Amtsgeheimnistuerei

Amtsgeheimnis: Wie die Politik ihr Wissen gegen ihre Bürger verteidigt

Amtsgeheimnis. Wie die Politik ihr Wissen gegen aufmüpfige Untertanen verteidigt

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Wenn einer eine Reise tut, kehrt er manchmal erschöpft zurück – mit unerwünschten Folgen. Frühmorgens Freitag vorvergangener Woche waren die Klubchefs von SPÖ und ÖVP, Andreas Schieder und Reinhold Lopatka, von einem USA-Trip mit einer Parlamentsdelegation zurückgekehrt. Geduscht, rasiert, aber offenbar übermüdet konfrontierten sie wenige Stunden später bei einer Pressekonferenz Journalisten mit einer heiklen, die Berichterstatter höchstpersönlich betreffenden Materie zur Reform der Untersuchungsausschüsse: Nach einer neuen „Geheimschutzordnung“ im Umgang mit heiklen Unterlagen sollte ein „Verwertungsverbot“ Medien unter Strafandrohung daran hindern, vertrauliche Papiere zu veröffentlichen. Nach allgemeiner Empörung über den „Maulkorb“ („Salzburger Nachrichten“) folgte drei Tage später die Annullierung in eigener Sache: Ein Veröffentlichungsverbot sei nie geplant gewesen (Schieder). Diesbezügliche Aussagen seien ein „Missverständnis“ (Lopatka). Und der neutrale Begriff „Informationsordnung“ löste die brisantere „Geheimschutzordnung“ ab.

Wenn eine Regierung überlegt, unangenehme Veröffentlichungen mittels Zensur und Strafe zu verhindern; wenn eine Verwaltung den Bürgern Informationen willkürlich verweigert; wenn Politik und Bürokratie ihr Herrschaftswissen gegen aufmüpfige Untertanen verteidigen – dann handelt es sich nicht zwangsläufig um einen mitteleuropäischen Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhundert, sondern womöglich um ein demokratisch verfasstes EU-Mitgliedsland der Gegenwart. Im „Right to Information“-Ranking der spanischen NGO „Access Info Europe“ und des kanadischen Centre for Law and Democracy landet Österreich auf dem 95. Platz von 95 Nationen. In kaum einem anderen Land der westlichen Welt versiegelt der Staat Informationen vor seinen Bürgern derart rigoros wie hierzulande: Österreich – Land der Amtsgeheimnistuer.

Nach den Vorstellungen von Schieder und Lopatka wären zukünftig Enthüllungen wie jene aus den prominenten Causen der vergangenen zehn Jahre unmöglich: etwa die 7,7-Millionen-Euro-Provision für Karl-Heinz Grassers Spezi Walter Meischberger bei der Buwog-Privatisierung; die Millionen-Honorare – 96.000 Euro für die Organisation einer Pressekonferenz – an diverse blau-orange Agenturen als Nebenerscheinung des Eurofighter-Deals; das Parteienfinanzierungs-System powered by Telekom Austria; die Malversationen um die Defacto-Pleite der Hypo Alpe-Adria.

Österreichs Journalistenvereinigungen, darunter der Presseclub Concordia, die Vereinigung der Parlamentsredakteure, Journalistengewerkschaft, Chefredakteure und Presserat, erinnerten die Bundesregierung in der Vorwoche daran, dass die Pressefreiheit ein „unantastbares Menschenrecht“ sei. Statt „neue Geheimhaltungsstufen für Akten“ benötige Österreich endlich „ein modernes Informationsfreiheitsgesetz, wie es in anderen Staaten längst Usus“ sei.

In Deutschland existiert ein derartiges Gesetz seit 2006. Auch in Slowenien, Deutschland, Schweden, Großbritannien oder den USA sind Behörden prinzipiell zur Auskunft verpflichtet.

In Österreich steht die allumfassende bürokratische Informationssperre, das Amtsgeheimnis, seit 1920 sogar im Verfassungsrang – ein konstitutionalistisches Unikum in der freien Welt. Und wie in einem föderalistischen Staat nicht anders zu erwarten, verfügen auch die neun Bundesländer über jeweils eigene Regelungen zur behördlichen Verschwiegenheit.

