Zettel mit Aufschrift im Eingangsbereich eines Hauses: „Please dispose of your trash yourself!"
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Online-Apartments statt Wohnraum für Wien

Wenn ein Wohnhaus in bester Wiener Lage zum Airbnb-Hotspot wird. Und was das mit dem Millionen-Erbe einer Kaufhaus-Dynastie zu tun hat.

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Kaum ist der Sommer vorbei, schon wieder urlaubsreif? Kein Wunder bei dem, was in der Welt alles so los ist. Warum also nicht ein verlängertes Herbstwochenende in Wien planen?

Airbnb hilft sicher gerne dabei, eine passende Absteige zu finden. Zum Beispiel ein – den Fotos im Internet nach zu urteilen – hübsch, wenn auch etwas seelenlos hergerichtetes Designer-Apartment mit knapp fünfzig Quadratmetern: knallrote Couch im Wohnzimmer, blaues Bett im Schlafbereich, Küchenzeile, Esstisch und ein modernes Bad. Verfügbar ist das alles passenderweise vom 28. bis zum 30. November, die zwei Nächte kommen auf knapp 340 Euro – man gönnt sich ja sonst nichts. Immerhin ist die Bleibe gut gelegen: direkt an der Alser Straße im neunten Wiener Gemeindebezirk. Das geht sogar noch unter „Zentrumsnähe“ durch. Falls man gesellig ist und Kontakt zu Nachbarn sucht, sei jedoch angemerkt, dass man in diesem Haus wohl nicht allzu viele Wienerinnen oder Wiener kennenlernen wird. Möglicherweise aber andere Airbnb-Nutzerinnen oder -Nutzer.

An dieser Stelle ein kurzer Vermerk in eigener Sache: Der Autor dieser Morgenpost bestreitet keineswegs, ein klein wenig mit einem Kurzurlaub zu liebäugeln. Er würde einen solchen aber nicht in Wien und schon gar nicht an der Alser Straße verbringen. Dort ist er ohnehin sehr oft – vor allem, wenn er für profil aus dem nahegelegenen Wiener Straflandesgericht berichtet. Dass Ihrem Morgenpostler das erwähnte Airbnb-Angebot aufgefallen ist, hat einen anderen Hintergrund. Ist ihm doch im Rahmen seiner journalistischen Tätigkeit vor einiger Zeit eine anonyme Anzeige auf den Schreibtisch geflattert, in der es um mehrere Adressen in Wien ging – darunter jene im neunten Bezirk. Geäußert wurde unter anderem der Verdacht auf „Kurzzeitvermietung in der Wohnzone ohne (ausreichendes) Beherbergungsgewerbe“. Ursprünglich war das Schreiben an die Wiener Baupolizei gerichtet. Dort ist es auch tatsächlich eingelangt – die Behörde bestätigte das auf Anfrage.

Strafantrag der Baupolizei

Nun ist der Autor der dieser Morgenpost seit vielen Jahren als Investigativjournalist tätig und weiß als solcher um die – mitunter recht beschränkte – Aussagekraft anonymer Sachverhaltsdarstellungen. Es schien also am besten, weitere Entwicklungen abzuwarten, die Sache jedoch nicht aus dem Auge zu verlieren und nebenher schon einmal ein paar Erkundigungen einzuholen. Durchaus mehr Gewicht erlangte die Angelegenheit dann Anfang September, als die Baupolizei auf profil-Anfrage mitteilte, tatsächlich Ermittlungen eingeleitet zu haben – und zwar gemäß Verdachtslage „sowohl in pucto illegale Kurzzeitvermietung als auch bezüglich nicht genehmigter baulicher Veränderungen“. Noch brisanter wurde es dann diese Woche, als es seitens der Behörde hieß, dass in Bezug auf einen Teil-Aspekt der Anzeige ein Strafantrag an die für Baurecht zuständige Magistratsabteilung weitergeleitet worden sei.

Zum Hintergrund: Die Stadt Wien versucht seit Jahren dem Umstand entgegenzuwirken, dass hochwertiger Wohnraum oft nicht dem dauerhaften Aufenthalt von Wienerinnen und Wienern dient, sondern der Online-Vermietung an Touristen und andere wechselnde Gäste. Wohnungen sind ohnehin rar in der rasant wachsenden Stadt, die Preise steigen. Da will die Politik einer zu starken weiteren Angebotsverknappung durch Privatpersonen und gewerbliche Betreiber, die mitunter dutzende Wohnungen im Portfolio haben und diese über Airbnb und andere Internet-Plattformen feilbieten, entgegenwirken. Das heißt nicht, dass solche Vermietungen gar nicht erlaubt wären. Für gewerbliche Vermieter geht dies jedoch nur mit einer Ausnahmebewilligung.

Please dispose of your trash yourself!“

Zurück in die Alser Straße: profil liegen zahlreiche Fotos aus dem Inneren des Hauses vor, die – in Zusammenhang mit weiteren Recherchen – Hinweise auf das mögliche Gesamtausmaß der Online-Vermietung in diesem Beispielfall liefern. Einiges deutet darauf hin, dass alleine an dieser Adresse rund vierzig von insgesamt etwas mehr als fünfzig Wohneinheiten auf diese Weise genutzt werden. Neben vielen Wohnungstüren findet sich ein Schlüsselsafe, wie er nicht zuletzt für das reibungslose Ein- und Auschecken zu jeder Tages- und Nachtzeit verwendet werden kann. Der Beschilderung im Haus zufolge dürfte eine von drei Stiegen praktisch gänzlich jener Apartment-Vermieterfirma zuzuordnen sein, welche die Unterkünfte unter anderem auf Airbnb anbietet. Alleine im Bereich dieser Stiege finden sich demnach rund zwanzig Wohneinheiten. Dass im Eingangsbereich des Gebäudes nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch der Hinweis angebracht ist, man möge seinen eigenen Müll doch selbst entsorgen, verstärkt den Eindruck, dass hier möglicherweise nicht immer nur sesshafte Langfrist-Bewohner abgestiegen sind.

