AMS für Aktivisten?

Der Friede in Gaza ist nicht für alle eine gute Nachricht. Denn was bitte sollen die Thunbergs, Engelhorns & Co. jetzt mit ihrer ganzen Tagesfreizeit anfangen?

Drucken

Schriftgröße

Der Gazakrieg könnte nunmehr also wirklich zu Ende gehen – und man muss sich deshalb leider ernste Sorgen machen. Und zwar um die fraglos weitaus wichtigste Bevölkerungsgruppe in allen westlichen Demokratien. Also die sogenannten Pro-Palästina-Aktivisten. Weil: Was bitte sollen die jetzt alle machen? So urplötzlich und brutal vom entmenschten System ihres Lebenssinns beraubt? Das schaut diesem Trump wieder ähnlich.

Zum Klimakleben können sie ja leider nicht mehr zurück. Nicht, weil sie damit Gott und der Welt haltlos auf die Nerven gegangen sind, nein. Dieses sympathische Erfolgsrezept haben sie ja bei Gaza beibehalten, denn ein moderner Aktivist muss einfach andere Leute bei dem, was sie gerade tun – einer Festspieleröffnung beiwohnen, den Zieleinlauf eines Radrennens beobachten, im Museum einen van Gogh anschauen, you name it –, zumindest stören oder sie überhaupt daran hindern. Ein moderner Aktivist besteht die alltägliche Gesichtskontrolle in seiner Social-Media-Blase nur, wenn er heute irgendjemand anderem seinen Willen aufgezwungen hat. Weil, wer am lautesten schreit, hat schließlich recht, so funktioniert nämlich Demokratie. Oder so ähnlich halt. Dass es kein Zurück zum Klimakleben geben kann, hat also einen anderen Grund. Einen leider hausgemachten Denkfehler nämlich. Denn das Problem ist ja: Wer mit beiden Händen auf der Autobahn pickt – hat keine mehr frei für das Selfie. Und ohne Selfie ist jeglicher Aktivismus natürlich vollkommen sinnlos.

Eine Möglichkeit für die Aktivisten, diese schreckliche Leere, die sich jetzt in ihnen breitmacht, zu bekämpfen, wäre natürlich auch, einfach weiterzumachen. 

Eine Möglichkeit für die Aktivisten, diese schreckliche Leere, die sich jetzt in ihnen breitmacht, zu bekämpfen, wäre natürlich auch, einfach weiterzumachen. Schließlich gibt es, obwohl sie doch mehr als deutlich klargemacht haben, dass mit diesem Irrweg Schluss sein muss, immer noch Juden auf der Welt. Und sogar der Staat Israel darf entgegen ihrer Anordnung einfach weiter existieren. Also könnten sie zumindest weiter bei jeder unpassenden Gelegenheit „From the river to the sea!“ krakeelen. Im Netz kursieren übrigens viele Videos, in denen lautstarke Aktivisten befragt werden, welchen River und welche Sea sie damit eigentlich meinen. Die Antworten darauf sind mitunter recht interessant. Und sie geben einen kleinen Hinweis darauf, dass die hier protestierende, größtenteils akademische Jugend möglicherweise schon einmal ein bisschen akademischer gewesen ist.

Vielleicht fanden die diversen Segeltörns in Richtung Gaza also auch statt, um ein bisschen niedrigschwellige Geografie-Nachhilfe zu ermöglichen. Und um sich von dem ganzen Aktivistenstress zu erholen. Insofern könnte man auch die beibehalten, allein: Jetzt wird keiner mehr hinschauen. Welch furchtbare Vorstellung! Niemand mehr, dem man dann, wie die letzte Woche glücklich zurückgekehrten österreichischen Flotilla-Pauschaltouristen, bedeutungsschwanger erklären kann, welch grässliche Folter seitens Israel man zu erdulden hatte. Man musste nämlich auf dreckigem Boden sitzen und eine viel zu kalt eingestellte Klimaanlage erdulden – ist es zu fassen?? Julian Schütter, einer unserer tapferen Helden, beklagte gar, dass er eine Augenbinde tragen musste, „die mich von den Farben und dem Stoff her an das Gewand von Insassen der Konzentrationslager im Holocaust erinnert hat“. Was soll man dazu sagen? Vielleicht das: Diese und die anderen Wortmeldungen ähnlicher Güte aus dieser Ecke sind keine schlichten Meinungsäußerungen. Sondern vielmehr Symptome in Buchstabenform. Die eindeutig darauf hinweisen, dass unserem ohnehin schon belasteten Gesundheitssystem weitere schwere Prüfungen bevorstehen.

Herr Schütter, dessen fifteen minutes of fame hoffentlich nie enden werden, war übrigens der Ersatzsegler für Marlene Engelhorn, die namens der österreichischen Delegation das Außenministerium harsch kritisierte, weil es sich nicht genügend für die Aktivistinnen eingesetzt habe. Ich finde auch, dass man angesichts der Klimaanlagen-Folter sofort die diplomatischen Beziehungen abbrechen hätte müssen. Und überhaupt sollte das Außenministerium eine schnelle Eingreiftruppe aufstellen, damit die Kavallerie sofort für jeden selbstbesoffenen Schwachkopf ausrücken kann, der dies gerade ultimativ für sich selbst einfordert.

Frau Engelhorn blieb übrigens auch deshalb zu Hause, um hier ihre „Reichweite“ als Promi zu nützen. Die hat sie tatsächlich. Und sie erzeugt auch fraglos einen Mobilisierungseffekt. Den merke ich zum Beispiel sogar persönlich. Denn wann immer Frau Engelhorn beschließt, nunmehr zum Schnittlauch auf der nächsten bedenklich riechenden Suppe zu werden, verspüre ich sofort das nahezu unbezwingbare Verlangen, mich umgehend der Gegenseite anzuschließen. Denn welche auch immer das ist – ganz falsch kann man damit einfach nicht liegen. Insofern bin ich schon ziemlich neugierig, welche Sau als Nächstes aktivistisch durchs Dorf getrieben wird. Sicher ist dabei nur eines: Die Selfies werden wieder sehr schön sein.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz