Gernot Bauer
Gernot Bauer

SPÖ: Schuss ins Blaue

Beim Reizthema Rot-Blau verkrampft sich die SPÖ wie die Kirche beim Zölibat. Warum Gespräche mit der FPÖ kein Sündenfall sein sollten.

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SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner war, wie sie im ORF-Interview auf Nachfrage bestätigte, bereit, sich von FPÖ-Obmann Herbert Kickl zur Bundeskanzlerin machen zu lassen, obwohl ein gültiger Parteitagsbeschluss aus 2004 Kooperationen mit den Freiheitlichen verbietet.

Rendi-Wagners Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch hatte die Blauen unter ihrem neuen Parteichef Kickl im Sommer noch so charakterisiert: Die FPÖ habe sich „zur Kenntlichkeit radikalisiert“ und „ihre Kontakte zum Rechtsextremismus wieder intensiviert“. Sie betreibe „Hetze, Spaltung und Ausgrenzung“ und sei „ein Wolf ohne Schafspelz“. Kickl seinerseits verhöhnte Rendi-Wagner als „Impfregierungssprecherin“ und „Vertreterin der Pharmaindustrie“. Alles egal: Vorvergangenen Samstag kamen Rendi-Wagner (zweimal geimpft) und Herbert Kickl (nicht geimpft, aber gesund) in vertraulichem Rahmen zusammen, um die Abwahl von Kanzler Sebastian Kurz und ein Vierer-Bündnis aus SPÖ, FPÖ, Grünen und NEOS zu diskutieren.

Rendi-Wagners Gespräch mit Kickl war ein Kontakt zu einem Politiker, der laut SPÖ „Kontakte zu Rechtsextremen“ intensiviert. Die Erklärung der SPÖ, eine „außergewöhnliche“ Situation würde eine Kooperation mit der FPÖ erlauben, zieht nicht. Gerade in Ausnahmesituationen sollte man sich nicht auf einen „Wolf ohne Schafspelz“ verlassen. Neuwahlen wären die bessere Alternative gewesen.

Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil war gegen Gespräche mit der FPÖ und erklärte öffentlich, diese hätten der SPÖ „ein massives Glaubwürdigkeitsproblem“ gebracht. Nun ist Doskozil (wie die ÖVP) ein zweifelhafter Zeuge der Anklage. Die burgenländische SPÖ war (wie die ÖVP) selbst in einer Koalition mit den Freiheitlichen. Doskozils Befund ist aber treffend. Das Glaubwürdigkeitsproblem der SPÖ ist massiv – und selbst verschuldet.

Nichts in der österreichischen Innenpolitik ist so verkorkst wie der rote Umgang mit der FPÖ. Jahrzehntelang galt die „Vranitzky-Doktrin“ aus dem Jahr 1986, die jede Kooperation ausschloss. Die Abgrenzung führte dazu, dass die SPÖ zwar Wahlen gewann, die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP aber regelmäßig verlor. Die Volkspartei hatte immer die blaue Option, die Wolfgang Schüssel 2000 und Sebastian Kurz 2017 auch zogen. 

Schon Alfred Gusenbauer suchte 2004 das Gespräch zu Jörg Haider. Unter Werner Faymann wurden die Annäherungsversuche eingestellt. Dieser brauchte keine Option, da die ÖVP den willigen Juniorpartner gab. Faymanns Nachfolger Christian Kern warb erneut um die FPÖ. Begründung: „Rot-Blau pauschal abzulehnen, hat uns erpressbar gemacht.“ 2017 beschloss das SPÖ-Parteipräsidium daher einen leicht erfüllbaren Kriterienkatalog für allfällige Koalitionspartner. Dieser „Wertekompass“ sollte der Ausweg aus der Selbstfesselung sein. Doch der damalige Wiener Bürgermeister Michael Häupl wehrte sich weiterhin vehement gegen jede rot-blaue Zusammenarbeit. Häupl ist im Ausgedinge. Sein Nachfolger Michael Ludwig unterstützte die Idee einer Kooperation mit der Kickl-FPÖ.

Vielen Sozialdemokraten sind Blaue traditionell näher als Schwarze. Während der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz verschärften sich die Gegensätze zwischen ÖVP und SPÖ, das Lagerdenken nahm wieder zu und damit auch die rote Neigung zur FPÖ. Willi Mernyi, Leitender Sekretär des ÖGB und Vorsitzender des Mauthausen Komitees Österreich, meinte schon 2016 gegenüber profil: „Wenn ich in einem Ort einen Blauen habe, der kein Rechtsextremer ist, aber einen ÖVPler, der ein Sozifresser ist, warum zwinge ich dann die Leute, mit dem Sozifresser zusammenzuarbeiten?“

Das verdruckste Verhältnis der SPÖ zu den Freiheitlichen erinnert an den Umgang der katholischen Kirche mit dem Zölibat. Keuschheit ist zwar Dogma, wird aber nicht eingehalten. Die reine Lehre verbietet die kleinste Berührung, in der Praxis wird wild gefummelt. Das Gelübde vom Parteitag ist Heuchelei.

Daher sollte sich die SPÖ endgültig davon befreien. Selbst Franz Vranitzky distanziert sich mittlerweile von der nach ihm benannten Doktrin. Es sei ihm vor allem um die Abgrenzung von Jörg Haider gegangen. Heißt im Umkehrschluss: Mit einem berechenbaren FPÖ-Obmann kann man durchaus kooperieren. Aber ist ausgerechnet Herbert Kickl dieser Obmann? Aus Sicht der SPÖ (und der NEOS) offenbar. 

Der heuer verstorbene Philosoph Rudolf Burger meinte in einem Interview mit der „Wiener Zeitung“: „Der Begriff der Realpolitik wird heute fast nur abwertend verwendet, dabei bedeutet er nicht, unmoralisch zu agieren, es geht um das Abwägen: Machtkonstellationen, Kosten und Nutzen – all das muss man einander gegenüberstellen.“ Im konkreten Fall: Der Nutzen der geplanten rot-blau-grün-pinken Kooperation bestand in der Vertreibung des Sebastian Kurz aus dem Kanzleramt. Die Kosten betreffen die Rehabilitierung der FPÖ. Pamela Rendi-Wagner stellte Herbert Kickl eine politische Unbedenklichkeitsbescheinigung aus. Das ist zulässige Realpolitik, die sich allerdings nicht mit der viel gepriesenen „Haltung“ der Sozialdemokratie verträgt. 

Sebastian Kurz wurde Opfer seiner begrenzten Moral, Rendi-Wagner Opfer ihrer überhöhten.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.