Meinl-Reisingers Mitbringsel für die Ukraine
Gleich nach ihrem Amtsantritt letzte Woche wiederholte Meinl-Reisinger bei jeder Gelegenheit ihre klare pro-ukrainische Haltung. Ob zuhause in Wien oder auf Dienstreise in Brüssel. Im Vorfeld ihrer Reise in die Ukraine wollte auch der Sprecher der neuen Außenministerin keine Zweifel an Österreichs „ungebrochener“ Unterstützung für die Ukraine aufkommen lassen: „Deswegen wird die zweite Dienstreise die Außenministerin gleich in die Ukraine führen“ und sie dort „unter anderem mit Außenminister Sybiha zusammentreffen“, heißt es auf profil-Anfrage.
Sicherheitsabkommen
Nach profil-Informationen absolviert Meinl-Reisinger in Kyjiw (Kiew) einen wahren Besuchsreigen. Sie soll dort nicht nur von ihrem Amtskollegen empfangen werden, sondern auch vom Premierminister und dessen Stellvertreterin, die auch die Ressorts für europäische Integration und Justiz innehat.
Begleitet wird Meinl-Reisinger von ihrem neu bestellten Kabinettschef Arad Benkö, der derzeit noch Österreichs Botschafter in der Ukraine ist. Mit den Gastgebern besprochen werden sollen unter anderem Kooperationen im Wirtschafts-, Gesundheits- und Bildungsbereich.
Meinl-Reisinger dürfte für ihre Gastgeber aber noch mehr Mitbringsel im Gepäck haben, denn hinter den Kulissen wird am Abschluss eines Abkommens zwischen der Ukraine und Österreich nach irischem Vorbild gefeilt. Nach einer Reihe von NATO-Staaten und der EU unterzeichnete das neutrale Irland im September ein Sicherheitsabkommen mit der Ukraine. Mit dem Abkommen sichert Irland der Ukraine über einen Zeitraum von zehn Jahren humanitäre Hilfe und „nicht-tödliche“ militärische Unterstützung zu. Konkret bedeutet das für Irland etwa, sich an der Ausbildung von ukrainischen Soldatinnen und Soldaten zu beteiligen und Ressourcen für Entminungsaktionen bereitzustellen.
Von einem solchen Abkommen ist im Programm der österreichischen Bundesregierung nicht die Rede. Zwar ist dort nachzulesen, dass die Unterstützung „des europäischen Wegs der Ukraine“ fortgesetzt wird. Der Fokus soll dabei aber auf humanitärer Hilfe und dem Wiederaufbau der Ukraine liegen. In den drei Jahren seit der russischen Invasion am 24. Februar 2022 hat Österreich nach Angaben der im Außenministerium ansässigen Stelle für den Ukraine-Wiederaufbau Hilfsleistungen im Wert von 294 Millionen Euro getätigt.
Beitrittsbemühungen der Ukraine
Auf ukrainischer Seite wird man angesichts der fluktuierenden US-Unterstützung über jegliche zusätzliche Finanz- und Sachleistungen erfreut sein. Darüber hinaus dürften sich die Gastgeber österreichische Unterstützung bei dem ins Stocken geratenen EU-Beitrittsprozess erhoffen. Obwohl die Ukraine seit bald drei Jahren Kandidat für einen EU-Beitritt ist, hat die EU die für einen Beitritt notwendigen Verhandlungen bislang nur formell eröffnet.
In der Praxis müssen sich die EU und die Ukraine durch sechs sogenannte Cluster, die 33 Kapitel beinhalten, verhandeln. Als wichtigstes gilt das erste Cluster „Grundlagen“ mit den Bereichen Demokratie, öffentliche Verwaltung, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte, Marktwirtschaft sowie öffentliche Vergabe, Statistik und finanzielle Kontrolle.
Sobald die Verhandlungen nicht nur formell, sondern auch praktisch eröffnet sind, kommen die Kapitel des ersten Clusters auch als erstes auf den Verhandlungstisch. Bevor die langwierigen Verhandlungen über die restlichen fünf Cluster endgültig abgeschlossen werden und ein Land der EU beitreten kann, überprüft die EU noch einmal, ob der Beitrittskandidat die „Grundlagen“ nach wie vor erfüllt.
Zwischen ungarischer Blockade und Brüsseler Optimismus
Von einem solchen Abschluss der Verhandlungen ist die Ukraine noch weit entfernt. Wie die ukrainische Ministerin für europäische Integration am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz bestätigte, blockiert Ungarn die tatsächliche Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine.
Aus Diplomatenkreisen heißt es, Ungarn mache (wieder einmal) bilaterale Forderungen im Bereich der Minderheitenrechte zur Bedingung, um der tatsächlichen Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zuzustimmen. Eine Einigung in diesem Halbjahr sei unwahrscheinlich. Auf Anfrage gibt sich die Botschaft der Ukraine in Wien jedoch deutlich optimistischer und rechnet mit einem Startschuss schon im April.
Optimismus versprühen auch die Spitzen der EU-Kommission. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die zuständige Kommissarin für Erweiterung, Marta Kos, halten einen EU-Beitritt der Ukraine noch vor 2030 für möglich, sofern die Ukraine weiterhin an ihrem Reformtempo festhält. Allerdings sind weder das Reformtempo noch die Ambitionen der EU-Kommission maßgeblich für einen schnellen Beitritt.
Offene Fragen
Ausschlaggebend ist der politische Wille der Mitgliedstaaten, wie das aktuelle Beispiel der ungarischen Blockade verdeutlicht. Denn wie bei allen anderen außenpolitischen Entscheidungen der EU gilt auch in der EU-Erweiterungspolitik das Einstimmigkeitsprinzip im Rat. Neos forderte im Nationalratswahlkampf, dieses Prinzip weitgehend abzuschaffen, zum Beispiel im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Weder das Regierungsprogramm noch eine allgemeingehaltene Antwort auf eine ausführliche profil-Anfrage geben Aufschluss darüber, ob die Neos-Chefin als nunmehrige Außenministerin an dieser Forderung festhält.
Aus Diplomatenkreisen heißt es, die ungarische Blockade sei nur auf „politischer Ebene“ zu lösen. Übersetzt bedeutet das, die zuständigen Ministerinnen in den EU-Mitgliedstaaten müssten auf Ungarn einwirken. Darüber, ob Meinl-Reisinger oder EU-Ministerin Claudia Plakolm entsprechende Schritte unternehmen, ist nichts bekannt.
Von Meinl-Reisingers Sprecher heißt es, der weitere Beitrittsprozess der Ukraine hänge „primär von Fortschritten bei Reformen in der Ukraine und deren Umsetzung ab“. Anhand des Regierungsprogramms und erster Äußerungen beider Ministerinnen ist in Erweiterungsbelangen jedenfalls ein klarer Fokus auf die Westbalkanstaaten zu erkennen.
Das deutet auf eine Kontinuität in der österreichischen Handhabe der Erweiterungspolitik hin. Und auf die Beibehaltung des Fokus auf humanitäre Hilfe und Wiederaufbau versetzt mit einem Schuss „nicht-tödlicher“ militärischer Unterstützung für die Ukraine.