Wie reagiert Isreals Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf den iranischen Angriff?
Morgenpost

Iran – Israel: Kommt der große Krieg?

Nach dem Vergeltungsschlag des Iran fragt sich die Welt bange, ob die Eskalation in eine Katastrophe mündet. Einiges spricht dagegen.

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Die Woche beginnt weltpolitisch alles andere als unbeschwert. Die Angst vor einem großen Krieg im Nahen Osten, die seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober des Vorjahres umgeht, ist am vergangenen Wochenende noch einmal größer geworden. Der Iran hat Israel mit 170 Drohnen, mehr als 30 Marschflugkörpern und mehr als 120 ballistischen Raketen angegriffen. Es war dies ein Vergeltungsschlag für einen Luftangriff, bei dem israelische Kampfflugzeuge am 1. April ein Gebäude des iranischen Botschaftskomplexes in der syrischen Hauptstadt Damaskus zerstörten. Dabei wurden elf Personen getötet, darunter ein ranghoher General der iranischen Islamischen Revolutionsgarden. Israel bekannte sich, wie in solchen Fällen üblich, nicht zu dem Angriff.

War der Vergeltungsschlag des Iran jetzt eine Eskalationsstufe, auf die unweigerlich die nächste folgen wird – diesmal wieder von israelischer Seite? Schlittert der Nahe Osten in einen großen Krieg?

Es spricht mehr gegen dieses Szenario als dafür.

Die Angst ist zunächst keinesfalls unberechtigt, denn trotz der beiderseitigen Feindschaft der beiden Staaten seit der iranischen Islamischen Revolution im Jahr 1979 hatte der Iran israelisches Territorium bisher nie direkt angegriffen. Dieses Faktum und auch die beispiellose Dimension der Attacke könnten Israel zu einem Gegenschlag veranlassen. Außerdem will Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seit langem der Bedrohung durch iranische Atomanlagen ein Ende setzen. Vor etwas mehr als einem Jahr kündigte er bereits einen „präventiven Militärschlag“ an, falls die diplomatischen Bemühungen, den Bau einer Atombombe zu stoppen, nicht zum Ziel führten. Der Iran wiederum warnte Israel nach dem Angriff vom Wochenende, ein Gegenschlag würde zu einer neuerlichen Reaktion führen.

All das lässt einen Krieg befürchten. Doch es gibt gute Gründe, dass er ausbleibt.

In Wahrheit hat der Iran mit seinem Angriff die militärische Überlegenheit Israels demonstriert. So gut wie alle Geschoße wurden abgefangen. Das Regime in Teheran kann also kein Interesse an einem Krieg gegen Israel haben. Zudem sorgte bereits der kurze Militärschlag dafür, dass der Rial, die iranische Währung, am inoffiziellen Markt abstürzte. „Wir haben keine Absicht, die Operation gegen Israel fortzusetzen“, sagte denn auch Generalstabschef Mohammed Hossein Bagheri. In Israel wiederum berät ein Kriegskabinett die weitere Vorgangsweise, der Konflikt sei „noch nicht zu Ende“, sagte Verteidigungsminister Yoav Galant. Die „New York Times“ zitierte jedoch die Aussage eines namentlich nicht genannten israelischen Offiziellen, wonach eine Reaktion Israels „mit den Verbündeten koordiniert“ würde. Das ist wohl das stärkste Indiz dafür, dass die Eskalation nicht in eine Katastrophe führt. US-Präsident Joe Biden nämlich hat klargemacht, dass er eine „gemeinsame diplomatische Antwort auf Irans dreisten Angriff“ für wünschenswert hält – und keinen neuerlichen Militärschlag.

Aber wird sich Netanjahu danach richten, was Biden möchte? Im Gaza-Krieg tut er das nicht. Doch erstens bräuchte Israel im Fall eines Kriegs gegen den Iran dringend die Unterstützung der USA, und zweitens hat Netanjahu allen Grund, die nun veränderte Situation wertzuschätzen: Die israelische Bevölkerung hat erlebt, dass sie sich auch im Fall eines Luftangriffs weitgehend sicher fühlen darf. Die wegen des Gaza-Kriegs von Israel abgerückten Verbündeten können wieder reinen Gewissens hinter dem angegriffenen Israel stehen. Die Waffenlieferungen nach Israel sind wegen der iranischen Aggression leichter rechtzufertigen als angesichts der Bombardements von Gaza. Netanjahu und seine Regierung sind deutlich weniger isoliert.

All das spricht für ein (zumindest vorläufiges) Ende der Eskalation. Und das ist doch eine ganze Menge.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur