Von Gelsen-Sex und flüssigen Kristallen: Lasst Forschende spielen!
Reden wir heute über Gelsen-Sex. Können Moskito-Damen „nein“ sagen, wenn ihnen der Sinn nicht nach Geschlechtsverkehr steht? Ja, können sie. Forschende der Rockefeller University in New York fanden soeben heraus, wie sie das machen. Dazu veränderten sie Stechmücken-Männchen genetisch so, dass sie fluoreszierende Spermien produzierten, wodurch sich deren Weg in den Körper der Weibchen beobachten ließ. Zudem zeichneten sie die Kopulationsversuche der Männchen mit hochauflösenden Kameras auf und werteten geduldig Hunderte Stunden Videomaterial aus, Bild für Bild.
Dabei konnten die Wissenschafter beobachten, dass und wie die Weibchen darüber entschieden, ob sie Paarungsversuche der Männchen akzeptierten oder nicht – und zwar durch eine winzige Veränderung an den weiblichen Genitalien. Erst diese erlaubten, ähnlich wie ein Schlüssel-Schloss-Prinzip, eine erfolgreiche Kopulation.
Nur Zeit- und Geldverschwendung?
Nun mögen manche Menschen angesichts solcher Experimente die Nase rümpfen und fragen: Wozu solche Forschung? Ist es nicht blanke Zeit- und Geldverschwendung, über Monate das Paarungsverhalten von Stechmücken zu studieren?
Ist es nicht, und das führt uns nahtlos zum eigentlichen Themas der heutigen Morgenpost: Es geht um klassische Grundlagenforschung, deren konkreter Nutzen sich vielleicht erst in Zukunft zeigen wird – im aktuellen Fall zum Beispiel, indem sie neue Ansätze zur Eindämmung problematischer Mückenpopulationen eröffnet. Denn bei den untersuchten Gelsen handelt es sich um die Spezies Aedes aegypti, um Moskitos, die teils schwere Krankheiten wie das sich derzeit teils stark ausbreitende Dengue-Fieber übertragen können.
Zugegeben, wir haben an dieser Stelle schon mehrfach den Wert von Grundlagenforschung betont, doch einerseits kann man gar nicht oft genug darauf hinweisen, dass es meistens die spielerischen, von pure Neugier getriebenen Entdeckungen sind, die, ohne zunächst eine konkrete Anwendung vor Augen zu haben, in die größten Durchbrüche mündeten. Und zweitens erschien nicht nur gerade die Moskito-Studie. Beinahe zeitgleich erstellte das Fachjournal „Nature“ außerdem ein schönes Kompendium mit einer inspirierenden Auswahl an Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung, die oft zeitverzögert enorme Bedeutung erlangten – wobei „Nature“ damit vor allem auf den Schaden durch Donald Trumps aktuelle Politik abzielte, die im Begriff ist, akademische Forschung für Jahrzehnte kurz und klein zu schlagen.
Der Wert akademischer Spielerei
Zu den schönen Beispielen der Nature-Sammlung zählt unter anderem jener Forscher, der in den 1960er-Jahren an heißen Quellen Bakterien untersuchte. Kollegen gewannen aus den Mikroorganismen später die Polymerase, ein Enzym, das wesentlich für die Entwicklung der Polymerase Chain Reaction (PCR) war, für ein Verfahren zur Vervielfältigung von DNA. Wir kennen es von den Covid-Tests, und Kriminalisten überführen damit Straftäter anhand winziger Erbgut-Spuren.
Oder nehmen wir Isidor Rabi, der sich in den 1930er-Jahren für das Verhalten von Protonen und Neutronen in magnetischen Feldern interessierte. Seine Forschung war der Auftakt zur Entwicklung der Magnetresonanztomographie, einem heute unverzichtbaren Diagnoseverfahren; oder den Botaniker Friedrich Reinitzer, der Ende des 19. Jahrhunderts bestimmte Chemikalien aus Karottenwurzeln extrahierte. Bei seinen Studien stieß er auf merkwürdige Eigenschaften von Kristallen. Er sprach von Flüssigkristallen, was ihm einigen Spott der Kollegenschaft einbrachte, die behaupteten, Kristalle hätten gefälligst fest und nicht flüssig zu sein.
Mit ordentlicher Zeitverzögerung eroberte die Entdeckung fast alle Haushalte: in Form von Flüssigkristallen in Flachbildfernsehern.
Man könnte die Liste ähnlicher Beispiele ziemlich lange fortsetzen – von der Genschere CRISPR/Cas9 bis zur Wirkweise von Ozempic. Stets wollten Forschende bloß der Natur ein paar ihrer Geheimnisse abluchsen und schufen dabei, ohne es meist zunächst zu ahnen, die Grundlagen für bedeutsame Innovationen.
Und wer weiß, vielleicht werden wir alle in absehbarer Zeit davon profitieren, dass wir nun verstehen, wie Gelsen-Weibchen zudringliche Männchen auf Distanz halten.