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Kyjiw mischt die Karten am Verhandlungstisch neu

Mit einem Drohnenangriff tief im Inneren Russlands hat die Ukraine das Kräfteverhältnis am Verhandlungstisch zu ihren Gunsten verschoben.

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„Russland kann keine neuen Flugzeuge bauen“, so ein User. Ein anderer zeigt eine Drohnenformation in Form eines Penis - ein symbolisches „Fuck you“. Die chinesische Videoplattform TikTok ist schon längst ein Real-Time-Kriegsarchiv. Am Montag stand der ukrainische Drohnenangriff bis weit ins Landesinnere Russlands hoch im Kurs. 

Aber auch abseits zynischer Social-Media-Memes wird der Angriff als Wendepunkt gelesen. So auch der renommierte Thinktank Atlantic Council in Washington. Analyst John Herbst sieht den Militärschlag als einen Einschnitt in die Erzählung, dass der Krieg sich in Richtung Sieg Russlands entwickelt. Wie kam es dazu? 

Post-Taurus

Die Ukraine hat am Sonntag laut eigenen Angaben ein Drittel der russischen Kriegsflugzeuge zerstört, russische Blogger sprachen von bis zu 13 beschädigten Flugzeugen. Die Aktion mit dem Namen „Spinnennetz“ war mehr als ein Jahr in Planung. „Extrem teuer“, nennt der „Economist“ den Schaden. Die Ukraine beziffert ihn in der Höhe von sieben Milliarden Dollar – für eine Nacht mit 117 Drohnen.

Die Drohnen waren mit LKW weit ins Innere Russlands transportiert worden und starteten von dort aus den koordinierten Angriff – bis zu 4000 Kilometer von der Ukraine entfernt. Die „New York Times“ verifizierte einige der Angriffe, eine unabhängige Bestätigung der Schäden gibt es nicht.

Lange waren Marschflugkörper des Typ Taurus das Gesprächsthema zwischen den zögernden europäischen Unterstützern und der Ukraine. Wenn niemand liefert, wird selbst gebaut. 

Was heute eine Erfolgsstory ist, wurde geboren aus der Not: Herumdrucksen bei militärischer Unterstützung erzwang militärische Innovation. Kyjiw investierte strategisch in ihre Drohnen, mehr als 90 Prozent produziert sie mittlerweile im Inland. Nun will auch die EU Drohnen made in Ukraine unterstützen: Ende April sicherte die EU Kyjiw finanzielle Unterstützung aus dem europäischen Verteidigungsfonds zu. 

Verhandelt wird aber nicht an der Werkbank, sondern aktuell in einem Luxushotel in Istanbul. Am Montag trafen sich die Delegationen aus Kyjiw und Moskau im Çırağan-Palast – es war das zweite derartige Gespräch. Beobachter hatten keine Erwartungen, nach einer Stunde waren die Gespräche beendet. Und trotzdem bewegt sich etwas im Russland-Ukraine-Krieg: Moskau spricht am frühen Montagabend von einer teilweisen Waffenruhe für zwei oder drei Tage an bestimmten Frontabschnitten, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. 

Nicht nur am Bosporus tut sich etwas, sondern auch in der EU. Friedrich Merz ist noch kein Monat deutscher Bundeskanzler, am 28. Mai sprach er sich in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dafür aus, ukrainische „abstandsfähige Präzisionswaffen“ zu unterstützen, und es werde keine Reichweitenbeschränkungen mehr geben. 

Trump ohne Worte und China in der Mangel

Trump schweigt, US-Senator Lindsey Graham nicht. Er besuchte vor wenigen Tagen Kyjiw und beriet am Montag mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über ein neues Sanktionspaket gegen Russland.

Auf „X“, vormals Twitter, lobt Graham die erfinderische Kriegsführung der Ukraine und übt Kritik an Moskau: „Russland tötet wahllos Männer, Frauen und Kinder. Es ist an der Zeit, dass die Welt entschlossen gegen Russlands Aggression vorgeht, indem sie China und andere für den Kauf von billigem russischem Öl, das Putins Kriegsmaschinerie unterstützt, zur Verantwortung zieht.“ Das 18. Sanktionspaket soll auf Öl und Banken abzielen und Putins Pipeline in die EU, die NordStream Infrastruktur, so eine Aussendung der EU-Kommission zu dem Treffen.

Ob die Sanktionen gegen Russland in der Vergangenheit Wirkung zeigten, wird debattiert. Fakt ist: Der Rohölpreis sinkt wegen der US-Strafzölle und der Entscheidung der OPEC (Organisation erdölexportierender Länder) mehr Öl zu fördern. Russland trifft das besonders hart, so die Ökonomin Heli Simola von der Bank of Finland. Moskaus Einnahmen aus Öl und Gas könnten für 2025 und 2026  um 30 Prozent geringer ausfallen als prognostiziert. 

Von der Operation „Spinnennetz“ bleiben kaputte russische Bomber und ein politisches Signal: Kyjiw mischt am Verhandlungstisch mit – ob mit den USA oder ohne.

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz ist seit Dezember 2024 im Digitalteam. Davor arbeitete sie als Redakteurin bei PULS 24, und als freie Gestalterin bei Ö1. Sie schreibt über Politik, Wirtschaft und Umwelt.