Eine junge Frau nimmt Medikamente zusammen mit einem Glas Wasser ein.
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Das Autismus-Märchen: Wie Donald Trump Schwangere verängstigt

Nein, das Schmerzmittel Paracetamol verursacht nicht Autismus – genau so wenig wie die Masernimpfung. Wieder verbreitet der US-Präsident Medizinmythen. Eine Richtigstellung.

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Entschuldigung, dass hier schon wieder von Donald Trump die Rede ist, noch dazu in aller Frühe. Im Grunde wäre längerfristiges Trump-Detox erstrebenswert, aber leider vereiteln seine Wortspenden diesen Plan wieder einmal gründlich. Man muss sich notgedrungen damit befassen, besonders dann, wenn seine Äußerungen potenziell gesundheitsgefährlich sind.

In dieser Disziplin ist der US-Präsident ja inzwischen Profi, wenn man beispielsweise an seine einstige Empfehlung denkt, Coronavirus-Infektionen zu bekämpfen, indem man mit Chlorbleiche gurgelt.

Diesmal geht es um Schmerzmittel, genauer um solche mit dem Wirkstoff Paracetamol. Vorgestern riet Trump, assistiert von seinem ebenfalls gerne mit wissenschaftlicher Evidenz kollidierenden Gesundheitsminister Robert F. Kennedy jr., schwangeren Frauen davon ab, Tylenol einzunehmen. Unter diesem Markennamen wird Paracetamol in den USA vertrieben. Er sage es ganz offen, so Trump in gewohnt einfacher Sprache: Tylenol sei nicht gut. Denn das Präparat erhöhe das Risiko für Autismus stark. Frauen sollten es daher nicht zur Fiebersenkung konsumieren.

Fieber als Gefahr für Ungeborene

Praktisch umgehend widersprach die gesamte Fachwelt: von medizinischen Universitäten über gynäkologische Gesellschaften und die europäische Arzneimittelagentur EMA bis zur Weltgesundheitsorganisation WHO: Trumps Behauptungen seien falsch, es gebe keinerlei Belege für einen kausalen Zusammenhang zwischen Tylenol respektive Paracetamol und Autismus. Überdies sei unbehandeltes Fieber während der Schwangerschaft weitaus gefährlicher für den Fötus als potenzielle Risiken durch Paracetamol.

Der Wirkstoff Paracetamol zählt zu den am meisten bewährten und bestuntersuchten Schmerzmitteln, in der Fachsprache Analgetika. Abgesehen von Opiaten gelangen vor allem zwei große Gruppen zu breitem internationalem Einsatz: zum einen solche, die auf Paracetamol basieren. In den USA werden sie unter Bezeichnungen wie Panadol und Tylenol vertrieben, letzteres bereits seit den 1950er-Jahren. In Europa und auch in Österreich heißen die Medikamente etwa Mexalen, Thomapyrin oder, gleich wie der Wirkstoff, schlicht Paracetamol.

Die zweite große Gruppe sind die Nicht-steroidalen Antirheumatika, kurz NSAR oder NSAID. Sie wirken nicht nur schmerzlindernd und fiebersenkend, sondern auch entzündungshemmend. Zu diesen Präparaten zählen beispielsweise die Marken Ibuprofen, Diclofenac und Aspirin.

Verdacht auf Nebenwirkungen

Besonders die Gruppe der NSAR steht, anders als Paracetamol, inzwischen im Verdacht, bei längerfristiger Einnahme eine ganze Reihe unerwünschter Effekte auszulösen, darunter Magen-Darm-Probleme, Organbeeinträchtigungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zuletzt gab es außerdem Indizien dafür, dass die Präparate das Mikrobiom schädigen können – jene Bakteriengemeinschaft im Darm, auf der Haut und im Mund, die wesentlich dazu beiträgt, den Organismus gesund zu erhalten. Fachleute raten daher heute zu einem möglichst restriktiven Umgang mit diesen Medikamenten, so hilfreich sie kurzfristig und im Akutfall sind.

Wir alle wirksamen Medikamente kann auch Paracetamol unerwünschte Wirkungen haben (weshalb Ärzte grundsätzlich raten: so wenig wie möglich und so kurz wie möglich). Dokumentiert sind in seltenen Fällen zum Beispiel Beeinträchtigungen der Leber sowie Haut- und allergische Reaktionen. Doch im direkten Vergleich mit der Klasse der NSAR gilt das Sicherheitsprofil als deutlich höher und die Verträglichkeit als eindeutig besser. Umso problematischer und verantwortungsloser daher, so urteilte gestern die Medizinplattform „Medscape“, bei schwangeren Frauen ausgerechnet im Hinblick auf diese Medikamentengruppe Ängste zu schüren, die für sie als sicherste Option gelten – und die Risiken durch Fiebererkrankungen weitaus höher seien als jene durch deren Behandlung mit Paracetamol, wie auch Medscape betonte.

Betrug als Basis für den Impf-Mythos

Was Autismus und frühkindliche Entwicklungsstörungen betrifft, sei die Studienlage zudem eindeutig: Tatsächlich gebe es zwar einzelne Studien, die solche Symptombilder mit Paracetamol in Verbindung bringen. Allerdings seien diese Studien zumeist wenig solide, teils widersprüchlich, sie würden auf dünner Datenbasis beruhen, außerdem fehle ein plausibler medizinischer Mechanismus, der erklären könnte, wie genau Paracetamol Autismus auslösen soll. Demgegenüber stünden viele große Studien, zum Teil solche mit rund zweieinhalb Millionen Personen, die keinerlei Zusammenhang sehen.

Es ist freilich nicht das erste Mal, dass Trump und Kennedy gegen jede Evidenz die Medizin für das Autismus-Spektrum verantwortlich machen, das in Wirklichkeit überwiegend genetisch bedingt ist. Ihr Lieblingsfeindbild waren bisher Impfungen – und ihr Hauptzeuge dafür, dass die Masernimpfung Autismus verursacht, war ein einzelner Studienautor, dessen Arbeit darüber längst als Wissenschaftsbetrug entlarvt und aus dem Verkehr gezogen wurde.

Alwin Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft