König Fußball und die Politik
1. Sehen Sie es problematisch, wenn Politiker den Fußball auf Kosten des Steuerzahlers für billige Inszenierungen nutzen? Halten Sie es für lächerlich, wenn beleibte Amtsträger mit in Nationalfarben bemalten Wangen so tun, als würden sie am liebsten selbst zum entscheidenden Dribbling ansetzen?
2. Wenn ja, führt das – als Analogie von Theaterbesuchern und Sportfans sehr frei nach der Idee von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ – zu provokanten Folgefragen: Würden nicht Politiker mit der Inszenierung beim Sport aufhören, wenn das ihrem Image schadet? Sind wir alle also wirklich mündige Bürger, bei denen das nicht verfängt?
3. Für die mediale Inszenierung von Regierungspolitikern in und um Fußballstadien braucht es Amtsträger, die das machen. Voraussetzung sind detto Medien, die darüber berichten, obwohl Nachrichtenwert und sportlicher Wert null sind. Zudem muss als Zielgruppe ein Publikum da sein, das entsprechende Bilder gerne sieht. Der Satz „Is ma wurscht!“, nämlich ob Österreich dieser Tage gegen Zypern und Bosnien gewinnt, könnte hingegen politische Karrieren beenden.
4. Regierungsmitglieder müssen das Land repräsentieren. Aber nirgendwo ist dabei die Inszenierung so übertrieben wie im Fußball. Bringt das etwas? Ja. Sportveranstaltungen verschaffen Amtsinhabern eine erhöhte Medienpräsenz. Die Opposition hat Sendepause. Politiker im Stadion bedienen auch ein Wir-Gefühl mit der Botschaft: „Ich bin einer von euch!“ Das ist unbezahlbare Werbung in eigener Sache.
5. Ebenso klar ist die Bedeutung des Fußballs als Integrationsfaktor für Staaten. Etwa in allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Und schafft aktuell der Kosovo die WM-Qualifikation, tut er sich sogar im Kampf um völkerrechtliche Anerkennung leichter. Im deutschen Fußball wiederum löste das „Wunder von Bern“, der WM-Sieg 1954, sogar eine Identitätsstiftung nach dem Nazi- und Kriegstrauma aus.
6. Mit dem Siegtor Helmut Rahns am 4. Juli 1954 hieß es: „Wir sind wieder wer!“ Die Aufbruchstimmung im Deutschland Ende der 1960er-Jahre ging Hand in Hand mit den Fußballerfolgen von Beckenbauer, Müller und Netzer. Der Soziologe Norbert Seitz nennt es einen Doppelpass von Fußball und Politik. 1998 scheiterte Deutschland bei der WM kläglich. Zugleich endete Helmut Kohls Regierungszeit wenig ruhmreich.
Der Satz „Is ma wurscht!“, nämlich ob Österreich dieser Tage gegen Zypern und Bosnien gewinnt, könnte politische Karrieren beenden.
7. 2014 war Angela Merkel am Höhepunkt ihrer Beliebtheit, als sie ihre geballten Fäuste in den Himmel reckte und sich auf engstem Raum mit einer zweistelligen Zahl halbnackter, verschwitzter Männer traf – in der Kabine nach dem Gewinn des WM-Titels. Schaffen Julian Nagelsmanns Mannen gar das Unglaubliche, dass Friederich Merz volksnah und populär wird?
8. Meister aller Klassen in der Politikvermittlung via Fußball war Silvio Berlusconi. Mit einer Fußballparole – Forza Italia – als Parteiname. Die Idealisierung seiner Person erfolgte durch die fußballerische Erfolgsgeschichte des ihm gehörenden AC Mailand. Die „Azzuri“ als Nationalmannschaft waren die Guten. Im Umkehrschluss galt für Gegner: „Gli altri sono cattivi!“ Die Bösen sind immer die anderen. Das glaubten ihm Sportfans und politische Anhänger.
9. Im fußballerisch viel kleineren Österreich sagte Hans Peter Doskozil 2016 als damaliger Sportminister erstaunlicherweise: „Politik hat im Sport nichts verloren!“ 2022 stahl er Teamchef Ralf Rangnick während eines Trainingslagers der Nationalmannschaft in Bad Tatzmannsdorf die Show. Star der Pressekonferenz war Doskozil. Als Landeshauptmann, nicht als Mittelstürmer. Wer den Auftritt sah, glaubt bis heute, jedes WM-Tor Österreichs sei dem Burgenland zu verdanken.
10. Beim Schreiben dieser Zeilen ist noch offen, ob Österreich bei der WM 2026 mitspielen darf. Selbst dann wäre das Politikerspektakel beschränkt, falls es gegen Jordanien oder Usbekistan – beide fix qualifiziert – ein Debakel setzt. Die Färöer-Inseln lassen grüßen. Die politische Stimmung eines Landes sollte allerdings nicht davon abhängig sein, ob Marko Arnautović als balltretender Held einen Elfmeter ins Kreuzeck jagt oder über seine Schnürsenkel stolpert.