Blondierter Mann in silbergrauem Anzug blickt in die Kamera, im Hintergrund eine beleuchtete Brücke in der Abenddämmerung
Bild anzeigen

Nusskuchen zum Frühstück: Erinnerung an den Schauspieler Udo Kier

Für Leute wie ihn war das Kino erfunden worden. Er wusste es zu nützen. In memoriam Udo Kier, 1944–2025.

Drucken

Schriftgröße

Der denkwürdige Blick des Schauspielers Udo Kier war die Grundvoraussetzung seiner Präsenz und Wirkung, er wusste jedes Gegenüber mit dieser speziellen, zwischen Blassblau und Hellgrün schimmernden Ironie, die sich in seinen Augen fand, zu fixieren. Seinen potenziell scharfen Witz ließ er stets gut erkennen, im persönlichen Gespräch milderte er diesen jedoch gern ins Menschenfreundliche ab. 

Als schönster Horrorfilmdarsteller der Welt machte sich der gebürtige Kölner in den 1970er-Jahren einen Namen. Seine Karriere begann 1973 Fahrt aufzunehmen, als er für Andy Warhols Hausregisseur Paul Morrissey erst Baron Frankenstein, dann den blutlüsternen Graf Dracula darstellte. „Wir drehten in Rom, und Andy reist für ein paar Pressefotos an, mit seinem Dackel auf dem Arm", erinnerte sich Kier in einem Interview, das er profil 2018, anlässlich einer Werkschau beim Wiener „Slash“-Festival, gewährte. So sei sein Gesicht bald in die Hochglanzmagazine gerutscht, in die „Vogue“ etwa. „Ich saß in der Kantine der Cinecittá-Studios, Fellini drehte nebenan, seine skurrilen Gestalten schwirrten durch die Räume. Und Morrissey erklärte mir, dass er mich auch als Dracula haben wollte; ein deutscher Vampir, das fand er gut. Einzige Bedingung: Ich musste fünf Kilo in einer Woche abnehmen. Also hab‘ ich bis zum ersten Drehtag nichts mehr gegessen, war dann aber so schwach, dass ich im Rollstuhl sitzen musste. Das sah natürlich großartig aus: ein Vampir im Rollstuhl!"

Rainer Werner Fassbinder kannte er schon als Teenager, hatte mit ihm später in Schwabing zusammengewohnt, ab 1977 drehte Kier eine Reihe von Filmen mit ihm, darunter „Bolwieser“ und „Lili Marleen“. Im Kino war Kier zu allem fähig, so stellte er nicht bloß Vampire und Transvestiten dar, sondern auch Dr. Jekyll, Jack the Ripper und Papst Innozenz VIII. gespielt. Regelmäßig arbeitete er mit den Regisseuren Lars von Trier („Breaking the Waves", 1996) und Gus Van Sant („My Own Private Idaho“, 1991, Kiers erste echte US-Produktion). Seine späten Jahre verbrachte er in einer ehemaligen, von dem Schweizer Architekten Albert Frey in den 1960er-Jahren geplanten Bibliothek in Palm Springs, zwei Autostunden von Los Angeles entfernt. 

Doch Kier liebte Wien, vor allem das Hotel Sacher, wo er „Nusskuchen schon zum Frühstück essen“ konnte. Tatsächlich war Wien einer der wichtigsten Orte seines Lebens, wo er 1967 Eddy Sallers Sexploitation-Movie „Schamlos" gedreht haben, seinen ersten Spielfilm. „Ich wollte immer in der Blutgasse leben. Dort klingt es am schönsten, wenn nachts die Fledermäuse fliegen.“ In der Loos-Bar seiner Freundin Marianne Kohn hielt er, wenn er in der Stadt war, spätabends Hof, erzählte tausenderlei Anekdoten und berichtete sarkastisch von dem Zirkus, als der sich ihm Hollywood zu erkennen gab, wo man sich dennoch intensiv um ihn bemühte:  „Hollywood ist auf Sand und Titten gebaut. Der Sand war schon da, als die Herren kamen, um die Filmstudios zu gründen. Dann kamen die Titten. Einige der großen Stars wurden in Puffs entdeckt."

