Kennedys Krieg gegen Impfungen: Wie der US-Minister Studien bekämpft
Robert F. Kennedy jr. ist ein Serientäter. Mit denkwürdiger Regelmäßigkeit irritiert der amerikanische Gesundheitsminister mit ausgesucht unsinnigen Behauptungen über Medizin und Wissenschaft. Zu seinen Lieblingsthemen zählen die angeblich mangelnde Sicherheit von Impfungen und krass simple Erklärungen über die Ursachen von Autismus. Und während er der etablierten Medizin gerne mit Skepsis begegnet, findet er offenbar Gefallen an nutzloser Pseudomedizin wie Methylenblau.
Nun hat er, was in der Berichterstattung ein wenig untergegangen ist, noch einen Gang zugelegt: Diesmal schürte Kennedy nicht bloß Wissenschaftsskepsis, sondern versuchte, in die Publikation wissenschaftlicher Daten aktiv einzugreifen. Er äußerte den Wunsch, dass eine Studie, deren Resultate ihm nicht in den Kram passen, aus dem Verkehr gezogen wird.
Warum Studien zurückgezogen werden
In der Fachsprache nennt man dies eine „Retraction“. Es ist die größte Schmach für Forschende, wenn die eigene Arbeit zurückgezogen und somit gleichsam aus dem großen Pool wissenschaftlicher Erkenntnisse entfernt wird. Retractions kommen relativ häufig vor, allerdings nicht, weil einem Politiker gerade danach zumute ist, sondern wenn die betreffende Studie gravierende Mängel aufweist. Dies können schlicht Fehler der Autoren sein: wenn Daten in Grafiken nicht stimmen, Ergebnisse mit ungeeigneter Statistik erzielt oder wichtige Erkenntnisse ignoriert wurden, die der eigenen These widersprechen.
Schlimmer sind jene Fälle, in denen vorsätzlich gefälscht wurde. Auch das geschieht – etwa ausgerechnet bei jener gerne von Kennedy erwähnten (und längst zurückgezogenen) Studie, die einen Zusammenhang zwischen der Masernimpfung und Autismus unterstellte.
Impfungen und Aluminium
Auch nun ging es um Impfungen: Kennedy stieß sich an einer dänischen Arbeit, die der Frage nachging, ob Aluminium in Impfstoffen mit einem erhöhten Risiko für chronische Erkrankungen bei Kindern einhergeht, darunter Allergien, Autoimmunleiden und neurologische Erkrankungen. Die Autoren hatten Daten von 1,2 Millionen dänischen Kindern über zwei Jahrzehnte ausgewertet und waren zu einem klaren Schluss gelangt: kein signifikanter Zusammenhang zu Aluminiumsalzen, die vor allem in der Vergangenheit häufig als sogenannte Impfkraftverstärker zum Einsatz kamen.
Das gefiel Kennedy gar nicht. Weshalb er forderte, die Studie solle zurückgezogen werden.
Das Fachjournal „Annals of Internal Medicine“, in dem die Untersuchung erschienen war, reagierte deutlich weniger kulant als zuletzt viele auffallend kleinlaute Vertreter des Wissenschaftsbetriebes. Die Antwort auf Kennedys Ansinnen lautete: sicher nicht. Und das ist gut so.
Denn wenn, was keineswegs selten geschieht, ein Fachartikel in Verdacht gerät, fehlerhaft zu sein, prüft ein Gremium aus Expertinnen und Experten der jeweiligen Disziplin, ob die Vorwürfe berechtigt sind. Dann werden Bilder, Grafiken und Statistiken, die zitierte Literatur sowie die aus all den Daten abgeleiteten Schlüsse einer Kontrolle unterzogen. Basierend darauf muss das Fachjournal entscheiden, ob eine Retraction angebracht ist oder nicht.
Fehltritte werden öfter bekannt
Zwar sind viele Journale nach wie vor viel zu zögerlich und drücken sich oft jahrelang selbst dann um Retractions, wenn Fehlverhalten der Autoren eindeutig nachgewiesen wurde. Zugleich ist aber Scientific integrity ein viel größeres und wichtigeres Thema als früher, und wer Fehler begeht oder gar manipuliert, muss eher als in der Vergangenheit damit rechnen, enttarnt zu werden – und damit, dass dies auch öffentlich bekannt wird. Dafür sorgen eigens gegründete Web-Plattformen wie „Retraction Watch“, die täglich über Fehltritte der Wissenschaft berichten.
Sollte also die dänische Studie Fehler beinhalten, müsste zunächst dieses inzwischen übliche Prozedere durchlaufen werden. Es mag längst nicht perfekt sein – doch schon gar nicht können Retractions vom Geschmack eines Politikers mit originellem Meinungsspektrum abhängig sein.
Betrifft uns das auch hier in Europa? Ja, selbstverständlich: Ob die Kernaussagen wissenschaftlicher Studien im Kanon akzeptierter Erkenntnisse verbleiben oder nicht, bildet die Grundlage für weitere Studien und letztlich für Entscheidungen der Medizinsysteme, und zwar überall auf der Welt.