Erderwärmung: Schafft Österreich die Klimaneutralität?
Diskussionen um den Klimawandel haben oft eine beinahe religiöse Bewandtnis: Die sündige Menschheit hat unerlaubt in die Schöpfung eingegriffen und erntet nun Sturmfluten, Hitze, Dürre und andere Plagen. Dass Aktivisten bisweilen apokalyptische Bilder verbreiten, verstört die breite Mitte der Bevölkerung und erleichtert den Leugnern des anthropogenen (vom Menschen gemachten) Klimawandels das Spiel. Umso wohltuender ist der, von 200 Wissenschaftlern aus 50 Institutionen erstellte, Zweite Österreichische Sachstandsbericht zum Klimawandel, der gestern im Beisein von Klimaschutzminister Norbert Totschnig, ÖVP, präsentiert wurde. Mit 800 Seiten hat dieser ein fast biblisches Ausmaß. Die frohe Botschaft: Eine Umkehr (auch so ein religiöser Begriff) ist trotz aller Probleme noch möglich. Es gebe für Österreich realistische, sozial verträgliche und wirtschaftlich tragfähige Wege hin zur Klimaneutralität, so Margreth Keiler von der Universität Innsbruck. Allerdings werden diese Wege keine leichten sein.
Eine Lageanalyse zu Sommerbeginn basierend auf dem Bericht zeigt: Im Schnitt ist es heute um 3,1 Grad Celsius wärmer als im Jahr 1900. Temperaturextreme wie Hitzetage (Tageshöchsttemperatur über 30 Grad) oder Tropennächte (Temperatur fällt nachts nicht unter 20 Grad) und der damit verbundene Hitzestress haben in den Monaten von April bis September deutlich zugenommen. Im urbanen Raum wird das Leben im Sommer durch den so genannten „städtischen Wärmeinseleffekt“ unangenehmer. In vielen österreichischen Städten treten Hitzewellen im Vergleich zur Klimaperiode 1961 bis 1990 um 50 Prozent häufiger auf und dauern um einen bis vier Tage länger. Trockenperioden im Sommerhalbjahr (April bis September) mit landwirtschaftlichen und ökologischen Dürren nehmen zu. Die höheren Durchschnittstemperaturen haben mehr Verdunstung und steigende Wasseroberflächentemperaturen unserer Seen zur Folge. Alle Gletscher in Österreich sind in den letzten Jahren immer schneller geschrumpft. Flusshochwasser und Überschwemmungen durch Starkregen nehmen zu. Das Wald- und Flurbrandrisiko wird steigen.
Österreich erwärmt sich schneller
Insgesamt ist Österreich eines der Länder, die sich schon jetzt „deutlich stärker als der globale Schnitt“ erhitzen, wie es im Bericht heißt. Die volkswirtschaftlichen Schäden des Klimawandels belaufen sich in Österreich auf zwei Milliarden Euro pro Jahr und könnten bis 2050 auf bis zu elf Milliarden Euro ansteigen. „Die Folgen der Klimakrise gefährden unseren Wohlstand und verschärfen auch hierzulande soziale Ungleichheiten“, so Margreth Keiler.
Soweit die Bestandsaufnahme. Aber wie liegt Österreich am Weg zur Klimaneutralität? Im Regierungsübereinkommen hat sich die schwarz-rot-pinke Dreierkoalition auf die Erreichung der Klimaneutralität 2040 festgelegt. Dieses Ziel bedeutet, dass die österreichweiten Emissionen von Treibhausgasen reduziert und durch diverse Maßnahmen wie Aufforstung, den Kauf von CO₂-Zertifikaten oder CO₂-Abscheidung und -Speicherung kompensiert werden. Die gute Nachricht: Die Treibhausgasemissionen in Österreich sind in den Jahren 2022 und 2023 deutlich gesunken, einerseits durch den Anstieg der Energiepreise als Folge des Kriegs in der Ukraine, aber auch durch Investitionen in erneuerbare Energien, Anreize zum Ausstieg aus fossilen Heizsystemen und die Steigerung der Attraktivität öffentlicher Verkehrsmittel – die im neuen Regierungsprogramm allerdings wieder reduziert wird.
Um die EU-Ziele für die Emissionsreduktion zu erreichen, braucht Österreich aber ambitioniertere Maßnahmen, wie es im Bericht heißt. So basiert das österreichische Energiesystem immer noch überwiegend auf fossilen Brennstoffen wie Erdgas, die 62 Prozent des Bruttoinlandsenergieverbrauchs ausmachen. Die Treibhausgasemissionen der Industrie und des Verkehrssektors müssen trotz aller bisherigen Bemühungen weiter reduziert werden. Auch ein typisch österreichisches Spezifikum erschwert laut dem Sachstandsbericht den Weg zur Klimaneutralität: So sei „der Föderalismus bei der Umsetzung von ambitionierter Klimapolitik auf Bundes- und Landesebene eher hinderlich als förderlich“. Die Überwindung dieses Hindernisses ist schwierig. Denn auch der Föderalismus hat in Österreich eine beinahe religiöse Bewandtnis.