Ein gewisser kreativer Wahnsinn zog ihn an, lieber als in gut bezahlten Mainstream-Filmen drehte Kier mit wilden Regisseuren wie Christoph Schlingensief und Guy Maddin. Es werde „nie, niemals wieder einen Menschen und Künstler wie Udo Kier geben", schreibt der brasilianische Regie-Meister Kleber Mendonça Filho, in dessen jüngstem Film („The Secret Agent“, ab Mitte Dezember bei uns im Kino) er eine fabelhafte Nebenrolle spielte: „Was für ein Sinn für Humor, welch perfekter Geschmack, was für eine Lebensfreude!"

Er sei übrigens Frühaufsteher, erzählte Kier im profil-Gespräch noch. Gegen sechs Uhr morgens überlege er, was der Tag bringen werde. „Dabei blicke ich auf meine Wände, an denen Bilder von Sigmar Polke, Raymond Pettibon und Andy Warhol hängen, und freue mich darüber, einen derart schönen Ort besitzen zu dürfen“. In der kleinen kalifornischen Stadt Palm Springs verbrachte er seine späten Jahre („ein toller Ort, ohne Parkuhren"), in einer Senioren-Enklave, was ihm aber entgegenkam: In den Restaurants sei es vorgekommen, dass er mit „young man" angesprochen werde. 

Als Deutscher wurde er in Amerika zu oft als Nazi besetzt. „Irgendwann hab‘ ich mich einfach geweigert, Mengele oder Eichmann zu spielen.“ Adolf Hitler spielte er in der Groteske „Iron Sky" (2012), aber schon 1989 hatte er den Diktator für Christoph Schlingensief verkörpert, in „100 Jahre Adolf Hitler - Die letzte Stunde im Führerbunker".  Seine zahllosen Angebote – er trat in weit über 200 Filmen auf  – erklärte er sich so: „Offenbar denken viele Regisseure inzwischen, sie müssten mich aufgrund meines fortgeschrittenen Alters schnell noch besetzen.“ Mit David Schalko erarbeitete er 2014 „Altes Geld", für den schwerkranken Gert Voss einspringend, und 2018 die Serie "M - Eine Stadt sucht einen Mörder".

Das Kölscher Idiom war in seinem Deutsch präsent geblieben. In einem Kölner Vorort war Udo Kier aufgewachsen, in einfachen Verhältnissen. Mit einer kaufmännischen Lehre verschwendete er drei Jahre seines Lebens, wie er sagte, ging dann nach England. In London wurde er entdeckt; er hatte natürlich „keine Ahnung und keinerlei Ambition, Schauspieler zu werden“, aber er ließ sich überreden, in einem Kurzfilm mitzuwirken. Kurz danach nahm ihn die Künstleragentur William Morris unter Vertrag. In „Schamlos“ spielte er, mit 23, einen Gangsterboss in der Wiener Unterwelt. Gleich der nächste Film, sein erster in Farbe, wurde wieder in Österreich gedreht, in Mauterndorf im Lungau nämlich - der Horrorfilm „Hexen bis aufs Blut gequält“.

Seinen Beruf hatte er „im üblichen Sinne nie erlernt“, meinte Kier. „Wäre ich nicht Schauspieler geworden, ich hätte den Beruf des Gärtners gewählt. Gartenarbeit finde ich extrem befriedigend.“ Ehrgeizig sei er „überhaupt nicht“, gestand der Schauspieler. „Ich habe niemals einen berühmten Regisseur darum gebeten, mich zu besetzen. Wäre ich ehrgeizig, wäre ich schon tot. Dann wäre ich in frühen Jahren berühmt gewesen – ich war ja sehr fotogen –, so wäre ich sehr wahrscheinlich drogenabhängig geworden und hätte mich früher oder später umgebracht.“ Auch dies: ein Beispiel für den eigenwilligen Humor des Udo Kier.

Gestern gab sein langjähriger Lebenspartner, der Künstler Delbert McBride, bekannt, dass der unnachahmliche Udo Kier am Sonntag, wenige Wochen nach seinem 81. Geburtstag, in Palm Springs gestorben sei. Kiers diamantener Blick ist im Kino bewahrt, forever, zu unser aller Glück.

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.