Die Russen kommen jeden Dienstag im ORF. Als Hausband der Late-Night-Show "Willkommen Österreich" sind Russkaja Einpeitscher der beiden Comedians Stermann, Grissemann. In der Mitte: Sänger Makazaria.
Krieg in der Ukraine

Band Russkaja: "Unser Panzer ist das Schlagzeug"

Seit 17 Jahren steht Russkaja für fröhlichen Party-Sound mit russischer Folklore. Geht sich russische Unterhaltungsmusik noch aus?

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12. März, 2022, Tulsa, Oklahoma. Die Musiker von Russkaja auf Tour durch die USA, gemeinsam mit der irischen Band Flogging Molly. Es ist der fünfte Auftritt. 2000 Fans tanzen ausgelassen, wollen Selfies, Autogramme. Nur ein Mann im Publikum trübt die Stimmung. Er dreht der Band den Rücken zu und zeigt ihr den Mittelfinger. Beinahe das gesamte Konzert über. Bis er sich wendet und den restlichen Auftritt mit steinerner Miene verfolgt. Dabei kaut er Tabak-Blätter. Ein Russenhasser? Kriegsgegner? Ist er bewaffnet? Er bleibt die absolute Ausnahme, die Tour ist ein Erfolg.

Es war der große Traum der österreichischen Band Russkaja: Die erste US-Tournee. Nun geht er in Erfüllung - ausgerechnet in den Tagen nach Ausbruch des Ukraine-Krieges. In den ruhigen Stunden zwischen den Gigs macht sich innere Unruhe breit. Wie geht es den Familien in Österreich, so nahe am Kriegsgebiet? Wie geht es Angehörigen direkt in den umkämpften Städten? Bassist Dimitrij Miller ist gebürtiger Ukrainer. Der Krieg trifft die Band auch als Künstler ins Mark: Wie geht sich das aus, weiterhin russische Unterhaltungsmusik zu machen? Wie kann russische Kunst das Gute und Schöne repräsentieren, wenn das Land für Krieg steht? Und was wäre die Alternative? Solche Fragen wälzt Sänger Georgij Makazaria seit Kriegsbeginn.

Es fiel mir in den ersten Konzerten nach Kriegsbeginn sehr schwer, hinter dem Exotischen, Heiteren, Fröhlichen zu stehen, das wir mit unseren russischen Liedern transportieren."

Der gebürtige Russe hat Russkaja 2005 gegründet. Seither steht die Ska-Punk-Polka-Band für energiegeladene Party-Musik und russische Folklore. Man kennt sie unter anderem als Hausband der ORF Late-Night-Show "Willkommen Österreich". Wenn Makazaria bisher mit stimmlicher Urgewalt sang: "Die Russen sind da nach einem Tagesmarsch", war das ein typischer "Russen-Schmäh", ein Spiel mit Klischees und eine unmissverständliche Einladung zum Mittanzen. Nach dem Einmarsch der Russen in der Ukraine blieben Makazaria solche Songzeilen schon einmal im Hals stecken.

Er erzählt: "Es fiel mir in den ersten Konzerten nach Kriegsbeginn sehr schwer, hinter dem Exotischen, Heiteren, Fröhlichen zu stehen, das wir mit unseren russischen Liedern transportieren. Mittlerweile konzentriere ich mich darauf, dass wir eine internationale Band mit unterschiedlichen Wurzeln sind und durch unsere Musik die Menschen verbinden. Unsere Gewehre sind Saxophone und Trompeten, unser Panzer ist das Schlagzeug."

Auf der US-Tournee eröffnet Makazaria jedes Konzert mit einem Friedensstatement. "We stand for Love, Unity and Humanity. The Band Russkaja keeps representing Peace and we say: Stop the War in Ukraine!" So steht es auch auf der Website fett geschrieben-damit kein Zweifel aufkommt. Wenn Sänger und Bassist von ihren russischen und ukrainischen Wurzeln erzählen und sich dann Arm in Arm gegen den Krieg aussprechen, wird das meist mit langem Beifall quittiert. "Ich vermeide es dabei, zu tief in den politischen Sumpf einzutauchen, denn unsere Message ist ganz klar: Nein zum Krieg!",sagt Makazaria.

Die anderen Bandkollegen reden ihrem Sänger und Bassisten gut zu. Erinnern die beiden daran, dass ihre Musik rocke und genau nichts mit russischer Politik zu tun habe. Dennoch können sich Makazaria und Miller einer gewissen Identitätskrise nicht erwehren, unter der viele Menschen nun leiden, die familiär, musikalisch, beruflich zwischen den Welten leben; Lebenswelten, die der Krieg nun trennt.

Russkaja im Videointerview 2019, anlässlich ihres Albums „No One Is Illegal“.

"Täglich bekomme ich Nachrichten aus der Ukraine. Verwandte müssen ausreisen, Männer werden einberufen. Da fällt es mir nicht leicht, russische Vibes zu verbreiten, obwohl ich als geborener Ukrainer beide Völker als eines empfand",schildert Bassist Miller, der mittlerweile EU-Bürger ist. Bei Russkaja versucht er nun, so gut es geht, zwischen Musikmachen und Politik zu unterscheiden.

