Jan Marsalek, Spion für China

Jan Marsalek: Putins Spion im Dienste Chinas

Neue Nachrichten zeigen, wie Jan Marsalek versuchte, für China zu arbeiten: Der frühere Wirecard-Vorstand wollte ukrainische Kamikaze-Drohnen aus Russland nach China liefern.

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Jan Marsalek ist der meistgesuchte Österreicher der Welt. Der ehemalige Vorstand des Finanzdienstleisters Wirecard soll Milliarden veruntreut haben. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Schon während seiner Zeit in der Finanzwelt war Marsalek ein russischer Spion, sind sich Ermittler sicher. Seit der Verhaftung des Bulgaren Orlin Roussev 2023 ist zudem klar: Marsalek blieb auch nach seiner Flucht im Jahr 2020 aus Europa ein Agent im Dienste des Kremls. 

Gemeinsam mit Roussev leitete er eine Londoner Spionagezelle, die in Europa Russlandkritikern nachschnüffelte, Militäranlagen ausspähte und Sabotageakte vorbereitete. Die beiden diskutierten zudem mehrmals Entführungs- und Mordpläne gegen Moskau-kritische Journalisten und setzten Spitzel auf profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer an. Das zeigen rund 200.000 Telegram-Nachrichten zwischen Marsalek und dem Roussev, die der britische Inlandsgeheimdienst MI5 in die Hände bekam.

Die Chats wurden bei der Verhandlung gegen Roussev im Londoner Gericht präsentiert und von profil, Süddeutsche, WDR und NDR ausgewertet. Demnach dürfte Marsalek auch für China gearbeitet haben. Marsalek wollte offenbar die uigurische Gemeinschaft in München ausspionieren, ukrainische Drohnen an China verkaufen und plante als einer der meistgesuchten Männer der Welt eine Geschäftsreise in die Volksrepublik – als Bindeglied zwischen Russland und China.

Ukrainische Kamikaze-Drohnen für Peking

Eine der größten Diasporas der Uiguren, einer vom chinesischen Regime unterdrückten muslimischen Minderheit, befindet sich in München. Marsalek stolperte darüber wohl eher zufällig und erkannte darin offenbar sofort eine Chance. So schrieb der ehemalige Wirecard-Manager im Mai 2022 an Roussev: „Wären unsere chinesischen Freunde daran interessiert, dass wir diesen Ort mit deutschen Staatsangehörigen infiltrieren?“ Roussev schickte sogleich „eine Nachricht an das Büro in Peking [...], die werden sich in einem Tag oder so zurückmelden...“. Nur blieb die Antwort offenbar aus – Marsalek fasste nach: „Unsere Freunde in China haben nie Interesse an unserem Vorschlag bekundet, die Münchner Zelle der Uiguren zu infiltrieren, oder?“

Jan Marsalek

Habe gerede über die uigurischen Polizei-Akten gelesen und habe gesehen, dass diese Leute in München, Deutschland, sind. Wären unsere chinesischen Freunde daran interessiert, dass wir diesen Ort mit deutschen Staatsangehörigen infiltrieren?

Orlin Roussev

Habe gerade eine Nachricht an das Büro in Peking geschickt, die werden sich in einem Tag oder so zurückmelden...

Es ist bei Weitem nicht der einzige Austausch zwischen dem flüchtigen Österreicher und seinem bulgarischen Partner über ihre Beziehungen mit China, oder, wie Roussev schreibt „unseren chinesischen Freunden“. Die chinesischen Kontakte des Bulgaren hoffen offenbar, selbst am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu profitieren: „Sie fragen, ob wir ihnen einige erbeutete ukrainisch-amerikanische Switchblade-Drohnen verkaufen können“, schreibt Roussev an Marsalek – die Anfrage käme von der chinesischen Marine. 

Orlin Roussev

Mit unseren chinesischen Freunden geredet... Sie fragen, ob wir ihnen einige erbeutete ukrainisch-amerikanische Switchblade-Drohnen verkaufen können.

Die Switchblade-Kamikaze-Drohnen werden aus einer vergleichsweise kleinen Röhre gestartet und können dann per Tablet in das Ziel gesteuert werden, um dort zu explodieren. Die Ukraine setzt diese amerikanischen Drohnen offenbar sehr erfolgreich ein, um russische Panzer und Flugabwehrsysteme zu attackieren – manche davon gerieten womöglich in russische Hände, bevor sie zum Einsatz kamen.

Auch aus Trümmern lassen sich Rückschlüsse auf die Technologie ziehen. Über Roussev und Marsalek wollte offenbar auch China an die Drohnen kommen, womöglich um sie nachbauen zu können. Kurz nach der Anfrage bestätigt Marsalek, dass am morgigen Tag die Bestellung von sechs Stück genehmigt werden. Ein kleines Problem tritt wenige Tage später auf: Es muss erst nachgeschaut werden, ob Russland überhaupt intakte Switchblade-Drohnen erbeuten konnte.

Jan Marsalek

Sie schauen gerade noch, ob wir intakte Switchblades haben oder nur kaputte. Fair point.

Russlands Starlink und Musk „super cool“

Doch die beiden Spione kümmern sich nicht nur um Botendienste, vor allem Marsalek ist im russischen Exil stets auf der Suche nach großen Projekten mit dem 
Reich der Mitte. Im April 2022, knapp zwei Monate nach der russischen Invasion in der Ukraine, will er eine chinesisch-russische Kooperation anleiern: „Lass uns mit deinen chinesischen Spionen eine Strategie für die Zusammenarbeit mit Russland bei einigen strategischen Themen erarbeiten.“ Als Beispiel nennt Marsalek „etwas wie Starlink. Derzeit ist der Mangel an Kommunikation das größte Problem der russischen Armee.“ Und der Österreicher würde gerne eine russisch-chinesische Schule eröffnen.

Jan Marsalek

Lass uns mit deinen chinesischen Spionen eine Strategie für die Zusammenarbeit mit Russland bei einigen strategischen Themen erarbeiten.

Jan Marsalek

Zum Beispiel brauchen wir etwas wie Starlink

Zu diesem Zeitpunkt ist bereits klar, dass die von Putin ursprünglich geplante „dreitägige Spezialoperation“ in der Ukraine in einem langen, zähen Krieg enden wird. Die Ukraine hält dem russischen Aggressor stand – auch dank des Satelliten-Internet-Zugangs „Starlink“ des amerikanischen Tech-Milliardärs Elon Musk.

Eigentlich ist Marsalek ein Fan des Tesla-Eigentümers: „Musk ist super cool“, schreibt er Roussev: „Leider blockieren sie die Nutzung von Starlink für russische Soldaten. Es wäre lustig, wenn er beide Seiten versorgen würde. Leider verbieten es die Sanktionen.“ Also planen Marsalek und Roussev eben ihr eigenes, chinesisch-russisches Projekt.

Jan Marsalek

Musk ist super cool

Jan Marsalek

Leider blockieren sie die Nutzung von Starlink für russische Soldaten.

Jan Marsalek

Es wäre lustig, wenn er beide Seiten versorgen würde. Leider verbieten es die Sanktionen.

Auch Ende Januar 2023 beraten die beiden noch, wie sie am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und ihren Verbindungen zu China profitieren könnten. 

Orlin Roussev

Ich hatte gerade eine fast einstündige Besprechung mit China...

Orlin Roussev

Die Armee... ist sehr, sehr interessiert daran, an viele Proben wie möglich kommen von NATO/amerikanischen Waffen und Ausrüstung, die in der Ukraine erbeutet wurden... funktionierend..kaputt etc. etc.

Roussev berichtet, er werde eine „Wunsch-Liste“ aus China erhalten: „Die Armee (…) ist sehr daran interessiert, so viel wie möglich von den in der Ukraine erbeuteten Waffen und Ausrüstungsgegenständen der NATO/Amerikaner zu erhalten – funktionstüchtig, kaputt usw.“ 

Orlin Roussev

Ich werde eine Art Wunschliste diese Woche von China bekommen. Sie fragen im Gegenzug, was wir ihnen erst einmal liefern/bringen können. All das wird an einem voraus abgemachten Ort an der russisch-chinesischen Grenze passieren

Aber wie es eben Supermächten so ist. So ganz scheinen die Russen den Chinesen trotz Annäherungsversuchen nicht zu trauen. Marsalek an Roussev: Für den Deal mit China würden seine russischen Ansprechspartner wissen wollen, wer dessen Kontakt in China sei. „Ich fürchte, niemand will einen ersten Schritt tun (…) ohne sicher zu wissen, dass dies nicht die Initiative eines einzelnen halbwegs kompetenten Mannes auf der chinesischen Seite ist“. Marsalek will daher „unseren Freunden“ (wohl in Russland) vorschlagen, gemeinsam mit Roussev und ihm für ein, zwei Tage nach China zu fahren. 

Jan Marsalek

Also ich glaube, ich werde unseren Freunden vorschlagen, dass wir gemeinsam China besuchen und diese Leute in China für einen oder zwei Tage treffen, damit sich alle gegenseitig beschnüffeln können.

Von außen betrachtet ein nahezu unglaublich riskanter Vorschlag: Der ehemalige Wirecard-Vorstand ist noch immer einer der meistgesuchten Männer Europas. Für jemanden wie Marsalek, der, wie die tausenden Chatnachrichten zeigen, stets auf der Suche nach dem nächsten Kick ist, ist das offenbar kaum ein Problem. „Denk daran, dass die meisten Leute hier keine beruflichen Risiken eingehen wollen“, erklärt Marsalek die russischen Bedenken am China-Deal, und: „Das ist etwas, das mich verrückt macht.“

Jan Marsalek

Denk daran, dass die meisten Leute hier keine beruflichen Risiken eingehen wollen. Das ist etwas, das mich verrückt macht.

Womöglich hätte sich der frühere Wirecard-Vorstand mehr Sorgen um seinen bulgarischen Partner machen sollen: wenige Tage nach diesem Austausch nimmt die britische Polizei den Bulgaren und seine Spionagezelle fest. Erst vergangene Woche wurden Roussev und fünf weitere Bulgaren, die Teil seiner Spionagezelle waren, in London zu langen Haftstrafen verurteilt. 

In Wien wird gegen eine Bulgarin, die ebenfalls Teil der Zelle war, noch immer ermittelt. Sie ist auf freiem Fuß. 

Wie ihr Boss Jan Marsalek.

17.06.2025: profil, Wirecard & Putins Spione

profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer wurde selbst zum Ziel von Marsaleks und Roussevs Bande. 

Am 17. Juni erzählt Thalhammer live auf der Bühne, wie es ist, wenn Putin einem seine Spione auf den Hals hetzt. Dazu profil beleuchtet die mutmaßlich korrupten Staatsschützer, die Putins Schergen geholfen haben sollen, erklärt, warum Wien Hauptstadt der Spione bleibt und fragt nach, wieso jene Spionin, die Thalhammer verfolgt hat, auf freiem Fuß bleibt.

Unter der Moderation von profil-Chefreporter Stefan Melichar diskutieren:

  • Anna Thalhammer, CR und Herausgeberin von profil
  • Michael Kloibmüller, ehemaliger Innenministeriumssektionschef und Opfer
  • Thomas Riegler, Historiker und Geheimdienstexperte
  • Jörg Leichtfried, SPÖ-Staatssekretär für Verfassungsschutz

Tickets für profil, Wirecard & Putins Spione gibt´s hier

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.

Anna Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil und seit 2025 auch Herausgeberin des Magazins. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.