Mittels Verweis auf Artikel 20 der Bundesverfassung schützen die Behörden freilich nicht nur Staatsgeheimnisse und Persönlichkeitsrechte, sondern auch Harmlosigkeiten aller Art. Kein bürokratischer Vorgang wäre zu lapidar, als dass er nicht per Amtsgeheimnis gegen Neu- und Wissbegier immunisiert würde, obwohl das Auskunftspflichtgesetz aus dem Jahr 1986 sogar österreichischen Bürgern – in Maßen – Informationsfreiheit gewährt.

Wer nichts sagt, kann auch nichts verraten
Doch weder Politik noch Bürokratie ist an einer Aufweichung ernsthaft gelegen: Den Regierenden verschafft das Amtsgeheimnis Spielraum zur Machtentfaltung bei gleichzeitiger Camouflage derselben. Und der Verwaltung ist es systemimmanent – schon aus Selbstschutz gegenüber der Politik: Wer nichts sagt, kann auch nichts verraten.

Als von Amtswegen geheim gelten etwa: der Kriterienkatalog zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Künstler, Sportler und Wissenschafter; das Vorzugsstimmenergebnis bei der Lang-enzersdorfer Gemeinderatswahl; die Menge der jährlich eingesetzten für Bienen schädlichen Pestizide; die Anzahl der Studienabbrecher an der Medizinischen Universität Innsbruck; der Wahrnehmungsbericht der Korruptionsstaatsanwaltschaft 2011; die Frist, die den Wiener Bezirken Alsergrund und Penzing für eine Stellungnahme zum Entwurf eines Flächenwidmungsplans eingeräumt wurde; die Verleihung von Diplomatenpässen an Personen ohne offizielle Funktion; die Kriterien für die Vergabe von Casinolizenzen; der Pachtvertrag der Republik mit der „Wiener Kongresszentrum Hofburg Betriebsgesellschaft“; Dokumente zum Helmut-Zilk-Park in Wien-Favoriten; die Anzahl der durch Spitalskeime verursachten Todesfälle in heimischen Krankenhäusern; Tagesordnungen und Beschlussprotokolle des Ministerrats.

Der Milliarden-Schaden um die Hypo Alpe-Adria zeigt die Intensität des Amtsgeheimnisses. Unter staatliche Informationssperre fallen die Honorare sämtlicher involvierter Berater (kolportierte Gesamtsumme: bis zu 400 Millionen Euro); die Stellungnahme der Nationalbank zum Hypo-Sanierungsgesetz; die Mitglieder der einstigen Hypo-Taskforce; die Verträge mit den Bayern. Und auch die neue Untersuchungskommission unterwarf sich unmittelbar dem Amtsgeheimnis.

Der frühere profil-Journalist Josef Barth beschäftigt sich nicht nur mit skurrilen Erscheinungsformen der Auskunftsverweigerung, sondern vor allem mit politisch brisanten.
Barth ist Gründer des Forums Informationsfreiheit, das für ein umfassendes Transparenzgesetz kämpft: „Information ist kein Privileg, es ist ein Recht.“ Aktuell treibt das Forum den Gegengeschäftsvertrag zum Eurofighter-Kauf durch den Instanzenweg. Nachdem das Wirtschaftsministerium im Mai einen Antrag auf Auskunft „zugunsten des Schutzbedarfs der Eurofighter GmbH“ ablehnte, wurde der betreffende Bescheid beim Bundesverwaltungsgericht angefochten.

Der wichtigste Teilerfolg zur Durchsetzung staatlicher Transparenz glückte im November 2013, als das Amtsgeheimnis von der denkbar höchsten Instanz gekippt wurde. Eine Tiroler NGO hatte Einsicht in – anonymisierte – Entscheidungen der Landes-Grundverkehrskommission gefordert.
Die Tiroler Behörden verweigerten mit Verweis auf das Amtsgeheimnis, auch der Verfassungsgerichtshof wies die Petenten ab. Im Gegensatz zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der die Beschwerde für zulässig erklärte: Die Tiroler Behörde hätte mit ihrer „unverhältnismäßigen Verweigerung“ das Menschenrecht auf Informationszugangsfreiheit verletzt.

