
Im Chefket-Eklat verfangen: der deutsche Star-Satiriker Jan Böhmermann
Cancel-Chaos überall: Die Sache mit der Meinungsfreiheit
Grubenarbeiter schützten sich einst vor dem jähen Tod durch geruchloses Giftgas, indem sie Kanarienvögel in die Kohlenmine mitnahmen. Wenn die Tiere im Käfig unter Tag von der Stange kippten, machte man sich besser schnell wieder an den Aufstieg ans Tageslicht.
Amerikas Late-Night-Hosts, deren politische Satire der Trump-Administration offenbar hochgradig staatszersetzend erscheint, seien so etwas wie Minen-Kanarienvögel, die vor den toxischen Dämpfen aus der Tiefe des Faschismus warnen, in die Trumps Administration gerade hinabsteigt: So hat dies unlängst der deutsche Autor und Comedian Marc-Uwe Kling formuliert.
Tatsächlich erregen die jüngsten Interventionen gegen die nächtlichen TV-Comedy-Stars Besorgnis: Stephen Colberts Show wird im Mai 2026 abgesetzt werden, und Jimmy Kimmel wurde nach einem nicht einmal besonders taktlosen Scherz über den Umgang der US-Regierung mit dem Mord an Charlie Kirk erst fristlos gefeuert, dann wieder eingestellt. Eine Demokratie, die kritische Stimmen systematisch zum Schweigen bringt, verdient diesen Namen nicht.
Das Sprechverbot für Satiriker ist nur der letzte Akt in dem beispiellosen Köpferollen, das Donald Trump seit seinem Amtsantritt unter Richtern, Staatsanwältinnen und sogar in der Chefetage des FBI veranstaltet: eine neue rechte Wokeness, gegen die sich inzwischen auch ein paar republikanische Hardliner wehren, scheint sich nicht nur in den USA auszubreiten.
Grenzwertige Botschaften
Es ist ein Kreuz mit der Meinungsfreiheit: Kaum meint man, wenigstens für sich selbst halbwegs schlüssig definiert zu haben, welche Art von grenzwertigen Botschaften eine gefestigte Demokratie aushalten müsste, tauchen wieder neue Grenzfälle auf, die alle vermeintlichen Gewissheiten über den Haufen zu werfen drohen.
Der Moderator, Journalist und Redefreiheitsverfechter Jan Böhmermann („Magazin Royale“) lud am vergangenen Montag den Rapper Chefket, den er für ein Konzert im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe ins Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) eingeladen hatte, jäh wieder aus, weil dieser ein T-Shirt mit „Palestine“-Aufschrift und zwei kleinen Emblemen auf der Brust getragen habe, die das Gebiet des Staates Israel darstellten – nur ohne Erwähnung des Namens „Israel“; wenige Tage zuvor war der Publizist Michel Friedman, angeblich aus Kostengründen, aufgefordert worden, seine geplante Lesung in der Kleinstadt Klütz in Mecklenburg-Vorpommern nicht zu halten. Dazu muss man wissen: In Klütz wählen fast 40 Prozent der Wahlberechtigten die rechtsextreme AfD, und Friedman selbst stellte in der „Zeit“, auf sein Judentum anspielend, fest: „Die zweite Begründung war, dass ich zu dem Ort nicht passe.“ Friedman reiste dann einfach ohne Einladung hin, um auf offener Bühne zu diskutieren, was da genau passiert sein könnte.
Integrität garantieren?
Chefket, 38, bürgerlich Şevket Dirican, hätte ausgerechnet am 7. Oktober im HKW auftreten sollen. Doch Deutschlands konservativer Kultur- und Medienstaatsminister Wolfram Weimer, bereits als Gegner gendergerechter Sprache auffällig geworden, hatte Druck gemacht, das T-Shirt des Künstlers als „antisemitisch“ gebrandmarkt – und Böhmermann dazu gebracht, seinen eigenen Gast zu canceln: „Wir sehen und hören den Einspruch insbesondere auch von jüdischer Seite gegen den Konzertabend am 7. Oktober 2025“, ließ der Investigativ-Comedian per Aussendung wissen. „Diesen Einspruch nehmen wir ernst. Er ist Anlass für uns, die Veranstaltung, deren Integrität wir nicht mehr garantieren können, an diesem Tag abzusagen. Am zweiten Jahrestag des Terrorangriffs vom 7. Oktober 2023 soll keine von uns präsentierte Veranstaltung daran auch nur den geringsten Zweifel lassen.“
Nun ist dies angesichts des langjährigen Engagements Böhmermanns für Kunst- und Meinungsfreiheit besonders interessant: Das schnelle Einknicken eines die Cancel-Culture sonst so hartnäckig geißelnden politischen Entertainers scheint auch auf die immensen Druck- und Zugkräfte hinzuweisen, die da im Hintergrund mobilisiert wurden. Dies führt offenbar dazu, dass selbst für integer gehaltene Kräfte dieser Tage ihr Fähnchen nach dem Wind richten: wie man es eben gerade braucht.
Der Berliner PEN-Club, des Antisemitismus definitiv unverdächtig, mahnt deshalb Differenzierung ein – und stellte per offenem Brief ein paar naheliegende Fragen: unter anderem jene, warum bislang niemand den Musiker selbst dazu aufgefordert habe zu erklären, was sein T-Shirt eigentlich darstellen und bedeuten sollte. Und an Jan Böhmermann richtete man eine bange Frage: „Endet die Lust an der Provokation zuverlässig da, wo man sich wirklich mit der Macht anlegen müsste?“ Den Kulturminister schließlich konfrontierte man mit einem entgeisterten Zitat Michel Friedmans: „Was mischt sich ein Politiker in die Programmplanung eines Literaturhauses ein?“ Und der PEN-Club ergänzt: „Ganz recht, Herr Weimer, Sie dürfen diese Frage gern auf sich beziehen.“