Robert Treichler
Leitartikel von Robert Treichler

Suchen Sie Streit?

profil liebt seine Gegner. Seit 2500 Ausgaben.

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2500 profil-Ausgaben also. Keine Angst, Eigenlob paart sich allzu gern im flotten Dreier mit Humorlosigkeit und Unfähigkeit zur Selbstkritik und ist deshalb keine gängige Textsorte in profil. Dabei hilft eine überlieferte Maxime der Redaktion: Wir nehmen das, was wir machen, sehr ernst, uns selbst aber deutlich weniger.

Es wäre nicht nur viel zu einfach, sich in den hellen Schein von 2500 lichten oder mindestens halblichten Momenten zu stellen und loszuschwadronieren, wie toll wir die Aufdeckergeschichten hingekriegt und den Mächtigen ans Bein gepinkelt haben; es wäre auch langweilig. Viel anregender ist es, eine Besonderheit zu beleuchten, die profil ausmacht und immer schon ausgemacht hat: profil stört; profil nervt; profil ist viel zu links/rechts/neoliberal/woke/grün/negativ/… / … / … / (In die freien Stellen bitte Grant jeder Art einfügen, den profil bei Ihnen hervorruft.)

Mit das Wichtigste an profil sind nämlich die Personen und Gruppen, mit denen unser Magazin Woche für Woche und manchmal über viele Jahre in Konflikt gerät. Diese Konflikte suchen und provozieren wir, und zwar nicht, weil wir streitsüchtig wären (höchstens ein bisschen), sondern deshalb, weil dahinter die Bruchlinien unserer Gesellschaft schlummern.

Jahrzehntelang waren die Gegner, an denen wir uns – und die sich wiederum ihrerseits an uns – abarbeiteten, die mächtigen Institutionen in dieser Republik: die Parteien; die katholische Kirche; die Institutionen der Obrigkeit, ihre einzementierten Machtstrukturen und verlogenen Vergangenheitsmythen. Für sie war profil eine lästige Fliege, ein Stein im Schuh, und die jeweiligen Repräsentanten und Anhänger dieser Institutionen mochten uns nicht und wünschten profil zum Teufel.

profil genoss diese Auseinandersetzungen, weil sie notwendig waren, die Republik voranbrachten, und, ja, auch weil sie das Prestige dieses Magazins begründeten. Das ist bis heute so.
Aber jetzt kommen neue Gegner.

Die großen, aktuellen Bewegungen sind von anderer Art als die alten Machtpole. Da sind auf der einen Seite linke, identitätspolitisch aktive Leute, die eine neue Moral definiert haben, die strengen Regeln gehorcht. Wer ihre Kriterien der Diversität, der Nomenklatur oder auch ihren Katalog zulässiger Äußerungen nicht befolgt, gerät in ihr Fadenkreuz.

Zum Beispiel profil. Dieses Magazin bildet relevante Meinungen ab, auch wenn es sie nicht teilt. Zuletzt etwa kamen mehrere Impfgegner in einer Titelgeschichte im O-Ton zu Wort. Das passt vielen Besserwissern nicht. Man gebe den falschen Leuten „eine Bühne“, lautet der entsprechende Vorwurf. Doch unser Verständnis von Pluralismus war immer schon weit gefasst; einst weiter als das der katholischen Amtskirche und traditioneller Moralisten, heute weiter als das der Woke-Bewegung und progressiver Moralisten.

Eine ebenso lautstark auftretende neue Kraft sind die Anti-Elite-, Anti-Mainstream-Medien-, Anti-Institutionen-, Anti-alles-Mögliche-Bewegungen. In ihrer aktuellsten Ausformung sammeln sie sich um die Idee, das Coronavirus und die Maßnahmen dagegen seien dunklen Umtrieben entsprungen und dienten verdeckten Zielen. Auch diese Leute sehen profil als Gegner.

Plötzlich dreht sich der Spieß um. Nicht profil kritisiert Institutionen, sondern profil wird als Teil der Institutionen gesehen, die abgelehnt werden. Das schafft eine völlig veränderte, ziemlich verwirrende Konfliktsituation. Wir, die Medien, die sogenannte vierte Gewalt, tun alles, um uns scharf gegenüber den anderen Dreien (Legislative, Exekutive, Judikative) abzugrenzen, aber wir werden gegen unseren Willen mit ihnen in einen gemeinsamen Topf geworfen. Das ist fies, aber dem müssen wir uns stellen. 

Diese Anti-Bewegungen haben keine hierarchische Struktur und damit auch keine eindeutigen Ansprechpartner: keine Parteichefin, keinen Bischof, keinen Gewerkschaftsboss. Stattdessen eine Masse von Individuen, die massenhaft ihren Ärger in die Plattformen sozialer Medien kippen.

Solche Unmutsphänomene sind immer bedeutsam, sie stehen für Veränderungen innerhalb der Gesellschaft, ob sie uns passen oder nicht. Es ist unerheblich, ob wir mit den alten institutionellen Gegnern besser zurechtkamen (die sind nebenbei bemerkt ohnehin auch noch da).

Wir erleben an unseren wechselnden Gegnern, wie die Welt sich dreht. Verändert sich profil dabei? Bestimmt. Jedenfalls aber macht die Tatsache, dass Pluralismus und die Darstellung unliebsamer Meinungen, Äußerungen, Kulturgüter verlässlich wechselnde Gruppen auf die Palme bringt, etwas mit uns. Es verpflichtet uns geradezu, lästig zu bleiben.

Ob mächtige Institutionen oder einflussreiche Graswurzelbewegungen – sie alle eint seit jeher, dass sie es nicht ertragen, dass ihre Wahrheiten hinterfragt und Gegenpositionen dargelegt werden. Das ist unsere – simple – Erfahrung aus 2500 Ausgaben. Ein zürnender Bischof, ein empörter Bundespräsidentschaftskandidat, eine gekränkte Woke-Aktivistin, ein wütender Corona-Leugner – sie alle suchen Streit. Bei uns finden sie ihn.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur