Zoll-Flop: politisches Armutszeugnis, ökonomisches Roulette

Warum die Vereinbarung zwischen der EU-Kommission und US-Präsident Donald Trump die Bezeichnung „Deal“ nicht verdient – und warum sich Europa jetzt nicht ausruhen darf.

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Kann es einen „Deal“ geben, den nur eine Seite will und von dem nur einer profitiert? Nur in der Welt der Polit-PR. Gleich acht Mal kommt das Wort „Deal“ in einem schriftlichen Statement vor, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Zoll-Vereinbarung mit US-Präsident Donald Trump am vergangenen Sonntag veröffentlichen ließ. Wobei sich „Deal“ in der Außenwahrnehmung natürlich besser liest als zum Beispiel das Wort „Kniefall“.

Das, was präsentiert wurde, wirkt wie eine Aneinanderreihung von Zugeständnissen der EU an die USA: Künftig heben die USA 15 Prozent Zoll auf die meisten Einfuhren aus Europa ein, ohne dass die EU Gegenmaßnahmen setzt. Die Union kauft den Vereinigten Staaten Gas, Öl und nukleare Brennstoffe für rund 700 Milliarden Euro ab. Sie erwirbt spezielle Computer-Chips für 40 Milliarden Euro. Und europäische Unternehmen sollen zumindest 550 Milliarden Euro in den USA investieren.

Frommer Wunsch oder Naivität?

Echte Vorteile für die europäische Wirtschaft muss man mit der Lupe suchen. Hauptargument ist, man habe noch viel höhere Zölle abwenden können, die Trump bereits angedroht hatte. Von der Leyen zufolge bringe die Vereinbarung nun „Stabilität und Vorhersehbarkeit“. Angesichts der Art und Weise, wie Donald Trump sein Amt anlegt, klingt das bestenfalls nach einem frommen Wunsch, im schlechteren Fall nach Naivität.

Politisch ist die EU-Trump-Vereinbarung ein Armutszeugnis für die Europäische Union. Technisch gesehen brauchen die USA die EU gar nicht, um Zölle einzuheben – faktisch handelt es sich dabei nämlich um eine Steuer innerhalb der USA, die jenes US-Unternehmen bezahlt, das betroffene Güter aus Europa importiert. Mit ihrer nunmehrigen Zustimmung verzichtet die EU aber auf Gegenmaßnahmen und legalisiert quasi das einseitige Vorgehen Trumps, das – aus ihrer bisherigen Sicht – gegen grundlegende Welthandelsregeln verstößt.

Audienz im Golfklub

Und dann ist da noch die Inszenierung: Trump kam nicht etwa nach Brüssel, sondern hielt selbst Hof. Von der Leyen musste auf ihrem eigenen Kontinent zur Audienz pilgern – in einen schottischen Golfklub des US-Präsidenten. Der war eigentlich auch mehr zum Golfspielen da und erledigte das politische Tagesgeschäft eher nebenher. Dass die Kommissionspräsidentin in ihrem offiziellen Statement dann auch noch Trump persönlich dankte, seine Führungsstärke hervorhob und ihn als „harten Verhandler“ und „Dealmaker“ lobte, lässt sich wohl nur als Kotau interpretieren.

Es ist ein Vorgang, der die Schwäche Europas widerspiegelt: Einerseits ist man in sicherheitspolitischen Fragen stark von den USA abhängig und will Trump daher bei Laune halten. Andererseits haben die EU-Staaten keine einheitliche Linie, die ein härteres Auftreten ermöglichen würde. Wenn rechte Politiker in Europa nun über von der Leyen spotten, lässt sich auch sagen: Sie haben ihren Teil dazu beigetragen, ein machtpolitisch gewichtigeres Brüssel zu verhindern.

Unabsehbare Risiken

Weisen wird sich, welche ökonomischen Folgen die nunmehrige Vereinbarung haben wird. Die Zölle verteuern Waren aus der EU auf dem US-Markt, das verschlechtert die Marktposition der Hersteller. Kurzfristig rechnen Experten zwar auf gesamtwirtschaftlicher Ebene mit keinen allzu großen Verwerfungen für Europa. In einzelnen, besonders exportabhängigen Branchen kann das freilich ganz anders aussehen und letztlich auch den Wirtschaftsstandort schwächen. Unabsehbare Langfristrisiken ergeben sich zudem daraus, dass die EU nun ihrerseits vom Prinzip eines regelbasierten Welthandels abgeht – und das Recht des Stärkeren akzeptiert.

Größter Unsicherheitsfaktor ist und bleibt jedenfalls Trump: Niemand kann verhindern, dass der US-Präsident schon in ein paar Wochen weitere Zölle androht, weil ihm irgendetwas nicht passt. Vielleicht, wenn durchsickert, dass die versprochenen Käufe von Gas und Öl in dieser Größenordnung gar nicht darstellbar sind?

Politisch ist das Vorgehen der EU ein Armutszeugnis, ökonomisch ein Roulette: Man wird sehen, wo die Kugel liegen bleibt. Wichtig wäre jedenfalls, das eigene Gerede von einem „Deal“ nicht auch noch selbst zu glauben – und auf Hochdruck an größtmöglicher Unabhängigkeit in allen machtpolitisch relevanten Bereichen zu arbeiten. Und zwar nicht nur mit Blick auf die USA.

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.