NS-PROPAGANDA FÜR DEN ARBEITER: Österreichisches Elend, deutsche Autobahnen.

Anschluss-Jahr 1938: "Wie erbringe ich meinen Arier-Nachweis?"

profil-Serie zum Anschluss-Jahr 1938: Woche vom 26. März bis 2. April

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Anhand von Zeitdokumenten schildert profil, wie das nationalsozialistische Regime das Denken der Menschen und ihren Alltag dominierte.

Die Hysterie der ersten Tage, in denen eine begeisterte Menge von einer Parade zur anderen jagte, ist abgeebbt, doch schnell wieder entflammbar. Am 26. März trifft Generalfeldmarschall Hermann Göring in Wien ein. "Die Herzen der Wiener schlagen ihm entgegen", tönt es aus der gleichgeschalteten Presse. Und wieder sind sie auf den Beinen -"stolz und aufrecht, als sei eine erdrückende Last von ihren Schultern genommen. Lebensfreude und Glauben leuchtet aus den Augen, spricht aus dem Mienenspiel. Es wird bald keine Elendsquartiere in Wien mehr geben. Sie wissen, es wird anders." In den Zeitungen erscheinen Bilder von deutschen Autobahnen und neuen Dörfern.

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Die Nürnberger "Rasse"- Gesetze sind im "angeschlossenen" Österreich noch nicht in Kraft, doch schon betrifft es jeden. Die Arier-Frage ist ein Massenproblem. In den Zeitungen erscheinen Serviceseiten. "Wie erbringe ich meinen Arier-Nachweis?" Es werden Tipps gegeben, welche Behörde man aufsucht zur Ahnenforschung und wo man am billigsten kopieren kann. Ein 48 Seiten starkes Büchlein dazu ist erschienen. Darin werden die wahrlich komplizierten Bestimmungen - wann ist jemand ein Halbjude, ein Vierteljude oder ein Dreivierteljude - genauestens erläutert.

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Görings Auftritt in Wien ist eine groß angelegte Werbung um die Arbeiterschaft. Neue Kollektivverträge, bessere Bezahlung und mehr Urlaub werden in Aussicht gestellt. Die Wiener Rathauskorrespondenz kündigt die Senkung des Gaspreises an. Die NSDAP organisiert kostenlose Kinobesuche für Arbeitslose und Ausgesteuerte. 500 Kinder von Wiener Straßenbahnern sind zu einem vierwöchigen Ferienaufenthalt ins "Reich" eingeladen. Es gibt Armensuppen am Heldenplatz. In der Zeitung "Arbeitersturm" sind einige Dutzend Unternehmer namentlich angeführt, die ihren Arbeitern besondere Sozialleistungen zukommen lassen. "Sozialismus der Tat" nennt sich die Kampagne.

Am 1. April werden 151 Personen des öffentlichen Lebens, darunter der spätere Kanzler Leopold Figl und Gewerkschaftspräsident Franz Olah, ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Die Nazis nennen das höhnisch "Prominententransport".

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Christa   Zöchling

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