Leitartikel

Wer Frieden will, muss wehrhaft sein

Putins imperialer Größenwahn bedroht Europa. Gleichzeitig will sich Trump von der NATO abwenden. Wir sind in großer Gefahr, wir sollten endlich handeln.

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Wir werden in diesem Superwahljahr über manches sprechen müssen, über das wir nicht sprechen wollen. Etwa über die wachsende Gefahr eines Krieges auf europäischem Boden – und wie man sich davor schützen kann. Denn wenn Putin und Trump wahr machen, was sie hinter gar nicht mehr so vorgehaltener Hand sagen, haben wir bald einen aggressiven Feind, aber einen wichtigen Verbündeten weniger. Das ist brandgefährlich.

Am 24. Jänner verließ das US-Landungsschiff „Gunston Hall“ seinen Hafen und brach nach Europa auf. 31 NATO-Staaten nehmen ab Februar an „Steadfast Defender“ teil – der größten Militärübung seit 35 Jahren mit mehr als 90.000 Soldaten. Annahme: ein Angriff Russlands auf Osteuropa.

Auch die Verteidigung Norwegens gegen einen möglichen russischen Einmarsch über die 197 Kilometer lange Grenze an der Barentssee wird geübt. Fjorde und Anhöhen bieten zwar natürliche Barrieren gegen Angreifer, aber Norwegen ist mit rund 7800 Soldaten insgesamt nicht gut aufgestellt. Norwegens Oberbefehlshaber Eirik Kristoffersen warnte vergangene Woche vor einem russischen Angriffskrieg: „Uns läuft die Zeit davon“, sagte er. „Es gibt jetzt ein Zeitfenster von vielleicht ein, zwei, vielleicht drei Jahren, in dem wir noch mehr in unsere Verteidigung investieren müssen.“ Würde Russland die norwegische Grenze überwinden, hätten Schweden und Finnland den Feind im Nacken. Auch der schwedische Zivilschutzminister Carl-Oskar Bohlin ist alarmiert: „Viele haben es vor mir gesagt, aber lassen Sie es mich mit der Kraft meines Amtes tun: Es kann Krieg in Schweden geben.“ Die wachsende russische Gefahr bewog Finnland im April 2023 zum NATO-Betritt, Schweden soll im März folgen.

Aber wie real ist ein Krieg? Klar ist: Putin hegt imperiale Pläne, sein Russland hat keine Grenzen, er will zuerst die Ukraine, dann das Baltikum, und wer weiß, was noch. Da ist jede angebliche „Provokation“ nur willkommen, um Rechtfertigungen zu finden. Russland bezeichnet die NATO-Übung als „unwiderrufliche Rückkehr zu den Plänen des Kalten Krieges“. In Lettland ist jeder Einwohner russischer Herkunft – der kleine baltische Staat hat die Regeln für Russen verschärft und verpflichtende Sprachtests eingeführt. Wer durchfällt, fliegt aus dem Land raus. Wasser auf Putins Mühlen: „Wenn Lettland die Bevölkerung, die dort leben will, weiterhin wie Schweine behandelt, werden diese Behörden bald mit Vergeltungsmaßnahmen konfrontiert sein“, sagt er.

Aber so wütend Putin auch ist, er weiß: Gegen die NATO hat er keine Chance. Noch nicht. Das könnte sich mit der US-Wahl im Herbst ändern, sollte Donald Trump gewinnen. Er hat in der Vergangenheit häufig angekündigt, die NATO verlassen zu wollen – und erst kürzlich damit gedroht, seinen Bündnispartnern in Europa im Fall eines Angriffs nicht zu Hilfe kommen zu wollen. Niemand kann abschätzen, wie ernst er das meint. Für die Ukraine, die sich seit zwei Jahren tapfer gegen Putin wehrt, wäre das ein Desaster – die USA sind ihr wichtigster Unterstützer. Fiele die Ukraine, stünde Putin vor den Toren der EU – nicht zuletzt aus dieser Sorge ist Polen bei Ausgaben für Verteidigung zum Spitzenreiter im Nordatlantischen Bündnis geworden. Bis 2026 sind Rüstungskäufe für umgerechnet 37 Milliarden Euro eingeplant. Davon werden Kampfpanzer, Kampfflugzeuge und Raketenwerfer aus USA und Südkorea gekauft. Bis das geliefert wird, dauert es aber.

Militärisch ist Europa schwach aufgestellt. Umfassend gerüstet ist eigentlich nur Großbritannien. Frankreich hat Atomwaffen, aber nur wenig Eskalationsstufen davor – die Bundeswehr in Deutschland ist in ähnlich gutem Zustand wie die Deutsche Bahn. Und dann ist auch die Frage, wie sich die EU mit dem zu erwartenden Rechtsruck im EU-Parlament künftig gegenüber den USA und Russland positionieren will – die meisten rechten Parteien Europas zeigten sich in der Vergangenheit eher putinfreundlich.

Die EU hat eine gemeinsame Verteidigungspolitik bisher verabsäumt. In vielen Ländern galt Entmilitarisierung in den vergangenen Jahrzehnten als bester Weg zum stabilen Frieden. Das ging lange sehr gut – und es gibt auch gute Argumente dafür: Was zu viele (unregulierte) Waffen anrichten können, sieht man in vielen Ländern der Welt.

Dennoch hat sich unsere Lage dramatisch geändert – und wie damit umzugehen ist, bedarf einer ernsthaften, breiten Diskussion. Wir sollten nicht darauf angewiesen sein, wie ein nur bedingt Zurechnungsfähiger wie Donald Trump gerade gelaunt ist – und ob es noch Erwachsene um ihn gibt, die ihn zu bremsen vermögen. Oder ob man sich noch darauf verlassen kann, dass Putin nicht endgültig größenwahnsinnig wird. Europa ist mächtig genug, um hier einen selbstbewussten Weg einzuschlagen.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.