Niederösterreich

Schwarz-Blau in NÖ: Die Schande Mitteleuropas?

Die FPÖ-NÖ ist die radikalste Landespartei, die Verstörung über die Koalition daher berechtigt. Doch die Wähler wollten es so.

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Warum löst das schwarz-blaue Bündnis in Niederösterreich derartige Emotionen aus? Immerhin gab es schon einige Koalitionen von ÖVP und FPÖ. Als Erster wagte es Wolfgang Schüssel, der im Februar 2000 mit Jörg Haiders FPÖ zusammenging. Ein Tabubruch. „Die Schande Europas“, titelte profil. Bei der Neuauflage 2003 war die Aufregung bereits deutlich geringer. Und 2017 war sogar Bundespräsident Alexander Van der Bellen gut gelaunt, als er die ÖVP-FPÖ-Regierung unter Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache angelobte. In Oberösterreich (wo es wie in Niederösterreich eine Proporzregierung gibt, an der alle größeren Parteien beteiligt sind) regieren ÖVP und FPÖ seit 2015 gemeinsam. In Salzburg ist nach der Landtagswahl am 23. April eine derartige Koalition denkbar. Im Burgenland kooperierte einst sogar die SPÖ mit der FPÖ – was die Sozialdemokratie gern vergisst.

Dennoch ist das schwarz-blaue Bündnis in St. Pölten eine Verstörung. Selbst Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hatte ein ungläubiges Entsetzen im Gesicht. Denn die FPÖ-NÖ ist die radikalste unter den freiheitlichen Landesparteien. Herbert Kickl wäre dort ein Weichei. Die Fälle sind bekannt:  die Affäre um NS-Gedankengut im Liederbuch der Burschenschaft von Landesparteiobmann Udo Landbauer; die Verurteilung des früheren Klubchefs Martin Huber wegen NS-Wiederbetätigung; derbe rechte Sager des Landesrats Gottfried Waldhäusl.

Wäre die FPÖ schon länger Koalitionspartner der ÖVP, hätte es kein Nitsch-Museum in Mistelbach gegeben. Erwin Pröll war stolz darauf, das rural geprägte Land geistig geöffnet zu haben. Turbo für die Entwicklung Niederösterreichs zur modernen Region war die Osterweiterung der EU – von der die FPÖ bis heute nichts hält.

Schwarz-blauer Wählerwille

Die neue Koalition kann dem Land einen veritablen Imageschaden bescheren. Allerdings: Schwarz-Blau entspricht dem Willen der Wählerinnen und Wähler in Niederösterreich. Bei der Wahl am 29. Jänner entzogen sie der ÖVP die absolute Mehrheit und machten die FPÖ zur zweitstärksten Partei.

Dass aus der möglichen Alternative, einer Koalition aus ÖVP und SPÖ, nichts wurde, ist beiden Parteien anzulasten. Der Volkspartei fehlte die Bereitschaft, der SPÖ mehr zu gönnen und dafür höhere Schulden in Kauf zu nehmen. Die kompromisslose SPÖ überschätzte unter ihrer forschen neuen Führung sich selbst und die Leidensfähigkeit der ÖVP. Beide werden es büßen. Strafe für die ÖVP wird das Arbeitsleid im Regierungsalltag mit der FPÖ sein. Und die SPÖ wird in der neuen Landesregierung zwei Kleinstressort erhalten und in Zukunft bei Mikl-Leitner um jeden Euro aus dem Landesbudget für rote Gemeinden und SPÖ-Projekte betteln müssen.

Johanna Mikl-Leitner hätte Alternativen gehabt. Die eine wäre gewesen, Neuwahlen auszurufen; und die andere, ohne Arbeitsübereinkommen auf das freie Spiel der Kräfte zu setzen – was früher oder später auch zu Neuwahlen geführt hätte. Diese scheinen ohnehin programmiert. Dass die ÖVP-FPÖ-Koalition fünf Jahre hält, ist kaum vorstellbar. Stabilität sieht anders aus.

Das wichtigste Projekt für Niederösterreich wäre nun eine Reform des politischen Systems. Der Proporz sollte wie in anderen Bundesländern abgeschafft werden, um diverse Mehrheiten und Regierungsformen zu ermöglichen. So hätten ÖVP, Grüne und NEOS im neuen niederösterreichischen Landtag gemeinsam eine Mehrheit in Mandaten. Eine „Dirndl-Koalition“ (wie in Salzburg) wäre ohne Proporzsystem theoretisch möglich.

Das Schockbündnis von ÖVP und FPÖ könnte für das notwendige Umdenken sorgen. Dann hätte Schwarz-Blau doch noch ein Gutes.

 

 

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.