zumindest teilweise – beanspruchen. In dieser langen Zeit sind aufseiten der Palästinenser und aufseiten Israels schreckliche Dinge passiert. Jetzt einen Moment herauszugreifen und alles andere auszublenden, bedeutet eine Missachtung dieser Historie und auch der gegenwärtigen Situation.

Die Fahne ist auch politisch ein irreführendes Signal. Kurz und Schallenberg können nicht verhindern, dass die Fahne viel mehr aussagt, als sie das wollten, nämlich: Israel ist im Recht, die Palästinenser sind im Unrecht. Dem entgegen steht, dass Österreich – auch als Teil der EU – berechtigte Anliegen beider Seiten anerkennt, ebenso wie Hindernisse, die beide Seiten dem Friedensprozess in den Weg stellen. Allein der Ausgangspunkt der jüngsten Eskalation, die Androhung der Delogierung palästinensischer Familien in einem Viertel von Ost-Jerusalem, rief die EU auf den Plan, die an Israel die Forderung richtete, diese Entscheidung zu revidieren.

Österreich ist längst kein Friedensvermittler im Nahen Osten mehr, aber das entbindet uns nicht von Fairness und Ausgewogenheit. Nicht zwischen Israel und der Hamas, aber zwischen Israel und den Palästinensern.
Schließlich ist das Hissen der Fahne auch diplomatisch ein Schnitzer.

Außenminister Schallenberg ist als Politiker für eindeutige Ansagen bekannt. Das ist oft wohltuend. Er laviert nicht, wenn es etwa um die Frage geht, wer Europas wichtigster Verbündeter ist: die USA, wer sonst? Im aktuellen Fall jedoch zeigen andere Regierungen, wie wichtig diplomatische Nuancen sind. So gut wie alle westlichen Staats- und Regierungschefs bekräftigten das Recht Israels, sich zu verteidigen, doch sie alle fügten dieser Deklaration etwas hinzu: US-Präsident Joe Biden etwa unterstrich „das Bekenntnis, die US-palästinensische Partnerschaft zu verstärken“; Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mahnte zu einer „raschen Rückkehr zum Frieden“, und beide telefonierten sowohl mit Israels Premier Netanjahu als auch mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

Schallenberg schob nach dem Hissen der Fahne erst am Sonntag erklärende Worte hinterher. Da hatte die Fahne ganz ohne Worte längst alles gesagt.

 

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur