Was ich aus #MeToo gelernt habe

Wenn uns #MeToo im vergangenen Jahr etwas gezeigt hat, dann wie wichtig es ist, unsere Erfahrungen miteinander zu teilen. Darum dieser Kommentar.

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Es kommt mir absurd vor, dieser Tage so oft die Frage zu lesen, ob #MeToo etwas verändert hat. In meinem Leben hatte bisher keine Bewegung eine so große Wirkung auf mich. Das Jahr mit #MeToo war schön und schwierig, so wie es das Frausein an sich auch ist. Für viele und auch für mich begann es mit einem Augen öffnenden Schock. Dank all dieser mutigen Frauen, die ihre schlimmsten Erlebnisse vor der Welt offengelegt haben, wurde mir und vielen anderen klar, wie weit verbreitet sexueller Missbrauch noch immer in allen Schichten und Branchen ist. Allgegenwärtig war der Hashtag. Jedes Mal, wenn die blaue Buchstabenkombination unter dem Profilbild einer Freundin oder einer Kollegin auftauchte, kam die Wut.

Genauso aufwühlend die Frage nach dem eigenen #MeToo: Ereignisse, die man verdrängt oder einfach so hingenommen hat. All die angriffigen Kommentare, die Po-Grapscher, der Mann der sich im Zug vor mir selbst befriedigte. Die Gewissheit: Ich hatte noch Glück. Die Frage: Wird meine kleine Schwester auch Glück haben?

Auf den schieren Schock folgte bei vielen das "Ja, aber", die Zweifel. Vielleicht auch ein Reflex, um das Schreckliche von sich fernzuhalten. Es ging dann um Definitionen. #MeToo ist nicht gleich #MeToo, Diskriminierung ist nicht gleich sexuelle Belästigung und Belästigung nicht gleich sexueller Missbrauch. Das stimmt. Zu differenzieren ist wichtig und trotzdem, für mich war klar: Es geht um alles. Das ist auch die Stärke von #MeToo. Es geht nicht "nur" um sexuelle Gewalt, sie ist die furchtbare Spitze eines riesigen Eisbergs der sexuellen Diskriminierung, die von abfälligen Kommentaren am Arbeitsplatz bis zu den schlimmsten sexuellen Übergriffen reicht. Denn, dass Frauen attackiert werden, ist keine Gegebenheit, es ist das Ergebnis einer Kultur, die Frauen als weniger wert erachtet.

Das Allumfassende der Debatte macht vielen Angst. Sie leugnen an dieser Diskriminierung teilzuhaben, meinen: "Nein, bei uns gibt’s so etwas nicht." Oder prophezeien gleich den Untergang der menschlichen Rasse: "Wie soll man sich da noch eine Frau anreden trauen?". Für viele Männer scheint es eine ganz neue Erfahrung zu sein: Unsicherheit im eigenen Verhalten. Für uns hingegen ist es trauriger Alltag.

Soll ich mich da wirklich bewerben? Kann ich das überhaupt? Bin ich zu aufreizend angezogen? Nimmt mich dann niemand ernst? Soll ich wirklich die Tasche nehmen, in die mein Pfefferspray nicht hineinpasst? Und ist es besser alleine mit der U-Bahn oder mit dem Taxi zu fahren? "Schreib mir, wenn du gut nach Hause gekommen bist." Wie viele Männer verabschieden sich nach dem Fortgehen so voneinander? Es wird Zeit zu reflektieren. Für alle, denn es betrifft auch uns alle. Diesen Kampf können die Frauen nicht alleine gewinnen. Denn "die Frauen" gibt es so ja auch gar nicht. Es geht vielmehr darum, dass jene mit mehr Privilegien, sich für jene einsetzen, die weniger haben. Dass jene die Macht haben, sie nutzen, um die zu unterstützen, die keine haben. Darum, dass wir hin und wieder auch mal unser eigenes Verhalten hinterfragen. Dass wir uns trauen unter die Oberfläche zu schauen - in unserer Familie, am Arbeitsplatz oder im Supermarkt - und vielleicht Unangenehmes dabei finden. Und vor allem: Dass wir denen glauben, die sich uns anvertrauen. Manchmal reicht das schon.

Um die Verhältnisse dauerhaft zu ändern, braucht es mehr. Kann #MeToo das leisten? Hat sich in meinem Leben irgendetwas geändert seit #MeToo? In kaum einer Familie, einem Freundeskreis, einer Beziehung wurde im vergangenen Jahr nicht über #MeToo gesprochen. So habe auch ich viele lange Diskussionen mit Menschen, die mir nahestehen, hinter mir. Ich wage zu behaupten, dass das Bewusstsein für Diskriminierung dabei immer größer wurde. Auch bei mir selbst. Ich erkannte die echten Mitstreiter unter den Männern und Frauen in meinem Leben, musste aber auch erkennen, wie weit der Weg noch ist. Das kann frustrierend sein. Jede Woche wieder ein Kavanaugh, ein Ronaldo oder ein Kuhn. Doch #MeToo wirkt auch tröstend: Wir sind viele – und mit uns ist in Zukunft zu rechnen.