Kommentar

Putin verliert

Und mit ihm alle Autokraten.

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Die Geschichte beginnt Wladimir Putin zu überholen. Die Rückschläge auf dem Schlachtfeld in den vergangenen Wochen hatten ihm die Dringlichkeit vor Augen geführt, den Kurs zu ändern und von seinem Eroberungsfeldzug abzulassen. Doch er lenkte nicht ein. Stattdessen will er jetzt noch mehr seiner Landsleute in einen grausamen, sinnlosen Krieg schicken. Und er droht der Welt mit einem Atomschlag.

Es zeichnet sich ab, dass der Autokrat im Kreml nichts von dem, was er gewaltsam anstrebte, erreichen wird. Die Ukraine wird ein demokratischer, prowestlicher Staat bleiben und irgendwann der EU beitreten. Sie ist zudem drauf und dran, ihr Staatsgebiet zurückzuerobern. Die territorialen Gewinne, die Russland am Ende verzeichnen könnte, werden, wie es aussieht, minimal sein – vielleicht auch inexistent.
Niemand konnte den Kriegsverlauf vorhersehen, als die russische Invasion am 24. Februar dieses Jahres begann. Kurz schien es so, als könne Russland einen schnellen Sieg erringen.

Doch etwas sprach immer dagegen, dass jemand wie Wladimir Putin langfristig Erfolg hat. Zwei Tage nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine schrieb ich im profil-Leitartikel: „Glücklicherweise hat die Autokratie einen inhärenten Haken. Autokraten sind, weil sie ohne Opposition, ohne politischen Wechsel und damit ohne Kontrolle und Gegengewicht agieren, fehleranfällig, rücksichtslos und deshalb am Ende verhasst.“

Rücksichtslos war allein schon der als „Spezialoperation“ getarnte Überfall auf die Ukraine. Als fehleranfällig erwies sich die gesamte Kriegsstrategie Putins, militärisch ebenso wie ökonomisch. Und verhasst ist Russlands Präsident spätestens seit der ausgerufenen Teilmobilisierung, mit der er weitere Hunderttausende Männer in den Krieg schicken will.
Wer protestiert, wird verhaftet. Eine Anti-Kriegspartei darf es nicht geben. An eine Abwahl Putins ist nicht zu denken. Solange ihm nach Krieg ist, solange wird gekämpft und gestorben. So funktioniert eine Autokratie, und so rennt sie unweigerlich in ihr Verderben.

So funktioniert eine Autokratie, und so rennt sie unweigerlich in ihr Verderben.

Das geht auch die anderen Autokraten etwas an. China will eine Führungsrolle in der Welt spielen, doch es hat sich seit Kriegsbeginn geweigert, die russische Invasion zu verurteilen, und stattdessen dem Westen die Schuld gegeben. Wie ist das mit den „Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz“, der Grundlage der chinesischen Außenpolitik, vereinbar? Putin hat mit seinem Einmarsch gegen jeden einzelnen Punkt verstoßen. Seit dem 24. Februar gilt stattdessen das Prinzip: „Ein Autokrat hackt dem anderen kein Auge aus.“

Während die Polizeikräfte in Russland alle Hände voll zu tun haben, Kriegsgegner zu verhaften, jagen die Sicherheitskräfte im Iran Demonstranten, die seit dem Tod einer von der Sittenpolizei festgenommenen Frau auf die Straße gehen. WhatsApp und Instagram wurden gesperrt, Routinemaßnahmen in einer (in diesem Fall angeblich von Gott gewollten) Autokratie.

Auch der Iran hält Russland vor allem wirtschaftlich die Stange. Kürzlich hat das Nationale Iranische Ölunternehmen einen Kooperationsvertrag mit der russischen Gazprom geschlossen.

Vieles eint die Autokraten. Die Missachtung der Menschenrechte, die Unterdrückung  demokratischer Willensbildung, individuelle Freiheit. Doch jetzt geht es für die Regime in Peking, Teheran und einige mehr darum, nicht mit einem Mann in einem Boot zu sitzen, der damit droht, das Tabu des Einsatzes von Atomwaffen zu brechen. Dieses gilt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und ist einer der wesentlichen Pfeiler der globalen Sicherheit.

Auch Autokraten, die das westliche System verachten, müssen den Zusammenbruch der Sicherheitsarchitektur fürchten. Und wenn sie von einem der Ihren bedroht wird, ist das nicht bloß peinlich, sondern es fällt in ihre Verantwortung. Die chinesische Führung rückte zuletzt immer mehr von Putin ab. Doch zu einer deutlichen Aufforderung an Moskau, aus der Ukraine abzuziehen, kann sich Peking bisher nicht durchringen.

Jene verbliebenen Mächte, die Putins Vorgehen bisher nicht verurteilt haben, spielen eine Schlüsselrolle in diesem Krieg. Kehren sie Putin endgültig den Rücken zu, ist er verloren.
Es macht wohl wenig Sinn, wenn der Westen sie darum bittet. Sie werden den USA bestimmt keinen Gefallen tun wollen. Allerdings sollte man ihnen klarmachen, dass es zusehends in ihrem eigenen Interesse liegt, nicht als Wladimirs Kumpel des Jahres 2022 im Buch der Geschichte vermerkt zu werden. Sie tragen eine globale Verantwortung.

Das sich abzeichnende Desaster des Wladimir Putin kann auch auf das allgemeine politische Klima ausstrahlen. Es ist nicht so lange her, dass autoritäre Regime plötzlich ein wenig hip schienen. Dank – angeblicher – wirtschaftlicher Erfolge und – ebenso angeblicher – toller Resultate in der Pandemie-Bekämpfung. Ein gewisser Donald Trump und seine Anhängerschaft konnten sich auch für das virile Talent Wladimir Putins erwärmen.

Ist da noch jemand, der diese Position weiterhin vertreten möchte? 

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur