Wie damals
Neun Jahre gab es profil, als ich mit meiner Kolumne dazustieß, und seither sind wir fix z’samm. Eine harmonische Beziehung. Wir können einander gut leiden (manchmal mehr, manchmal weniger), und wir lassen einander sein, wie wir sind. Passt. So viel vorweg.
Manche Themen, über die ich in all der Zeit geschrieben habe, haben sich als Dauerbrenner entpuppt. Leider. Eins davon heißt: vererbte Bildung.
Als ich anfing mit der Kolumne, war ich eine junge Mutter und mein Kind noch vier Jahre vom Schuleintritt entfernt. Heute habe ich einen Enkelsohn, der im Herbst ins Gymnasium kommt. Und kontinuierlich beobachte ich seit 40 Jahren, wie andere Kinder nicht ins Gymnasium kommen, weil ihre Eltern sich nicht trauen, sie dorthin zu schicken. Ich meine damit nicht Eltern, denen egal ist, was aus ihren Kindern wird. Sondern liebevolle, besorgte, die es sonst an nichts fehlen lassen – nur an Mut, ihre Kinder den angeblich unerhört hohen Anforderungen eines angeblich elitären Schultyps auszusetzen, obwohl diese im Volksschulzeugnis lauter Einser haben.
Diese Eltern schrecken vorm Gymnasium zurück, weil sie selber keine höhere Schule besucht haben und daher befürchten, den Kindern beim Lernen nicht helfen zu können. Sie haben nämlich zweierlei verinnerlicht. Erstens: Es wird darauf vertraut, dass Eltern daheim den Schulstoff wiederholen und dafür sorgen, dass er sitzt. Und zweitens: Der Schulstoff der höheren Schulen ist derart knifflig, dass die bildungsferneren Schichten nur ja nicht glauben sollen, sie könnten so ohne Weiteres damit fertigwerden.
Auch das ist eine (Langzeit-)Wirkung unseres selektiven Bildungssystems, das schon die Zehnjährigen auseinanderdividiert: Es schreckt ab – nämlich Eltern, die nicht darauf konditioniert sind, so nonchalant Bildungschancen für ihren Nachwuchs zu beanspruchen wie Eltern aus Akademikerfamilien. Deshalb kommen die Kinder der Letzteren ins Gymnasium, auch wenn sie in der Volksschule nicht zu den Besten gehören, und andere nicht, wiewohl sie spielend lernen und ihre Lehrerin die Eltern bekniet, sie doch bitte, bitte in die höhere Schule gehen zu lassen.
Damals, als ich zur Schule ging, war mir nicht klar, welches Glück ich mit meiner Mutter hatte, die darauf bestand, mich ins Gymnasium schicken, obwohl sie selber dieses Privileg nicht genossen hatte und jedes Trimester das Schuldgeld dafür zusammenkratzte, weil auch der Besuch öffentlicher höherer Schulen zu dieser Zeit nicht kostenlos war. (Ja, echt, kann man gar nicht glauben, oder?) Heute weiß ich, was ich ihr verdanke.
An dieser Stelle höre ich Protest. Man kann doch auch ohne Matura/Studium im Leben vorankommen! Schätzen wir doch die Lehrberufe nicht gering!
Ja, eh. Und ja, eh nicht. Trotzdem macht es wütend, wie Klassenschranken nach wie vor funktionieren. Denn keinem anderen Zweck dient das Beharren auf der frühen Selektion, und nichts anderes steckt dahinter, wenn Menschen, die halt nicht ins Gymnasium gegangen sind, glauben, dass ihre Kinder scheitern werden, weil sie sie nicht ausreichend coachen können.
Als ob alle, die maturiert und studiert haben, später imstande wären, ihren Kindern den Mathestoff der sechsten Klasse oder spanische Grammatik zu erklären! Meistens können sie es nicht, und tatsächlich sollen sie es gar nicht können müssen, weil das die Aufgabe der Schule ist. Längst wissen wir, was nötig wäre, damit Bildung nicht auf bestimmte Sozialschichten beschränkt und solcherart vererbt wird: eine gemeinsame Schule bis 14 (differenziert, aber nicht segregierend) und qualitativ hochwertige Ganztagsschulen, damit betreutes Lernen keine Frage häuslicher Privilegien (und sei es in Form bezahlter Nachhilfe) bleibt. Doch die Klassenschrankenwärter sind dagegen – und das bis heute mit Erfolg.
Dabei ist deren gute alte Klassengesellschaft längst dabei, von den Tech-Imperialisten und ihrer Vorstellung von einer posthumanen Welt überrollt zu werden. Wär gut, wir könnten diesen Umtrieben möglichst viele möglichst gebildete junge Menschen entgegensetzen.