Warum Männer Frauen töten

Italien führt einen eigenen Straftatbestand „Femizid“ ein. Wie sinnvoll ist das?

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Alle zehn Minuten wird weltweit eine Frau innerhalb ihrer Familie oder Beziehung getötet. Das ist in etwa die Zeitspanne, die Sie brauchen werden, um diesen Kommentar zu Ende zu lesen. Diese Zahl wurde diese Woche von den Vereinten Nationen veröffentlicht. Sie beziffert ein Phänomen, für das es einen Namen gibt. Von einem Femizid ist die Rede, wenn Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind. Nicht alle Frauenmorde sind Femizide, sehr wohl aber jene vorsätzlichen Tötungsdelikte, die geschlechtsbezogen sind.

Die Statistik zeigt seit Jahren eine klare Tendenz. Erstens: Die Täter sind keine Fremden, die Frauen nachts in einer dunklen Gasse auflauern, sondern oft jene Männer, die ihnen am nächsten sind: Familienmitglieder, Ehemänner, Ex-Partner. Zweitens: Bei Partnerschaftsgewalt ist die Dunkelziffer generell extrem hoch. Laut einer Dunkelfeldstudie des deutschen Bundeskriminalamts gehen gerade einmal fünf Prozent der Betroffenen zur Polizei.

Die Täter sind keine Fremden, die Frauen nachts in einer dunklen Gasse auflauern, sondern oft jene Männer, die ihnen am nächsten sind: Familienmitglieder, Ehemänner, Ex-Partner.

Das Problem ist also viel größer, als wir glauben. Die gute Nachricht: Polizeibehörden und die Justiz nehmen geschlechterbezogene Tötungen zunehmend ernst. In Italien sind Femizide seit dieser Woche ein eigener Straftatbestand. Nicht nur die Mitte-Rechts-Koalition von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni stimmte für die Gesetzesänderung, sondern auch linke Parteien, die ihre Regierung ansonsten lautstark kritisieren.

Im neuen Artikel 577b heißt es: „Wer den Tod einer Frau verursacht und die Tat begangen wurde aus Gründen der Diskriminierung oder des Hasses gegen die Betroffene, weil sie eine Frau ist, oder um die Ausübung der Freiheitsrechte und der Entfaltung der Persönlichkeit der Betroffenen zu unterbinden, wird mit lebenslanger Haft bestraft.“

Damit hat ausgerechnet Meloni, die sonst immer gegen Feministinnen wettert, einen wichtigen Schritt getan. Auch Frauenhäuser sollen mehr Geld bekommen, was konkrete Verbesserungen in der Präventionsarbeit verspricht. Aus Sicht von Frauenrechtsorganisationen reicht das aber noch lange nicht aus. Sie fordern darüber hinaus mehr sexuelle und emotionale Bildung von der ersten Schulstufe an.

In Zeiten von Social Media ist Aufklärungsarbeit an den Schulen wichtiger denn je.

Aber ausgerechnet hier blockiert Melonis Regierung. Italien bleibt eines der wenigen Länder in der EU, in denen Sexualkundeunterricht an Schulen nicht verpflichtend ist. Jugendliche sollen erst ab 14 Jahren und nur mit Einverständnis der Eltern etwas über ihren eigenen Körper lernen. Das ist zu spät. Viele suchen bereits viel früher im Internet nach Antworten und kommen dort mitunter auch mit frauenfeindlichen Influencern wie Andrew Tate in Kontakt. Die Videos des Kickboxers, dem unter anderem Vergewaltigung und Menschenhandel vorgeworfen wird, erreichen ein Millionenpublikum von zumeist minderjährigen Burschen.

In Zeiten von Social Media ist Aufklärungsarbeit an den Schulen wichtiger denn je. In Großbritannien wird etwa die Netflix-Serie „Adolescence“ im Unterricht diskutiert. Darin geht es um einen 13-Jährigen, der seine Mitschülerin ermordet hat. Die Serie zeigt seine innere Zerrissenheit, aber auch, wie er sich im Internet mit Videos radikalisiert hat, die eine toxische Männlichkeit propagieren.

Genau dort, bei dieser Altersgruppe, muss man ansetzen. Viel zu oft wird der Staat erst dann aktiv, wenn bereits Gefahr droht. In Deutschland sollen Familiengerichte Gewalttäter künftig zum Tragen einer elektronischen Fußfessel verpflichten können. Ein Allheilmittel ist das nicht. Es braucht auch Anti-Gewalttrainings und (wie es Meloni in Italien angekündigt hat) mehr Geld für Frauenhäuser.

Auch unser Blick auf die Mörder muss sich ändern. Viel zu lange war medial von „eifersüchtigen Ex-Partnern“ oder von „Familiendramen“ die Rede. Aber Frauen sterben nicht, weil Männer Kränkung erfahren. Sie sterben, weil Männer mit diesen Gefühlen nicht umgehen können und im Umkehrschluss Besitzansprüche auf eine Frau erheben. Das ist ein patriarchales Denkmuster, das sich nicht in Luft auflösen wird. Auch dann nicht, wenn Täter wie in Italien künftig lebenslang im Gefängnis sitzen.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.