Teure Kontrolle: Wiens Stadträte ohne Aufgaben
Sechs Amtsträgerinnen und Amtsträger, 158.000 Euro Jahresbezug pro Person, keine politische Zuständigkeit: Die nicht amtsführenden Stadträt:innen sorgen regelmäßig für Empörung. Sie gehen auf das Proporzsystem zurück.
Grundlage ist Artikel 112 der Bundesverfassung, der sich nur auf Wien bezieht: Der Stadtsenat muss der Stärke der im Gemeinderat vertretenen Parteien entsprechen. Die beiden Koalitionsparteien stellen in Summe sieben Mitglieder im Stadtsenat, die alle mehreren Magistratsabteilungen vorstehen.
Auf die Oppositionsparteien entfallen sechs weitere Stadtratsmitglieder, die allerdings keinerlei Zuständigkeiten haben: drei davon stellt die FPÖ, zwei die Grünen und eine die ÖVP.
Offiziell sollen sie die Kontrollrechte der Opposition im Wiener Stadtsenat sichern. Dort bekommen sie Einblicke in die Handlungen der Stadtregierung aus SPÖ und Neos. In der Praxis zeigt sich ein anderes Bild: Laut „Krone“ blieb eine der nicht amtsführenden Stadträtinnen der FPÖ im September dem Landtag vollständig fern.
„Per se ist dieses Amt in der Wiener Stadtverfassung nicht vorgesehen“, sagt Verfassungsrechtler Elio Dalpra über die Nichtamtsführenden. Was er meint: An sich sind nur amtsführende Stadträt:innen vorgesehen, die nach dem Proporzsystem und dem letzten Wahlergebnis auf die Parteien verteilt werden. Doch die Mehrheit aus SPÖ und Neos kann den übrigen Stadträten einfach keine Zuständigkeiten zuteilen. Somit leiten nur ihre eigenen sieben Stadtratsmitglieder Magistratsgruppen.
Ein rechtlicher Sonderfall
Selbst wenn die Stadt Wien daran etwas ändern wollte – sie kann es nicht.
Ganz im Unterschied zu anderen Bundesländern übrigens: Nur Oberösterreich und Niederösterreich regeln die Zusammensetzung ihre Landesregierungen weiter im Proporz. Parteien erhalten Regierungsmitglieder entsprechend ihrer Stimmenzahl, nicht entsprechend politischer Koalitionen. Das führt zu breit zusammengesetzten Regierungen, denen auch Oppositionsparteien angehören. „Die Länder könnten, aufgrund ihrer relativen Verfassungsautonomie, selbst aktiv werden, falls sie dieses Proporzsystem abschaffen wollen“, sagt Dalpra. Und wer könnte den Wiener Proporz abschaffen?
Eine Reform müsste nicht in Wien, sondern im Bund beginnen. Neos und Grüne brachten 2016 Initiativanträge auf eine Gesetzesänderung ein. Beide Parteien bestätigen profil, dass sie diese Position unverändert vertreten. Auch die SPÖ habe im Wiener Gemeinderat Beschlüsse gefasst, „mit dem ausdrücklichen Wunsch“, eine Bundesreform einzuleiten.
Die Wiener Koalition signalisiert Reformbereitschaft, verweist für die Umsetzung aber an den Bund. Dort zeigt sich neben Neos und Grünen auch die SPÖ offen für eine Abschaffung.
Und die ÖVP? Die Volkspartei signalisiert Offenheit in Wien, wenn „insbesondere das Recht auf umfassende Akteneinsicht garantiert“ bleiben würde, verweist aber auf das Regierungsprogramm. Dort sei keine Änderung vereinbart. Das bedeutet: Es wird nicht passieren. Und könnte darauf hindeuten, dass die ÖVP die Änderung in Wahrheit gar nicht will. Denn mit den Grünen gäbe es eigentlich die nötige Verfassungsmehrheit dafür. Regierungsprogramm hin oder her.
Die FPÖ lehnt die Abschaffung des Proporzsystems im Wiener Stadtsenat ab. Sie sieht die Posten nicht als funktionslos, sondern als „amtsführend ohne Ressort”. Die Freiheitlichen verlangen einen Sicherheitsstadtrat und verweisen auf ihre Kontrollrolle: „Ein freiheitlicher Stadtrat war es, der das Budget der Stadt Wien rettete, weil im präsentierten Zahlenwerk Nullen fehlten.“ Statt die nicht amtsführenden einzusparen, sollten lieber amtsführende gestrichen werden, fordert der FPÖ-Parlamentsklub auf profil-Anfrage.
Die Grünen sehen derzeit auf Bundesebene keine Zweidrittelmehrheit und planen deshalb keinen neuen Antrag.
Was wäre theoretisch möglich?
Die bisherigen Anträge zielten ausschließlich auf Artikel 112 der Bundesverfassung, der nur Wien betrifft. Bußjäger sieht aber noch weitere Ansätze: Eine Änderung des Artikels 117 würde alle Gemeinden erfassen – „aus föderalistischer Sicht gar nicht so schlecht“.
Wien könnte theoretisch auch selbst handeln, indem Aufgaben zugewiesen und nicht amtsführende Stadträt:innen zu amtsführenden gemacht werden. „Dazu müsste nur die Stadtverfassung geändert werden“, so Bußjäger. Das ist realpolitisch aber unrealistisch.
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