„Heute“ schon gechattet?

Wie die mächtigsten Medienleute laut Thomas Schmid zum Aufbau des Imperiums Sebastian Kurz beigesteuert haben sollen – und ob Österreich diesen Nachrichtenverlauf löschen kann.

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Kurze Rekapitulation. Donnerstag vor einer Woche durchsuchten Ermittlungsbeamte die Geschäftsführungsräumlichkeiten der Boulevardzeitung „heute“. Anlass dafür: „heute“-Herausgeberin Eva Dichand, Thomas Schmid und Ex-Minister Gernot Blümel haben sich die Finger wund gechattet – und Thomas Schmid hat seine Interpretation bei der Staatsanwaltschaft deponiert. Die erwartete Belohnung: ein Kronzeugenstatus. Die Kurznachrichten zeichnen ein Sittenbild, das vielleicht keine juristischen, aber jedenfalls gesellschaftspolitisch fatale Folgen für die Meinungsbildung hat. Conclusion wohl für viele Rezipienten: Medien und Politik sind korrupt. 

Die zwei Kernvorwürfe in der konkreten Causa: Die Dichands hätten für eine Änderung des Privatstiftungsrechts lobbyiert und dafür Kontakt zum Finanzministerium gesucht. Das alleine wäre noch kein Problem. Aber die Justiz glaubt, da ist noch mehr: eingeschleimte Berichterstattung zugunsten ÖVP und Kurz gegen Inserate. 

Hier ein paar Eindrücke aus dem Ermittlungsakt:

Schmid schreibt Kurz am 12.5.2017:

“Die Dichands werden halten!! bin mir sicher!

Ich starte mit Eigentümern jetzt dann im BMF eine Stiftungsoffensive - alter Wunsch von Eva

LG t.”

Nur zwei Tage vor diesem Chat tritt Reinhold Mitterlehner als Vizekanzler und Bundesparteiobmann zurück. Kurz, der die Aufgabe als ÖVP-Obmann zunächst als nicht erstrebenswert bezeichnet hatte, wird Tage später, am 14. Mai 2017, designierter Parteichef.

„Nachdem Sebastian Kurz ohnehin der Mann der Stunde war, war es nicht besonders schwer, ihn in den Medien positiv darzustellen“, sagt Thomas Schmid in seiner Beschuldigtenvernehmung. Das Protokoll liegt profil vor.

Meine Kolleg:innen und profil-Investigativspezialist:innen Stefan Melichar und Anna Thalhammer haben die Verdachtslage der Justiz in diesem Artikel beschrieben. Um die Frage, wie Medien mit Inseraten umgehen sollen, geht es unter anderem in dieser Podcast-Folge.

Das große Geld bekamen die Gratiszeitungen – sie haben die größte Reichweite, erreichen mit Werbebotschaften die meisten Leute, wird seitens der öffentlichen Hand gern argumentiert, wenn man fragt, warum da Millionen Steuergeld hineingeblasen werden. Glaubt man Thomas Schmid bei seiner Vernehmung, brachten die Millionen auch ihre gewünschte Wirkung. Hier muss allerdings angemerkt werden, dass die Unschuldsvermutung gilt und die Betroffenen einen Zusammenhang zwischen Inserate und positiver Berichterstattung bestreiten. Tatsächlich wird dies zu beweisen schwierig, wie in diesem Artikel nachzulesen ist.

Thomas Schmid, der zur Zeit um seinen Kronzeugenstatus kämpft, zeichnet in seiner Vernehmung das Bild einer österreichischen Medienlandschaft ohne klare Trennung zwischen Politik und deren größten Kritiker, dem Journalismus, vor. Er sagt darin:

„… es ist wohl so, dass gewisse Themen, die einem Minister oder einem Ministerium wichtig sind und von deren Pressesprechern für gewisse Medien zur Veröffentlichung aufbereitet werden, umfangreicher und tendenziell positiver berichtet werden, wenn das mit parallel laufenden Inserateschaltungen begleitet wird.“

Thomas Schmid sollte es wissen: Immerhin war er derjenige, der als Generalsekretär für die Geldervergabe vielfach verantwortlich zeichnete. Auch die Presseabteilung - zuständig dafür, Journalisten zu bearbeiten – war ihm unterstellt.

Die Inseratevergaben des Finanzministeriums sind in der Zeit zwischen 2016 und 2018 über alle Medien hinweg sprunghaft angestiegen, lautet auch die Argumentationslinie der Gratiszeitung "Heute". Die WKstA prüft nun alle Inserate des Finanzministeriums.

Medienexperte Andy Kaltenbrunner sieht im „Puls 24“-Interview die Problematik darin, dass die „unmittelbare Nähe“, die aus den Chats herauszulesen ist, die „Menschen daran zweifeln lässt, ob … der österreichische Journalismus die Leistung erbringt, die eigentlich erbracht werden müsste.“ Bei der Gründung der Tageszeitung „heute“, so Kaltenbrunner, sei in den Verträgen der Journalist:innen gestanden, sie hätten auf die Interessen der Inserenten Rücksicht zu nehmen.

Untreue, Bestechung, Bestechlichkeit. So einfach sind Vorwürfe und ein einprägsamer Nachrichtenverlauf nicht aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. Mögliche juristische Konsequenzen in dieser Causa sind noch abzuwarten - es wird Jahre dauern, und so lange bleibt dieses desaströse Bild einer angeblich dreckigen Komplizenschaft von Medien und Politik aufrecht. 

Doch in der Zwischenzeit haben die jüngsten Chat-Funde zumindest das Potenzial, für mehr Sensibilität zu sorgen – sowohl bei Leser:innen, als auch bei jenen, die in den Redaktionen Themen auf die Tagesagenda setzen. Oder im Idealfall bei der Politik. Denn: Medien prägen das eigene Weltbild – und können (Wahl-)Entscheidungen beeinflussen. Deshalb ist es unsere Pflicht als Journalist:innen, diese Dinge für Sie zu prüfen. Folgen Sie faktiv, unserem Faktencheck, und lesen Sie unsere Berichterstattung. Wir bekommen - anders als der Boulevard - bisher kaum bis kein Geld aus Ministerien. Es gibt uns, weil Sie uns lesen und somit finanzieren. Wir wissen Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung zu schätzen.

Über Ostern wünsche ich Ihnen im Ton unserer Spezialausgabe, die Sie hier als E-Paper lesen können, Liebe und Hoffnung – egal ob Sie glauben, oder nicht.

Elena Crisan

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.