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Ex-Vizekanzler Mitterlehner: „Ich finde Markus Marterbauer macht das echt professionell“

Reinhold Mitterlehner (ÖVP) ist aus Oberösterreich, dem Bundesland, das die Wirtschaftskrise am stärksten spürt. Wie sieht der ehemalige Wirtschaftsminister die derzeitige Lage?

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Reinhold Mitterlehner wohnt im Oberösterreich der sanften Hügel, der Kühe und der Traktoren. Die Gärten sind schmuck in Helfenberg im Mühlviertel, sogar die gelben Mistsäcke, die die Straße zieren, da wohl bald die Mistabfuhr vorbeikommt, liegen in Reih und in Glied. Seine Frau klettert gerade von der Leiter mit einem Kübel voll Marillen. Sie sind reif und schmecken köstlich. 

Das nördliche Mühlviertel ist aber auch das Oberösterreich der ehemaligen Fabriken. Unten im Herz des Ortes steht eine alte Textilfabrik. Kleider und Hosen werden dort schon lange nicht mehr produziert, mittlerweile ist es ein Outlet und ein Veranstaltungsort. Ein Mahnmal der Deindustrialisierung könnte man leicht pathetisch sagen. Wird es bald überall in Oberösterreich so aussehen? „Nein“, sagt Mitterlehner da sehr entschieden. „So wie in der Krise 2009 stellen sich die Betriebe neu auf. Unternehmen werden gegründet. Ich bin da relativ zuversichtlich.“

Versteinerte Industrie

Die letzten Arbeitslosenzahlen sind weniger optimistisch. Österreichweit stieg die Arbeitslosigkeit um über fünf Prozent, Oberösterreich verzeichnete den höchsten Anstieg mit einem Plus von 9,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, zeigen die Zahlen des AMS. Sorgenkind ist der Automobilbereich. Österreichweit stieg die Zahl der Arbeitslosen hier um 50 Prozent – Nina Brnada und Max Miller werden sich dem Thema Arbeitslosigkeit in unserer kommenden Ausgabe im Detail widmen. 

Auch Mitterlehner übt Kritik. „Wir haben in manchen Bereichen, etwa bei den Auto-Zulieferern eine versteinerte österreichische Industrie. Hier braucht es mehr Innovation.“ Das Geschäft sei lange gut gelaufen, es habe gut abgesicherte Märkte gegeben. Viele hätten sich zu wenig diversifiziert, die Linzer Voest nimmt er von seiner Kritik klar aus.

„Sie sind diskussionswürdig, in Deutschland sind die Spannen niedriger und bei uns teilen sich drei Konzerne den Markt. mehr Wettbewerb wäre auch ein Ansatz. "

Reinhold Mitterlehner

über mögliche Preiseingriffe in den Markt

Lob für Markus Marterbauer

Von Mitterlehners Haus überblickt man das Tal. Er betont: „Wir brauchen mehr Investitionen und Geld für Forschung und Entwicklung. Wenn man sich die Steiermark anschaut, sieht man, dass sie besser aufgestellt ist als Oberösterreich etwa.“ In der derzeitigen Lage wäre ein Investitionsanschubprogramm mit günstigen Krediten auch wichtig. „Und Merz sei Dank wird die österreichische Wirtschaft die Effekte vom deutschen Infrastrukturpaket spüren.“ 

Für die Herbstlohnrunde mahnt er zu Zurückhaltung, ein wahrer Gewerkschaftsfreund ist Reinhold Mitterlehner wohl grundsätzlich nicht. „Wir haben ein Kosten und ein Produktivitätsproblem. Mehr als eine Inflationsabgeltung würde das Konkurrenzproblem verschärfen.“ Das sollte ebenso für die Beamten, wie auch für die Pensionisten gelten. Doch, und das ist ein bisschen überraschend, holt er zu einem Lob auf den sozialdemokratischen Finanzminister Markus Marterbauer aus. Er habe ein sinnvolles Budget in der derzeitigen Situation vorgelegt und schultere das mit dem Defizitverfahren gut. „Ich finde Markus Marterbauer macht das echt professionell.“ Und wie sieht er Preiseingriffe bei Lebensmitteln, die Marterbauer in einem Interview mit den „Salzburger Nachrichten" forderte? „Sie sind diskussionswürdig, in Deutschland sind die Spannen niedriger und bei uns teilen sich drei Konzerne den Markt. mehr Wettbewerb wäre auch ein Ansatz. "

Im Ortszentrum ragt der Ziegelschlot hoch hinauf, Mitterlehner erzählt vom Stammtisch und vom Ortsleben. Er ist mittlerweile Pensionist und zuständig für „Bauliches und Hochzeiten“ bei der nahen Burg Piberstein. Und er meint, auch im Mühlviertel, das ja nicht unbedingt für seine Industrie bekannt ist, bewegt sich etwas. Es entwickeln sich neue Unternehmen, mehr Menschen arbeiten vor Ort und Pendeln nicht nach Linz. „Unsere Leute sind optimistisch. Die Wirtschaft im Bezirk nimmt wieder mehr Fahrt auf.“ 

Boykottaufrufe bei Gaza-Kundgebung

Ortswechsel nach Wien. Gestern Abend fand vor dem Parlament eine von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, der jüdisch-arabischen Friedensinitiative „Standing Together Vienna“, der KPÖ und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen organisierte „Stoppt den Genozid in Gaza“-Kundgebung statt. Die Organisatoren der Veranstaltung vor dem Parlament forderten etwa einen Waffenstillstand, die Freilassung der Geiseln und eine lückenlose Aufklärung aller möglichen Kriegsverbrechen.  Die Rednerinnen und Redner wurden allerdings von anderen Aktivisten lautstark mit radikalen Sprüchen unterbrochen. Sie boykottierten die Veranstalter der Kundgebung und versuchten diese zu kapern. Im profil der Vorwoche führte Siobhán Geets ein ausführliches Interview mit der Expertin für Völkerstrafrecht Astrid Reisinger Coracini, worum es in der Debatte um den Begriff Völkermord geht und wie sie die aktuelle Lage beurteilt. Eine Leseempfehlung!

Clara Peterlik

Clara Peterlik

ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.