Morgenpost

Topjob im Verwaltungsgericht: Rechtsstaat ist kein Spielball

Seit einem halben Jahr ist die Stelle des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts vakant. Warum die fehlende Besetzung des Spitzenjobs einer Missachtung des Rechtsstaats gleicht.

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Das Besetzungsverfahren (...) läuft derzeit, steht auf der Website des größten Gerichts des Landes. Über 200 Richter:innen sind am Bundesverwaltungsgericht (BVwG) tätig; seit 1. Dezember 2022 sind sie ohne Präsident bzw. Präsidentin. Der Grund: ÖVP und Grüne können sich auf keinen Kandidaten einigen, obwohl Ausschreibungen und Hearings längst vorbei sind. Die Empfehlung der Personalkommission, Sabine Matejka (aktuell Präsidentin der Richtervereinigung) für die Position zu nominieren, scheint tief in einer Schublade der türkis-grünen Koalition verschwunden zu sein.

In Justizkreisen ist die Empörung über das führungslose Gericht groß, zumal das 2014 gegründete BVwG ohnehin in der Kritik steht. Der Rechnungshof stellte zuletzt fest: Obwohl der Personalstand kontinuierlich erhöht wurde, dauern die Verfahren (die meisten im Fremden- und Asylrecht) viel zu lange  in über 60 Prozent der Fälle wurde die gesetzliche Frist von sechs Monaten überschritten. Außerdem sei „nicht feststellbar, ob die 200 Richter:innen ihre Aufgaben effizient erledigen. Und ob sie für ihre Tätigkeit überhaupt qualifiziert seien: Anders als im Zivilrecht beispielsweise  rund vier (!) Jahre dauert die Ausbildungszeit hierfür  gibt es für die am BVwG tätigen Richterinnen und Richter keine entsprechende verpflichtende Grundausbildung. Einzige wesentliche Voraussetzung neben einem einschlägigen Studium: eine fünfjährige juristische Berufserfahrung.

Auch vor diesem Aspekt scheint eine rasche Besetzung der Leitung des Gerichts in der Wiener Erdbergstraße von zentraler Bedeutung. Der Dachverband der Verwaltungsrichter:innen spricht bereits von einer Missachtung des Rechtsstaats und kritisiert in einer Stellungnahme, dass durch die ausstehende Ernennung etwa die europäischen Standards nicht eingehalten werden und zumindest der Anschein der politischen Einflussnahme gegeben ist. Die Forderung: Der Besetzungsvorschlag der Personalkommission soll in Zukunft verbindlich sein.

Hintergrund des quasi führungslosen BVwG (der ehemalige Präsident Harald Perl ging im Dezember 2022 in Pension, seitdem wird das Gericht interimistisch geleitet) ist der Sideletter für Postenbesetzungen der türkis-grünen Koalition, der Anfang des letzten Jahres publik wurde. Für die Führung des BVwG sollte demnach die Volkspartei das Vorschlagsrecht haben. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) erklärte jedoch nach Bekanntwerden des Dokuments, der Empfehlung der Personalkommission folgen zu wollen. Hinzu kommt: Die Causa scheint eng mit der Besetzung der Spitze der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) verquickt, die seit 2021 ebenfalls interimistisch geleitet wird. Die Grünen wehrten sich hier jedoch gegen die Bestellung des ursprünglich Erstgereihten, einen ÖVP-nahen Juristen.

Dass die Regierung diese gegenseitige Blockade mit einer Art Tauschgeschäft auflösen könnte, scheint sobald nicht in Aussicht. Fest steht: Die bereits ein halbes Jahr dauernde Vakanz sowie innenpolitisches Hickhack um die Spitze des BVwG, eine der bedeutendsten Kontrollinstanzen der Republik, zeichnen jedenfalls kein gutes Bild für den Rechtsstaat.

Um eine potenzielle neue Spitze geht es im Übrigen auch in der aktuellen profil-Titelgeschichte  allerdings auf einer gänzlich anderen Ebene: Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan muss bei der Präsidentschaftswahl am 14. Mai (oder bei einer allfälligen Stichwahl zwei Wochen später) um den Machterhalt fürchten. Was seine Anhänger und Gegner über die Schicksalswahlen denken und warum Erdoğan in Österreich wieder auf einen Sieg hoffen kann, lesen Sie hier.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.