Wer Gaza rettet, rettet Israel
Die Terrororganisation Hamas beweist ein weiteres Mal, zu welcher Barbarei sie fähig ist. Sie veröffentlicht Videos, die bis auf die Knochen abgemagerte Geiseln zeigen, eingekerkert in winzigen, dunklen Verliesen. Evyatar David, einer der vermutlich noch rund 20 lebenden Gefangenen der Hamas, schaufelt in dem kurzen Film sein eigenes Grab. Es ist unerträglich.
Israels Regierung unter Premier Benjamin Netanjahu nimmt die schrecklichen Bilder zum Anlass, um die Kritik an ihrem Vorgehen in Gaza erneut zurückzuweisen, und fragt: Ausgerechnet jetzt soll der Krieg beendet werden?
Nein, nicht ausgerechnet jetzt. Seit Langem schon und so rasch wie möglich. Der Krieg in Gaza macht seit vielen Monaten keinen Sinn mehr. Wer das sagte – und es waren viele, auch profil schrieb „Der Krieg muss enden“ (Ausgabe 19/2024) –, wurde von Netanjahu-Getreuen als Feind Israels und als Hamas-Unterstützer desavouiert. Die Erklärung von 28 Staaten, darunter Österreich, die im Vormonat auf ein Ende des Krieges drängte, war grundvernünftig. Zuletzt forderten 600 pensionierte israelische Generäle, Geheimdienstangehörige, hochrangige Polizisten und Diplomaten, darunter die ehemaligen Chefs des Auslandsgeheimdienstes Mossad, des Inlandsgeheimdienstes Shin Beth und der Armee, in einem Brief an US-Präsident Donald Trump ein sofortiges Kriegsende. Weil sie alle Israel hassen, Antisemiten sind und die Hamas unterstützen? Wohl kaum.
Die Hamas ist als militärische Formation längst besiegt, und zur Befreiung der Geiseln ist der Krieg kein taugliches Mittel. Im Gegenteil, ein Vorrücken der Armee in unmittelbare Nähe ihrer Kerker gefährdet ihr Leben.
Netanjahus Pläne enden allesamt in einem Desaster – für Palästina und Israel gleichermaßen.
Netanjahus Lebensmittelblockade hat die Geiseln ebenso wenig befreit wie die immer neue Intensivierung und Ausweitung des Krieges. Das Resultat waren – und sind – Tod und Hunger der Bevölkerung von Gaza. Tom Segev, prominenter israelischer Historiker und Schriftsteller, bekannte am Dienstag im „ZiB 2“-Interview: „Ich schäme mich dafür, was Gaza angetan wird.“ Israels Regierung führt die Streitkräfte und den Staat moralisch und politisch ins Verderben. Wer proisraelisch denkt, muss sich Netanjahus verhängnisvollen Plänen entgegenstellen, denn sie enden allesamt in einem Desaster – für Palästina und Israel gleichermaßen.
Die alles entscheidende Frage ist, wer in Gaza die Macht übernehmen soll. So lange nämlich niemand an die Stelle der Hamas tritt, bleibt die Terrororganisation de facto Herrscherin von Gaza. Netanjahus Antwort lautet: Keinesfalls darf die palästinensische Regierung unter Präsident Mahmud Abbas oder einem zu wählenden Nachfolger an die Macht kommen. Wer aber dann? Netanjahus Ankündigung, den Gazastreifen zur Gänze durch die Armee besetzen zu lassen, führt noch tiefer in die Katastrophe – für Geiseln, Palästinenser und israelische Soldaten. Israel soll wieder – wie schon von 1967 bis 2005 – zur militärisch präsenten Besatzungsmacht im Gazastreifen werden. Davor warnt vor allem die Armeeführung eindringlich. Dennoch beschloss das israelische Sicherheitskabinett am Donnerstag, die Streitkräfte müssten die Kontrolle über Gaza-Stadt übernehmen. „Temporär“ werde die Besetzung sein, verspricht Netanjahu, der eines kategorisch ausschließt: einen von Palästinensern regierten Staat.
Wer jedoch eine palästinensische Führung ablehnt, befürwortet, dass zehn Millionen Israelis dauerhaft über fünf Millionen Palästinenser herrschen – eine garantierte Perpetuierung des blutigen Nahostkonflikts.
In Israel wird eine noch schlimmere Option debattiert: die ethnische Säuberung, ausformuliert vom israelischen Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir: „Wir müssen nach Hause zurückkehren, in den ganzen Gazastreifen. Diejenigen, die von dort auswandern müssen, sind die Feinde.“
Betrachten wir zum Vergleich den Vorschlag von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron: die Anerkennung eines palästinensischen Staates unter Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde. Deren Präsident Mahmud Abbas verurteilt die Terrorattacken des 7. Oktober 2023, er fordert die sofortige Freilassung der Geiseln und die Entwaffnung der Hamas, er erkennt den Staat Israel an und verspricht Wahlen im Westjordanland und im Gazastreifen im Jahr 2026.
In einem solchen Staat Palästina hätte die Hamas keine Macht mehr, Israel wäre nicht zur ewigen Besatzung verdammt, und es wäre nicht versucht, das monströse Verbrechen ethnischer Säuberung zu begehen. Alle vernünftigen Kräfte müssen für diesen Plan kämpfen, um Gaza und Israel zu retten.