Keine Hoffnung ohne Frauen

Die (Laut)stärke Tausender Frauen, die für Menschenrechte protestieren, und das Schweigen von Thomas Schmid.

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Gehört zu werden, das ist der Beginn des Wandels.

In diesem Jahr wurden so einige Sehnsüchte offenbar. Der Drang, wieder rauszukommen; das Bedürfnis nach Begegnung; der Durst nach Belanglosigkeit in den Medien und in Gesprächen. Gestillt wurden diese Sehnsüchte nicht alle. 2022 hätte das Jahr des Aufbruchs werden sollen, des Herausschlüpfens aus dem Pandemie-Schneckenhaus. Doch statt täglichen „Alles Gurgelt“-Tests könnte man sagen, wird dafür die Hoffnung auf bessere Prognosen täglich auf die Probe gestellt.

Und dennoch zeichnet sich ein Gefühl ab, das in den Jahren zuvor nicht da war. Ein stille, aber wuchtige Entschlossenheit, ein Bekenntnis zur Hoffnung, von der man nicht weiß, woher sie eigentlich kommt aber irgendwie noch immer da ist – oder erst recht wieder. Hier seien die Scheinwerfer auf die Frauen gerichtet.

Anstatt nach langersehntem und -erkämpften Fortschritts in Sachen Frauenrechte (nichts anderes als Menschenrechte) endlich die Misogynie und Ungerechtigkeit an Frauen zu überholen, enttäuscht der Blick im Rückspiegel, denn man findet Versagen, wo im 21. Jahrhundert Gleichstellung herrschen sollte.

Wo gibt es Rückschritte für Frauenrechte?

Der neue Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCR) Volker Türk beklagt in einem Statement während einer Pressekonferenz in Genf am Mittwoch einen "Rückschlag" für Frauenrechte in zahlreichen Ländern. Seine Worte hinterlassen Leere, wie ein verstummter Schrei in einem Traum, aus dem man weiß, dass man aufwachen müsste, es aber nicht schafft. Ein Gefühl der Hilfslosigkeit eben: Die Lage hat sich verschlechtert. Von wegen Fortschritt, sie blieb nicht einmal gleich. ​Die vollständige Gleichstellung der Geschlechter ist in diesem Rhythmus fast 300 Jahre entfernt, warnen die Vereinten Nationen im Bericht „Progress on the Sustainable Development Goals: The gender snapshot 2022”.

Nur einige Missstände, die Aufmerksamkeit verdienen:

Iran. Die Proteste, die durch den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam am 16. September ausgelöst wurden, nachdem sie wegen unangemessener Kleidung verhaftet worden war, haben Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zu einem umfassenden politischen Wandel veranlasst.

Afghanistan. Ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban gehen die Frauen auf die Straße. Sie fordern Freiheit und rufen „Education is our right“ (dt. Bildung ist unser Recht). Seit über 400 Tagen verwehren die Taliban Frauen und Mädchen den Zugang zu Bildung. Manche verstecken Schulbücher hinter dem Koran. „Für mich sind Sicherheit und Frieden auf nationaler Ebene nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch innerer Frieden", sagt Fawzia Koofi in einem Interview mit Forbes. Koofi war die erste weibliche stellvertretende Sprecherin des afghanischen Parlaments und eine der vier weiblichen Verhandlungsführerinnen, die an den innerafghanischen Friedensgesprächen mit den Taliban 2020 beteiligt war. Sie lebt seit ihrer Machtübernahme im Exil. "Es geht darum, die Freiheit zu haben, sein Wesen auszuleben, denn man kann in einer Gesellschaft völlige Stille haben, in der die Menschen denken, dass Frieden herrscht, aber für mich ist das kein Frieden. Frieden ist nicht die Abwesenheit von Kugeln, es ist mehr als das", sagt sie weiter in dem Interview.

USA. Türk wies weiters darauf hin, dass die Rechte der Frauen auch im "globalen Norden" eingeschränkt würden. Im Juni hatte der Oberste Gerichtshof der USA in einer höchst umstrittenen Entscheidung das seit fast 50 Jahren geltende landesweite Recht auf Abtreibungen gekippt.

Wie ist Gleichstellung möglich?

Schieben wir die letzten Absätze gedanklich auf die Seite, bis zum ersten Satz. In diesem versteckt sich eine verheißungsvolle Botschaft. Denn der Wunsch der Frauen im Iran, Afghanistan und in den USA, gehört zu werden, erfüllt sich. Menschen auf der ganzen Welt hören ihnen in den Nachrichten zu und amplifizieren ihre Forderungen auf Social Media.

Die Namen von ermordeten Demonstrant:innen im Iran kursieren im Internet, sie werden ausgesprochen und geehrt. Zugleich zeigen uns auch die Rufe in Afghanistan, wie wichtig es ist, dass Frauen in Führungsstellen aller Art und in Menschenrechtsgesprächen vertreten sind - und was ihr Fehlen in diesen Positionen für ein Land bedeuten kann. Nämlich Fehlen von Fortschritt, Absenz von Frieden, Abwesenheit von Hoffnung. Und weltweit beweist die Community Solidarität mit den Frauen in den USA, welchen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche genommen wurde: Sie bieten Unterkunft jenen, die für einen Abbruch ins Ausland reisen müssen und spenden an Organisationen, die medikamentöse Abtreibungen ermöglichen.

Auch dass Sie bis hierhin gelesen haben und dranbleiben, ist erfreulich. Darin zeigt sich der Erfolg der heldenhaften Proteste. Hintergründe zu den Protesten im Iran und zur Einschränkung der reproduktiven Rechte in den USA lesen Sie jetzt, und über die Unterdrückung von Frauen, besonders aber von Angehörige der ethnischen Gruppe der Hazara in Afghanistan, ab nächster Woche, auf profil.at.

Verstummte Schreie

Ein weiteres Schwerpunktthema auf profil.at, das zugegeben mehr mit Schweigen als mit Lautsein zu tun hat, ist die gestrige U-Ausschuss-Sitzung, in welcher Thomas Schmid doch nicht aussagen wollte. Dieser Sprung ist wohl fehl am Platz, denn im Vergleich zum unvorstellbaren Leid, das den Frauen in Iran oder Afghanistan widerfährt, wirken die Chats auf gewissen österreichischen Handys und das Bemühen mancher Politiker um Status und Ansehen wie ein schlechter Witz. Doch Korruption, wie Misogynie, ist leider oft eine Bremse für Fortschritt.

Wie Thomas Schmid sich der WKStA hinter dem Rücken des eigenen Anwalts als Kronzeuge andiente und über das „System Kurz“ verriet, erfahren Sie hier von Stefan Melichar und Michael Nikbakhsh. Warum er nun aber die Aussage im U-Ausschuss verweigert, und wie es weitergehen kann, fassen Gernot Bauer und Maximilian Mayerhofer hier zusammen.

Ein schönes erstes November-Wochenende wünscht,

Elena Crisan

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.