Mittlerweile hat auch die Regierung erkannt, dass das Amtsgeheimnis nach Wiener Art wohl nicht mehr zeitgemäß ist. Doch der seit März vorliegende Entwurf für eine Neuregelung der Verfassung gilt aufgrund zahlreicher Ausnahmen nicht als großer Wurf. Der zuständige Kanzleramtsminister Josef Ostermayer, SPÖ, verströmt dennoch Reformfreude.
Das Amtsgeheimnis in seiner jetzigen Form könnte „noch im Herbst“ fallen.
Es wäre das Ende einer bürokratischen Erfolgsstory.
Der absolutistische Staat des 17. und 18. Jahrhunderts erhob Geheimhaltung zum Herrschaftsinstrument, gestützt auf höhere Beamte, die die berüchtigten „Arcana Imperii“ (Geheimnisse der Herrschaft) schützten. Der berühmteste dieser Geheimräte war Johann Wolfgang von Goethe. Das Prinzip, die Verwaltung eng an den Fürsten zu binden, stammt vermutlich aus Italien. Der Begriff „Sekretär“ geht auf die italienischen „Secretarii“ zurück, „geheime“ Männer, bei denen vertrauliche Informationen der Herrschenden gut aufgehoben waren.

Im Zeitalter der Restauration unter Metternich (1773 bis 1859) in Österreich und Bismarck (1815 bis 1898) in Deutschland wurde das Prinzip einer abgeschotteten Bürokratie verfestigt. Dem Reichskanzler wird der Ausspruch zugeschrieben, kein Dokument dürfe seine Kanzlei verlassen, das nicht den Stempel „Dies ist geheim zu halten“ trage. Im Jahr 1873 war die Verschwiegenheitspflicht für Reichsbeamte gesetzlich verankert worden. In der nationalsozialistischen Herrschaft wurde die Verletzung des Amtsgeheimnisses – die Beamten waren zu „unbedingtem Gehorsam und äußerster Pflichterfüllung“ gegenüber „Führer und Reich“ gesetzlich verhalten – schließlich ins Strafgesetzbuch aufgenommen.

Amtsgeheimnis 2.0?
Ihrer Zeit weit voraus waren – wie immer – die Skandinavier. Bereits 1766 wurde in Schweden jedem Bürger Einsicht in öffentliche Dokumente gewährt. Diese „Offentlighetsprincip“ entwickelte sich zu einem Grundpfeiler schwedischen Demokratieverständnisses.

Das österreichische Amtsgeheimnis überdauerte die Zeitläufte. Im Jahr 1920 wurde es in die Bundesverfassung der Republik übernommen. Da die Regelung relativ unbestimmt blieb, war deren exzessiver Missbrauch absehbar. In ihrem Standardwerk „Allgemeines Verwaltungsrecht“ schrieben die Rechtsprofessoren Ludwig Adamovich und Bernd-Christian Funk in den 1980-er Jahren: „In der Praxis wird es der Verwaltung so gut wie immer möglich sein, irgendein öffentliches Interesse anzugeben beziehungsweise auch nur vorzuschieben, um Informationen zurückbehalten zu können. Um dem zu begegnen, sind Reformvorschläge zur Amtsverschwiegenheit im Gespräch.“

Doch es wäre nicht die findige österreichische Bürokratie, wenn sie den möglichen Wegfall des Amtsgeheimnisses nicht kompensieren könnte.
Die derzeit bevorzugte juristische Prothese: das Urheberrecht. So lehnte der Stadtschulrat Wien ein Auskunftsbegehren zum Text des Lesetests für Volksschüler mit der Begründung ab, die Verträge mit den involvierten Verlagen würden „keinesfalls eine Weitergabe an Dritte“ erlauben.

Im Februar forderte die Opposition vehement die Veröffentlichung des Gutachtens der Beratungsfirma Oliver Wyman zur Abwicklung der Kärntner Hypo. Finanzminister Michael Spindelegger wehrte das Ansinnen mit der Begründung ab, Wyman betrachte das Gutachten als sein geistiges Eigentum – Causa finita.

Spindeleggers Weigerung mag ein kleiner Trost für einfache Bürger sein: Staatlich exekutierte Informationssperren entmündigen auch gewählte Abgeordnete, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung („Checks and Balances“) die Regierenden eigentlich kontrollieren sollen – doch ohne Informationen keine Kontrolle.

Max Weber hielt in „Wirtschaft und Gesellschaft“ schon vor knapp 100 Jahren fest, „Geheimhaltung“ sei weit über sachliche Erwägungen hinaus „reines Machtinteresse der Bürokratie“. Originalzitat: „Der Begriff ,Amtsgeheimnis‘ ist ihre spezifische Erfindung, und nichts wird von ihr mit solchem Fanatismus verteidigt wie eben diese.“

+++ Lesen Sie hier: Sensible Akten bekommen auch die Mitarbeiter des Staatsarchivs nie zu Gesicht +++

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.