Der 47-jährige Makazaria verließ die Sowjetunion im Jahr 1989. Er war 15 Jahre alt. In Österreich lebt er mittlerweile doppelt so lange wie in Russland. Er wählte stets den österreichischen Präsidenten, nicht den russischen. Es könnte ihm egal sein, was Wladimir Putin in der Ukraine und der Welt anrichtet. Doch es ist ihm nicht egal. Durch seine Lieder, seine Sprache und seine Herkunft fühlt sich der Sänger unter Rechtfertigungszwang. Er hat sogar überlegt, das "Russ" aus dem Bandnamen zu tilgen, wegen dieser "Negativität",die damit behaftet sei. Doch er erinnert sich selbst immer wieder daran: "Russkaja steht für Party, Frieden, Liebe." Er will weiterhin an das Gute in der russischen Seele glauben und hofft, dass der Krieg so rasch wie möglich endet.

Bis es so weit ist, spaltet eine Frage zunehmend die Kunst- und Kulturwelt: Wie eindeutig müssen sich Künstler mit Russlandbezug gegen den Krieg aussprechen? Makazaria schrieb am Tag nach der Invasion Russlands auf seiner Facebookseite: "Ein inakzeptabler Wahnsinn ist das. Die aktuelle russische Regierung nahm allen Menschen auf der Welt das Wertvollste, was wir hatten - den Frieden. Die Regierung dieser Großmacht hat einen Krieg ausgelöst, und das trifft bei mir auf entschlossene Ablehnung und heftigen Protest. Ich sage Nein zum Krieg in der Ukraine." Den Namen des russischen Präsidenten erwähnte er dabei nicht.

Künstlern, die in Russland offen gegen den Krieg und Putin protestieren, droht Verhaftung. Von jenen, die im Westen leben oder auftreten, wird eine lupenreine Anti-Russland-Haltung verlangt. Makazaria meint, jeder Künstler solle selbst entscheiden können, wie er sich zum Krieg äußere, ohne öffentlichen Druck. Man sei immerhin kein Politiker oder Richter. Deswegen verstehe er auch den "Shitstorm" gegen Anna Netrebko nicht. Die bekannte Opernsängerin mit russisch-österreichischer Doppelstaatsbürgerschaft wurde von mehreren Opernhäusern ausgeladen, weil sie Putin nicht verurteilte. Sie beließ es dabei, zu betonen, dass der Krieg "ihr das Herz breche". Makazaria will sich in die Causa nicht einmischen, meint aber: Alle Künstler, die sich gegen Krieg aussprechen, seien automatisch auf einer Seite - "auf der Seite des Friedens".

Als Russe hatte ich das Gefühl, zu den Guten zu gehören. Jetzt dreht es sich um. Auf die Frage, woher ich komme, ertappe ich mich beim Gedanken, dass die Antwort ,Russland' negativ ankommen könnte."

Der Frieden. Dafür stand für den 1974 in Moskau geborenen Sänger längste Zeit seine alte Heimat, die Sowjetunion. "Angehörend der Generation der Sowjets, deren Großväter den Krieg gegen den Faschismus gewonnen hatten, war ich sehr stolz darauf, gebürtiger Russe zu sein. Einer Nation anzugehören, die den schrecklichen Feind erfolgreich bekämpft hat." Er erinnert sich an die jährlichen Siegesparaden am 9. Mai auf dem Roten Platz, die er mit seinem Großvater, einem Veteranen, besuchte, in der Hand rote Luftballons.

Georgij erinnert sich an eine glückliche Kindheit in der Sowjetunion. Die Hauptstadt war Versorgungsgebiet 1. Wenn man lange genug wartete, gab es fast alles. Und den Warenüberfluss im Westen kannte er ja nicht. Woran er sich erinnert, war die Solidarität der Menschen in der Sowjetunion seiner Kindheit, wenn sie gemeinsam den Kasten des Nachbarn montierten, der nach Monaten endlich geliefert wurde; wenn er mit einem aufgeschnittenen Hula-Hoop-Reifen auf den Lkw mit dem Klopapier wartete, um die Rollen aufzufädeln und dabei mit anderen tratschte; wenn die Kinder wie selbstverständlich durch die offenen Türen der Nachbarwohnung spazierten und mit den Familien mitaßen, solange die eigenen Eltern arbeiteten. Aus diesen starken russischen Wurzeln erwuchsen Russkaja sowie sein Engagement beim Russian Gentlemen Club, sein zweites Bandprojekt mit russischen Nostalgie-Liedern, im Stil der "sowjetischen Varieté-Bühne".

Der Krieg zerrt nun heftig an diesen Wurzeln. "Als Russe hatte ich das Gefühl, zu den Guten zu gehören. Jetzt dreht es sich um. Auf die Frage, woher ich komme, ertappe ich mich beim Gedanken, dass die Antwort ,Russland' negativ ankommen könnte", sagt Makazaria.

Als er nach einem Auftritt in den USA einen Burger kaufte, bekam er zu spüren, wie es sich anfühlt, einmal nicht zu den Großen zu gehören: "Austria? I have no idea where it is", sagte die Burger-Verkäuferin.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.