profil-Morgenpost

So wollen wir nicht sein!

Warum wir alle Schaden an der Medien-Chat-Affäre nehmen.

Drucken

Schriftgröße

Österreich ist eine verhaberte Republik. Nie ist mir das deutlicher aufgefallen als heute, wo ich – mit etwas Distanz – drei Flugstunden davon entfernt lebe. Kalt lässt mich dieses Korruptions-Kasperltheater nicht. „So sind wir nicht!“, will ich protestieren, weil in Österreich (anders als in den Ländern, aus denen ich berichte) vieles ausgesprochen gut funktioniert: Öffentlicher Verkehr, Justiz und Staatsanwaltschaft bis hin zu der in Europa einzigartigen Sozialpartnerschaft. Aber gleichzeitig geistern seit Jahren Chats durch das Land, die uns ungeschönt aufzeigen, wie es sich die Einflussreichen selbst richten.

So ist das. So sind wir also offenbar doch.

Bisher stand die Politik im Zentrum der Chats. Jetzt sind die Medien zum Objekt der Berichterstattung geworden. Meine Kollegen Michael Nikbakhsh und Stefan Melichar haben das am Beispiel von Rainer Nowak, seit 2012 Chefredakteur der Tageszeitung „Die Presse“ aufgearbeitet – auch visuell inklusive Bussi-Bussi-Emoji. 

Strafrechtlich relevant sind diese Nachrichten nicht. Ihr Schaden für die Branche aber ist enorm.

Da tauscht sich ein Chefredakteur nicht nur sehr amikal mit einem Spitzenbeamten und ÖVP-Intimus aus („Machen wir Buben-Urlaub“), sondern plant mit ihm gemeinsam den nächsten Schritt auf der Karriereleiter („Jetzt musst du mir bitte beim ORF helfen“) Nowak berät Schmid sogar dabei, wie er auf Presseanfragen (aus seiner eigenen Redaktion) antworten soll. Was für ein Vertrauensbruch! Was für ein Interessenskonflikt!

All das bringt den Journalismus, der ohnehin Vertrauen eingebüßt hat, in Erklärungsnot.

Dabei ist unser Rollenverständnis einfach: Wir stehen einzig und allein im Dienste der Öffentlichkeit. Wir sind die vierte Gewalt im Staat, beobachten und befragen die Mächtigen, aber machen uns nicht mit Ihnen gemein. Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit sind unser Kapital. Verspielen wir es, müssen wir den Hut ziehen.

Diese Verantwortung bringt ein einzigartiges Privileg mit sich. Menschen vertrauen uns ihre Geschichte an, wir bekommen exklusive Einblicke und können, ja müssen sogar, mit allen Seiten reden. Für meine Generation ist dieser Job finanziell undankbar und unsicher geworden, aber er ist sinnvoller und wichtiger denn je. Umso mehr gilt es, vertrauensvoll damit umzugehen.

Nicht immer wird uns das vorgelebt.

Zwei Chefredakteure in Österreich sind zurückgetreten – ein bisschen zumindest. ORF-Chefredakteur Matthias Schrom, der mit dem FPÖ-Chef und damaligen Vizekanzler Heinz Christian Strache über berufliche Interna und Personalwünsche chattete, ist beurlaubt. Im Vorfeld hatte der ORF-Redaktionsrat mit klaren Worten protestiert. Auch Rainer Nowak stellt seine Funktion nach Angaben der Styria Media Group bis zum Vorliegen von internen Untersuchungsergebnissen ruhend. 

Beide betonen, dass ihre Redaktionen immer weisungsfrei arbeiten konnten.  Der Eindruck, den die Chats der Öffentlichkeit vermitteln, ist ein anderer. Es wirkt, als würden die beiden Chefredakteure eher mit der Politik zusammenarbeiten als mit ihren eigenen Mitarbeitern.

Die jüngsten Rücktritte (die eigentlich ein Zur-Seite-Treten sind) markieren mit Sicherheit nicht das Ende der Verhaberung zwischen Politik und Medien. Im Idealfall können sie eine Erinnerung sein, was unser eigentlicher Auftrag ist.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.