Robert Treichler: Wegsperren

Was taugen die Vorschläge der Bundesregierung für neue Anti-Terror-Gesetze?

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Ist es bedenklich, dass die Frage, wie unser Staat den Terrorismus bekämpfen soll, Politik und öffentliche Meinung spaltet? Nein, der Streit über ein so heikles Thema, das unsere höchsten Grundwerte ebenso berührt wie unsere am tiefsten sitzenden Ängste, ist unerlässlich.

Hat die Bundesregierung recht, wenn sie neue, schärfere Gesetze vorschlägt? Der Einwand dagegen lautet, dass es möglich gewesen wäre, den Attentäter von Wien auf Basis der bisherigen Rechtslage vor der Tat aus dem Verkehr zu ziehen, wenn die Behörden korrekt und aufmerksam gearbeitet hätten. Das stimmt. Andererseits zeigen jüngste Anschläge-vor allem in Frankreich-,dass der islamistische Terrorismus alles andere als ausgerottet ist. Frankreich Staatspräsident Emmanuel Macron konstatiert einen Anstieg des "islamistischen Separatismus",also einer Ideologie, die gegen die französischen (und europäischen) Grundwerte ankämpft und dabei vor allem junge Männer zu Gewalt und terroristischen Anschlägen motiviert.

Jetzt nimmt sich die österreichische Bundesregierung die französische Gesetzgebung zum Vorbild. Vieles von dem, was Bundeskanzler Sebastian Kurz nun als typisch rechtskonservative Reaktion angekreidet wird, stammt in Wahrheit vom liberalen Anti-Rechts-Populisten Macron. Der Satz "Terroranschläge können von Personen durchgeführt werden, die sich der Immigrationsströme bedienen" etwa stammt von Macron. Der Attentäter, der Ende Oktober in einer Kirche in Nizza drei Menschen tötete, war ein Tunesier, der kurz zuvor von der italienischen Insel Lampedusa kommend eingereist war.

Deshalb stimmen Macron, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und auch Kurz darin überein, dass die europäischen Außengrenzen besser überwacht werden müssen. Es wäre seltsam, würde sich Österreich diesem Ziel mit dem Hinweis darauf verweigern, dass der Attentäter von Wien nicht aus dem Ausland gekommen ist, sondern in Österreich geboren wurde.

Zwei Maßnahmen, die von der österreichischen Bundesregierung vorgeschlagen werden, sind besonders umstritten: die Inhaftierung von verurteilten Terroristen, nachdem diese ihre Strafe bereits verbüßt haben, sowie die Einführung eines Tatbestands, der den "politischen Islam" unter Strafe stellt.

Wieder ist Frankreich das Vorbild. Dort wurde im Juli ein Gesetz beschlossen, das die Möglichkeit schafft, Terroristen, die aus dem Gefängnis entlassen werden, weiterhin zu überwachen: Sie müssen unter anderem dreimal pro Woche bei der Polizei erscheinen, dürfen den Wohnort nicht wechseln, bestimmte Orte nicht betreten oder müssen eine elektronische Fußfessel tragen. Diese Maßnahmen können nur nach vorheriger Gefährdungseinschätzung und einem Gespräch mit dem Betroffenen und dessen Anwalt verhängt werden, und zwar jeweils für die Dauer eines Jahres bis maximal zehn Jahre. Erst wenn jemand gegen eine der angeordneten Maßnahmen verstößt, kann er in Sicherungshaft genommen werden.

Dieses Gesetz ist in Frankreich höchst umstritten, denn es verstößt gegen den Rechtsgrundsatz, wonach nur jemand bestraft werden kann, der sich schuldig gemacht hat. Doch die hohe Rückfallquote bei Verurteilten nach dem Terrorparagrafen (40 Prozent laut einer Studie des Zentrums für die Analyse des Terrorismus) und die Verunsicherung der Bevölkerung wegen der Anschläge der letzten Jahre schienen der Mehrheit im Parlament Rechtfertigung genug dafür.

Die Unterschiede zu Österreich sind erheblich: Die türkis-grüne Regierung hat bisher keinen Beleg dafür vorgebracht, weshalb ein so krasser Eingriff in ein Grundrecht notwendig ist; die pauschale Bezeichnung "tickende Zeitbomben" für sogenannte Gefährder lässt zudem an einer Einzelfallprüfung zweifeln; und schließlich ignoriert die martialisch vorgetragene Absicht, Verdächtige "lebenslang wegzusperren", die Abstufungen und Sicherheitsvorkehrungen des französischen Gesetzes.

Die Absicht, den "politischen Islam" unter Strafe zu stellen, riecht wiederum stark nach einem Gesinnungsverbot. Zudem ist noch völlig unklar, wie dieser neue Tatbestand definiert sein wird. Die Juristen Richard Soyer, Nihad Amara und Philip Marsch warnen in einem Gastkommentar im "Standard" davor, "unser Strafrecht westlicher Prägung in ein Gefahrenabwehr-, Präventiv- beziehungsweise Feindstrafrecht umzubauen."Andererseits konstatiert der renommierte Islamismus-Experte Gilles Kepel in Frankreich das neuartige Phänomen eines "atmosphärischen Dschihadismus", für den die bisherigen Gesetze nicht wirksam seien.

Das Verbot des "islamistischen Separatismus",das Macron angekündigt hat, soll auf konkrete Delikte abzielen: klandestine Schulen, in denen Kinder indoktriniert werden; Vereine, deren tatsächliche Ziele verschleiert werden; Erbverträge, die Frauen systematisch benachteiligen; "Jungfräulichkeitszertifikate" für Frauen; Fundamentalisten, die Stühle desinfizieren, weil Frauen darauf gesessen sind Nicht eine Gesinnung wäre somit strafbar, sondern Handlungen, die westlichen Normen zuwiderlaufen.

Nein, die Bundesregierung handelt nicht falsch, wenn sie erwägt, neue Anti-Terror-Gesetze vorzuschlagen. Was sie bisher dazu vorgebracht hat, reicht jedoch bei Weitem nicht aus, ihr die Zustimmung zu geben.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur