Eine Nonne schaut auf ihr Handy, während im Hintergrund ein Porträt des verstorbenen italienischen Teenagers Carlo Acutis auf der Fassade des Petersdoms zu sehen ist, kurz vor der Heiligen Messe und der Heiligsprechung des seligen Carlo Acutis auf dem Petersplatz im Vatikan am 7. September 2025.
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Heiligsprechung eines Teenagers: Die Kirche entdeckt das Internet

Die katholische Kirche hat den italienischen Teenager Carlo Acutis zum Heiligen erwählt. Das zeigt: Die in die Jahrtausende gekommene Institution freundet sich mit dem Internet an. Halleluja, was kommt als nächstes?

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Auch wenn es jüngst um Robert Francis Prevost ein wenig ruhig geworden ist – Papst Leo XIV. ist der Welt nicht abhanden gekommen. Leos Vorgänger Jorge Mario Bergoglio aka Franziskus, der Mann im weißen, von Künstlicher Intelligenz erstellten Daunenmantel und mit Renault R4, wusste vielleicht besser um die absolute Währung öffentlicher Aufmerksamkeit Bescheid. Untätig ist Leo XIV. allerdings nicht. Im Gegenteil: Hyperaktivität im Vatikan, Tigerzeitsprünge, Kirche goes online! Darüber gleich mehr.

Die katholische Kirche sieht sich auf ihrer Fahrt durch die Jahrtausende nicht erst seit geraumer Zeit im Rückspiegel beim Schrumpfen zu. Das vorschnelle Zeigefingerfuchteln mit religiösen Motiven und Symbolen ist längst passé; als öffentlicher Lautsprecher für das Gute und nicht so Gute im Menschen fungieren längst andere, was nicht heißen soll, dass Letztere diese heikle Aufgabe besser erledigten.  

Vorbei auch die Zeit, als die Kirche auf Mitglieder zählen konnte, die in Gotteshäusern jene Gesichter aufsetzte, die man bei Menschen findet, die durch Museen geführt werden und ergriffen einem Kunstführer lauschen. Wie so viele dieser Tage ist auch die Kirche erschöpft, vom Kopf und den (Mit-)Gliedern her. Altersbedingt darf sie vielleicht ein wenig auf Rücksicht hoffen, ist es doch schon wieder über 2000 Jahre her, seit Jesu von Nazareth jene Lehren etablierte, die noch immer vielen der rote Faden des Lebenslaufs sind, die aber auch sehr vielen dramatisch ins Fleisch schnitten und schneiden. Kirche heute, das ist nicht mehr der Boulevard zur ewigen Seligkeit, sondern eine von vielen Ausfallstraßen, gesäumt von verlockender Gastronomie und anderen reizvollen Zerstreuungen. 

Wenn die Kirche eines nicht mag, dann den Verlust ihrer Deutungshoheit. Und da die katholische Konfession schon immer gut darin war, das Potenzial ihrer Schäfchen auszuloten, konnte der erste Internet-Heilige nicht lange ausbleiben. Die gebenedeiten Gestrigen, die sich selbst für eine Erweckungsbewegung wider den jeweils herrschenden Zeitgeist hielten und halten – das war einmal. Die Kirche hat das Internet für sich entdeckt. Halleluja!

Im Rekordtempo hat der Vatikan kürzlich den italienischen Teenager Carlo Acutis, der 2006 mit 15 Jahren an Leukämie starb, zum Heiligen erwählt und ihm zwei Wunder zugerechnet, eins für die Seligsprechung, ein weiteres für die Heiligsprechung.

Carlo, der die Eucharistie als seine Autobahn zum Himmel bezeichnete, soll in seinem kurzen Erdendasein und während seiner inzwischen noch längeren Himmelfahrt für zahllose Wunder und Spontanheilungen verantwortlich sein: Der Bub, der sich ständig übergeben musste und plötzlich wieder normal essen konnte; der hirntote Knirps, der an den Tischtennistisch zurückkehrte; der schwer an Covid erkrankte Familienvater, der aus dem Koma erwachte; Frauen, die nicht schwanger werden konnten und Kinder auf die Welt brachten, nachdem sie zu Sankt Carlo gebetet hatten. 

„Carlo beweist jungen Menschen, dass es möglich ist, heilig zu werden“, staunt Matheus, 24, aus Brasilien im Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, das der Heiligsprechung Carlos, dessen bekanntestes Bild in rotem Polohemd und mit Rucksack inzwischen T-Shirts und Einkaufstaschen ziert, jüngst eine ausführliche Recherche zwischen Assisi, Mailand, Rom und Brasilien widmete. „Carlo ist einer meiner liebsten Heiligen, ich will so sein wie er“, sagt Nilda, 25, aus Honduras.

Was kommt noch? Hier einige womöglich gar nicht so abwegige Gedankensprünge: die Bibel, dieses schlechthin unüberbietbare Narrativ, als theologisch ausgefuchster User-Generated-Content mit alttestamentarischem Grundton? Die KI-Kirche? Jesus als Avatar? Online-Ex-Kathedra-Verkündigungen, die nach locker hingeworfenen Hey!-alles-easy-Posts klingen? 

Heilige können nach katholischer Lehre selbst keine Wunder bewirken, sie können hoch droben im Himmel aber ein gutes Wort dafür einlegen. Santo Carlo, steh uns bei!

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.