profil-Morgenpost

Die Tote und die Klima-Kleber – die Eskalation war programmiert

profil hat die Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ über Wochen begleitet. Auch in Wien kommt es bei ihren Straßenblockaden zu gefährlichen Szenen.

Drucken

Schriftgröße

Über Wochen habe ich die Aktivisten der „Letzten Generation“ dabei beobachtet, wie sie den Wiener Frühverkehr blockieren und sich mit Superkleber auf den Asphalt kleben, bevor die Polizei sie wegzerren kann.

Ein Auszug aus der Story: Martha Krumpeck hat die größere Fünf-Gramm-Klebstofftube verwendet und sich beim Ankleben zusätzlich auf die Hand gesetzt. So verlängert sie den Prozess des Ablösens maximal, damit ihr mehr Zeit bleibt, ihre Botschaften anzubringen. „Wir machen das hier nicht zum Spaß. Uns bleiben nur noch zwei bis drei Jahre”, sagt sie in mehrere Handykameras. Ein Polizist schützt ihre Hand vor Autos, die über die Straßenbahnschienen ausweichen – nur Zentimeter an Krumpecks Fingern vorbei. Mehr lesen Sie im aktuellen E-PaperHier geht’s zur Videoreportage.

Die Leitfrage hinter der Recherche, wie radikal diese Aktivisten sind, was sie antreibt, wie weit sie noch zu gehen bereit sind, bekam durch einen tragischen Todesfall in Berlin zusätzliche Brisanz. Eine Radfahrerin war unter einen Betonmischer eingeklemmt, ein Notfallwagen kam wegen eines Staus, den Klima-Kleber provoziert hatten, nicht rechtzeitig zum Unfallort. Seither stehen die Aktivisten unter Generalverdacht. „Das ist eure Schuld!“, titelt die Bild-Zeitung. Selbst einer, der eher auf der Seite des Klima-Aktivismus steht, der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck, meint: „Unabhängig von der Aufklärung des Vorfalls muss gelten: Protestformen, die Menschen gefährden, sind falsch. Proteste einiger Gruppen tun aber inzwischen genau das. Das Leben anderer und ihr eigenes gefährden.“

Die Aktivisten schieben die Schuld auf die Autofahrer im Stau, weil deren Rettungsgasse nicht funktioniert hätte; sie selbst würden Einsatzfahrzeuge immer durchlassen. Und sie berufen sich auf eine Notärztin, die zu Protokoll gab, dass es den Notfallwagen gar nicht mehr gebraucht hätte.

Zwischen Selbstverletzung und Selbstjustiz

Welche Version am Ende auch übrigbleibt – solche Zwischenfälle samt der eskalierenden Debatte im Anschluss waren vorprogrammiert. Denn illegale Straßenblockaden entgleisen früher oder später fast zwangsläufig. Auch in Wien kommt es immer wieder zu heiklen Situationen. Entnervte Autos weichen über Straßenbahnschienen aus, gefährden dabei Fußgänger, zwingen Bims zur Notbremsung. Autofahrer üben Selbstjustiz, zerren nichtangeklebte Aktivisten von der Straße, übergießen sie mit Flüssigkeiten, oder teilen gar Watschen aus. Auch die Aktivisten selbst agieren immer halsbrecherischer. Sie stellen Autos, die ausweichen, sprichwörtlich ein Bein – unsicher, ob die Autos auch wirklich bremsen. So beobachtet bei einer Blockade der rechten Wienzeile.

Die Folge all dessen: Es wird nur noch über die Protestform und nicht mehr über das Protestziel gestritten. Oder kennen Sie die Kernforderung der „Letzten Generation“ von Wien bis Berlin? Es ist Tempo 100 km/h auf allen Autobahnen.

Dass der Aktivismus der Klima-Kleber in einer Sackgasse gelandet ist, zeigt auch die wachsende Distanz der anderen Klima-Bewegungen wie „Fridays for Future“ zu ihnen. Die neun Prozent der Österreicher, die laut profil-Umfrage das Treiben der „Letzte Generation“ goutieren, könnten nach dem Berliner Vorfall wieder abgeschmolzen sein.

Die Atempause, die sich die Wiener Aktivisten nach ihrer großen Blockade am Naschmarkt vor einer Woche verpasst haben, kommt zur rechten Zeit.

Clemens Neuhold

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.