Eine linke Hand in schützender Abwehhaltung, dahinter verdeckt die rechte Hand das Gesicht einer Frau. Symbolbild zu Gewalt an Frauen
Österreich

Beratung für Gewalt-Opfer: „Nur der Täter muss sich schämen“

Vielen Gewaltbetroffenen fällt es schwer, mit Bekannten darüber zu reden. Was Beratungsstellen raten.

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Vergangenen Donnerstag berichtete die Krone von monatelangem sexuellem Missbrauch an einer 12-Jährigen. Die Polizei ermittelt gegen insgesamt 17 Tatverdächtige wegen Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs und der pornografischen Darstellung einer unmündigen Person. Die meisten mutmaßlichen Tatbeteiligten sind selbst minderjährig.

Kinder als Opfer, Kinder als Täter

Absehen von zwei bislang unbekannten mutmaßlichen Tätern, wird gegen zwölf Minderjährige zwischen 14 und 18 Jahren, einen Volljährigen (19 Jahre), sowie zwei Unmündige (unter 14) ermittelt.

Bis Juni 2023 traf sich das Mädchen mit dem Täterkreis, den sie aus einem Park in Wien-Favoriten kannte. Die Burschen sollen massiv Druck auf die 12-Jährige ausgeübt und sie schließlich zum Geschlechtsverkehr genötigt haben, indem sie sie wiederholt drängten, mit ihnen zu schlafen. Den Tätern zufolge hätten die Handlungen nicht gegen den Willen der Geschädigten stattgefunden.

„Missverstandenes“ Schweigen

Die Psychologin Johanna Gerngroß von der Sigmund Freud Privatuniversität hält Einvernehmlichkeit für unplausibel. Wahrscheinlicher sei, dass das Mädchen „mit der Situation überfordert gewesen sein dürfte und nicht zugestimmt hat“. Eine rechtliche, aber auch soziale Implementierung des „Konsens-Konzepts“ in welchem nur ein aktives „ja“ als Zustimmung gewertet wird, könnte solche Fälle verhindern, sagt die Leiterin der Lehrgänge Sexualpädagogik und Sexualberatung. Noch sei es so, dass „Schweigen als Billigung oder Gutheißung einer solchen Tat verstanden wird“, so Gerngroß weiter. Das müsse sich ändern. 

Im Nachgang wurde in den sozialen Medien der Vorwurf geäußert, Frühsexualisierung von Kindern und Jugendlichen könnte das Tatmotiv sein, teilweise wurde sogar das Opfer an den Pranger gestellt. Die Psychologin kontert, dass es heute zwar leichter sei, pornografische Inhalte zu konsumieren, aber das führe nicht „automatisch zu früherem Geschlechtsverkehr. Im Gegenteil: altersadäquat aufgeklärte Jugendliche haben sogar später ihre ersten sexuellen Kontakte“. Anstatt möglicher Täter-Opfer-Umkehr stehe vielmehr die Frage im Raum, weshalb das Mädchen keine Hilfe fand. „Betroffene brauchen durchschnittlich sieben Anläufe, bis ihnen geglaubt wird“, mahnt Gerngroß.

Sind Sie von Gewalt betroffen? Hier finden Sie Hilfe

Opfer-Notruf: 0800 112 112 | www.opfer-notruf.at
Frauenhelpline: 0800 222 555 | www.frauenhelpline.at
Rat auf Draht (Beratung für Kinder und Jugendliche): 147 | www.rataufdraht.at
Autonome Frauenhäuser: 01- 544 08 20  | www.aoef.at
Gewaltschutzzentren: 0800 700 217 | www.gewaltschutzzentrum.at
Weisser Ring: 050 50 16 | www.weisser-ring.at

Polizei-Notruf: 133 

Emotionale Abhängigkeiten

Geschockte oder traumatisierte Geschädigte sind oftmals auch nicht in der Lage, sich zu öffnen. Die 12-Jährige machte ihrer Mutter gegenüber nur vage Angaben. Auf der Polizeidienststelle wollte sie sich im Beisein ihrer Erziehungsberechtigten zuerst nicht äußern. Erst nachdem die Ermittler das Mädchen gesondert einbestellten und sich Beamtinnen des 2023 gegründeten LKA-Opferschutzzentrums dem Fall annahmen, fasste das Kind den nötigen Mut. Das Opferschutzzentrum ist seit Oktober vergangenen Jahres in Betrieb. 14 Beamte des Landeskriminalamts prüfen akute Fälle von Gewalt, erstellen Gefahrenanalysen und stehen in Kontakt mit weiteren Beratungsstellen. Auch Betretungs- und Annäherungsverbote können durch die Polizeibehörden ausgesprochen werden.

Sind diese ausgesprochen, meldet sich je nach Ort, für den der Schutzbereich definiert ist, eines von neun österreichischen Gewaltschutzzentren bei den Opfern. „Damit wird eine große Hemmschwelle genommen“, sagt Nicole Krejci, Geschäftsführerin des Wiener Gewaltschutzzentrums. Diesen proaktiven Ansatz verfolge man bereits seit über zwei Jahrzehnten, doch kennen viele die bestehenden Angebote nicht.

Sich beraten zu lassen und Unterstützung zu suchen – egal, worum es geht – sollte normalisiert werden.

Nicole Krejci

Wiener Gewaltschutzzentrum

„Um das Gewaltschutz-System bekannter zu machen, müssen wir uns besser koordinieren und die Schnittstellen besser ineinandergreifen“, so Krejci. Gleichwohl fordert sie eine „gesellschaftliche Entstigmatisierung“ von Beratung. „Wenn es um Eigenheimfinanzierung geht, wendet man sich ohne zu zögern an Expert:innen. Das muss auch in anderen Lebenslagen möglich sein.“ Dabei kann das Gespräch mit neutralen Dritten befreiend sein. Denn oft verhindere Scham, dass man gegenüber bekannten Personen seine Gefühle nicht anspreche.

Distanz hilft

Brigitta Pongratz von der Opferhilfe „Weisser Ring“ bestätigt, dass es für die Opfer schwierig sein kann, im Beisein von Verwandten oder Bekannten auszusagen. „Wir kennen das beispielsweise auch bei Übersetzungstätigkeiten. Angehörige sind sehr oft mit betroffen und leiden mit dem eigentlichen Opfer mit. Deshalb ist der Einsatz professioneller Dolmetscher – auch in Form von Videodolmetschung – von Vorteil, damit das Opfer frei reden kann und keine Information auf der Strecke bleibt.“ Beim „Weissen Ring“ berät man Opfer situativer Gewalt. Also Menschen, denen von in der Regel unbekannten Tätern Gewalt angetan wurde. In vielen Fällen treibt die Betroffenen die Scham um. „Aber außer dem Täter muss sich niemand schämen“, so Pongratz.

Nicole Krejci mahnt abschließend alle die Augen offenzuhalten. Denn „die Wahrscheinlichkeit, dass im eigenen direkten oder indirekten Umfeld jemand von Gewalt betroffen ist, ist groß.“

Moritz Gross

schreibt im Rahmen des 360° JournalistInnen-Traineeship für profil.