Betont sei: Ob verbotene Kurzzeitvermietung stattfindet oder nicht, lässt sich in einem solchen Fall für Dritte von außen kaum beurteilen. Zum Beispiel ist der Begriff der „Kurzfristigkeit“ recht variabel und eigentlich nur an den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Wobei als Richtwert in etwa ein Zeitraum von zwei bis dreißig Tagen gilt. Das eingangs beschriebene Arrangement mit dem langen Wochenende im November würde also wohl darunter fallen. Zufall oder nicht: Andere über Airbnb buchbare Apartments in dem Haus in der Alser Straße sind aktuell nur für mindestens dreißig Nächte am Stück buchbar. Dass das auch in der Vergangenheit immer und in jedem Fall so war, darf allerdings bezweifelt werden. Darauf deuten zumindest Ausführungen in Mieter-Bewertungen auf Airbnb hin.

Das Fürnkranz-Erbe

Rechtlich müssen das ohnehin die Behörden klären. Doch auch abgesehen von rechtlichen Fragen ist bewusste Adresse in der Alser Straße durchaus einen genaueren Blick wert. Kann diese – jedenfalls allem Anschein nach – doch fast schon als beispielhaft für die gesellschaftliche Grundproblematik stehen, dass hochwertiger Wohnraum in einer wachsenden Stadt nicht dauerhaft für die Bevölkerung zur Verfügung steht. Ob einzelne Airbnb-Mieter nur wenige Tage oder vielleicht doch auch zwei, drei Monate da waren, ändert daran nämlich nichts.

Und darüber hinaus zeigt dieses Beispiel, unter welchen Umständen eine derartige Geschäftspraxis mitunter entsteht. Es hat nämlich nicht jeder ein paar Dutzend Wohnungen bei der Hand, um ein solches Business hochzuziehen.

Die Liegenschaft ist Teil eines Millionen-Erbes – und zwar jenes der Modehaus-Dynastie Fürnkranz. Das bekannte Wiener Mode-Imperium ist zwar seit rund eineinhalb Jahrzehnten Geschichte. Was blieb, sind jedoch Immobilien – teilweise im Besitz einer Privatstiftung, teilweise im Privatbesitz von Angehörigen der Unternehmerfamilie. Das Haus in der Alser Straße war Teil der Verlassenschaft des im Jahr 2009 verstorbenen Karl Fürnkranz. Aktueller Eigentümer laut Grundbuch ist ebenfalls ein Spross der Mode-Dynastie. Dieser erhielt die Liegenschaft 2012 als Schenkung innerhalb der Familie. Und ihm gehört nicht nur das Gebäude, sondern auch jene Apartment-Firma, welche die Vermietung im Internet betreibt.

„Keine Kurzzeitvermietung“

profil fragte beim derart reichlich beschenkten Fürnkranz-Nachfahren nach. Dieser bestreitet sämtliche Vorwürfe. Über einen Anwalt ließen der Mann und seine Apartment-Firma wissen, dass man „in Kenntnis der aktuell gültigen Rechtslage (…) gegenwärtig keine Kurzzeitvermietungen“ in Wien betreibe.

Auf den Vorhalt von profil, dass Wohnraum in der Bundeshauptstadt knapp und teuer sei, entgegnet man via Anwalts-Schreiben: „Wohnraum in Wien ist im internationalen Verlgeich verlgeichsweise günstig. Ob und inwieweit in diesem Zusammenhang eine Knappheit besteht und auf welche Umstände diese Knappheit insgesamt zurückzuführen ist, sei dahingestellt.“ Für einen „lebendigen Wirtschaftsstandort Wien“ sei „die Bereithaltung von hochwertig möblierten Einheiten für eine Mittel- und Langzeitvermietung unverzichtbar.“ In diesem Bereich bestehe „offenkundig eine beachtliche Nachfrage“. Man verfolge „kein auf Tourismus ausgerichtetes Geschäftsmodell“ und halte die jeweils gültigen gesetzlichen Bestimmungen ein. Es gebe zudem keine Hinweise auf „allfällige nicht genehmigte bauliche Veränderungen“. In der schriftlichen Stellungnahme verweist der Anwalt zudem darauf, dass seinen Mandanten keine entsprechende Anzeige bekannt sei. Auch seien ihnen allfällige Ermittlungen der Baupolizei „bis dato nicht bekannt“.

Nun – solche Ermittlungen gibt es jedoch. Eine Sprecherin der Behörde bestätigte auf profil-Anfrage, dass es im mittlerweile eingebrachten Strafantrag genau um bewusste Adresse in der Alser Straße geht. „Von unserer Seite wurde ein Bescheid ausgestellt, dass die zweckwidrige Kurzzeitvermietung zu unterlassen ist“, teilt die Baupolizei mit: „Außerdem wurde ein Strafantrag an die für Baurecht zuständige MA 64 weitergeleitet.“ Bezüglich des Verdachts der nicht genehmigten baulichen Veränderungen sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Dieses sei zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen.

Es wird wohl doch nichts mit dem geruhsamen Herbsturlaub.

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.