Markus Marterbauer ist ein Mann mit einer Eigenschaft. Er kann erklären, was er tut und vermittelt so den Eindruck, die Lage im Griff zu haben. Das machte den SPÖ-Finanzminister zum beliebtesten Regierungspolitiker. Er verteidigt diese Position im Vertrauensindex der Austria Presseagentur (APA) trotz einer Sparpolitik, die selbst im roten Wien Sozialarbeiter auf die Straße treibt (siehe Interview Seite 16).
Seit bald zwei Wochen kann Marterbauer seine wichtigste Eigenschaft nicht ausspielen. Er ist zum Schweigen verdammt, weil er nicht weiß, wie groß das Budgetdefizit ist. Ein Finanzminister, der nicht genau sagen kann, wie viel Bund, Länder und Gemeinden zusammen einnehmen und ausgeben, ist wie ein Shop-Betreiber, der seine Lagerbestände nur schätzen kann.
Warum Marterbauer im Trüben fischt
Am 2. Oktober betrug das Defizit: 4,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Diesen Wert meldete Marterbauer an die EU, die Österreichs Budgetpfad streng überwacht. Am 11. November tauchte aus dem Dunstkreis der Bundesländer dann plötzlich ein neuer Wert auf: 4,9 Prozent – eine Abweichung von zwei Milliarden Euro, die auf die Kappe der Gemeinden und Länder gehen soll. Über die wahre Größe des gesamtstaatlichen Budgetlochs kann seither nur spekuliert werden. Marterbauer konnte die 4,9 Prozent bis Redaktionsschluss weder bestätigen, dementieren noch korrigieren.
Sein Ministerium kündigt stattdessen an, die „Qualität des Datenaustausches“ zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verbessern zu wollen. Im Jahr 2025. Das sagt viel aus über die bisherige Qualität des heimischen Föderalismus.
„Der Bund hat bereits einen strengen Sanierungskurs eingeschlagen“, spielt das Ministerium den Ball dezent an die Länder und Gemeinden. Die Regierung liegt beim Einsparen tatsächlich leicht über Plan. Das attestiert ihr auch die Budgetexpertin des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Margit Schratzenstaller.
Marterbauer ist Fan einer „Vermögenssteuer light“
Was könnten die neun Bundesländer und 2092 Gemeinden zusätzlich tun? Der Finanzminister legt ihnen nahe, stärker in jenen Steuertopf zu greifen, der ihnen direkt zur Verfügung steht – durch eine höhere Grundsteuer und höhere Beiträge für die Wohnbauförderung. Das geht aus der Antwort seines Ministeriums an profil hervor. „Auch die Länder haben bereits Sanierungsschritte eingeleitet. In ihrem Bereich könnten einnahmenseitige Maßnahmen etwa in der Erhöhung der Wohnbauförderung bestehen, wie es Wien bereits beschlossen hat und wie es auch von anderen Bundesländern umgesetzt werden könnte oder auch Änderungen bei der Grundsteuer. Eine Einigung zwischen Ländern und Gemeinden vorausgesetzt, könnte dies rasch umgesetzt werden.“
Wer ein Grundstück besitzt, zahlt dafür Grundsteuer. Egal, ob darauf ein Einfamilienhaus, ein Mehrparteienhaus oder eine Betriebsanlage steht. Die Grundsteuer fließt direkt an die Gemeinden und hilft ihnen, ihre Ausgaben zu finanzieren: von der Straßenerhaltung über den Kindergarten, die Müllentsorgung, Wasserversorgung, Pflegedienste bis zur Feuerwehr.
Das Problem: Diese Kosten laufen den Gemeinden davon, während die Grundsteuer stagniert. Mit rund 750 Millionen Euro liegt sie nur noch auf dem Niveau der ORF-Haushaltsabgabe. Der Grund: Die sogenannten Einheitswerte, auf deren Basis Grundbesitzer zur Kasse gebeten werden, blieben seit den 1970er Jahren unverändert. So fallen für ein Haus mit 120 m2 Wohnfläche auf einem 600 m2 großen Grundstück – je nach Gemeinde – zwischen 120 und 250 Euro pro Jahr an. In anderen Ländern zahlen Grundbesitzer schnell einmal mehrere Tausend Euro.
Deswegen ergeht seit Jahr und Tag die Empfehlung an Österreich, die Grundsteuer zu erhöhen – von Seiten der OECD (ein Zusammenschluss westlicher Industriestaaten), des Internationalen Währungsfonds (IWF), der EU-Kommission und des heimischen Wifo.
„Keine neuen Steuern“, auch keine höheren?
Politisch ist der rote Städtebund genauso für eine Anhebung wie der schwarze Gemeindebund. Marterbauer ist also in bester Gesellschaft. Das gilt aber nicht für seine eigene Regierung. Denn aus der ÖVP kamen bisher klare Absagen. Erst im August erklärte der schwarze Regierungskoordinator, Alexander Pröll: „Eine Erhöhung der Grundsteuer schließe ich aus.“
Aus der Riege der Bundesländer, die sich laut Marterbauer selbst auf eine Erhöhung der Grundsteuer einigen müssten, gibt es ein gewichtiges Njet der Landeshauptleute von Oberösterreich, Thomas Stelzer (ÖVP), und Salzburg, Karoline Edtstadler (ÖVP). Und mit der FPÖ ist wohl ebenfalls nicht zu rechnen. Der blaue Landeshauptmann der Steiermark, Mario Kunasek, warnte in der Gratis-Zeitung „Heute“ davor, dass die SPÖ „neue Steuern einführen will“. Das könnte sich auf Marterbauers Empfehlungen bezogen haben.
Die ÖVP sieht sich in der Regierung als Hüterin ihres Credos: „Keine neuen Steuern.“ Eine Erhöhung bestehender Steuern fällt für sie ebenso unter das Verbot. Besonders Vermögensteuern, wie von SPÖ-Chef Andreas Babler im Wahlkampf getrommelt, sind für die ÖVP ein rotes Tuch. Im Regierungsprogramm steht deswegen weder eine Erbschaftsteuer noch eine Vermögensteuer – und auch keine höhere Grundsteuer. Denn diese trifft Grundbesitzer und ist somit eine vermögensbezogene Steuer, eine Art „Vermögensteuer light“. Der Zank um eine Erhöhung hat somit auch eine ideologische Komponente.
Die Grundsteuer kann aber auch die „kleinen Leute“ treffen, die kein Haus besitzen – wenn Besitzer von Mehrparteienhäusern sie über die Betriebskosten an die Mieter weiterreichen.
Wien preschte vor, wer zieht mit?
Direkt durchschlagen auf alle Arbeitnehmer würde eine Erhöhung des Wohnbauförderungsbeitrags. Das ist ein kleiner Pflichtabzug vom Lohn, dessen Existenz vielen Beschäftigten gar nicht bewusst ist. Normalerweise zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber je 0,5 Prozent vom Bruttolohn.
Das Geld fließt direkt in die Länderkassen. Sie sollten es für günstige Kredite und Zuschüsse fürs Bauen und Sanieren verwenden. Das Geld ist jedoch nicht zweckgebunden und kann somit auch zur Sanierung des Budgets abgezweigt werden.
Wien ist vorgeprescht und erhöht den Beitrag ab 2026 auf je 0,75 Prozent. Wer 4000 Euro brutto im Monat verdient, führt im Jahr 72 Euro mehr automatisch ans Land ab, bei 6500 Euro sind es 116 Euro, rechnet der Thinktank Agenda Austria vor.
Länder wollen größeres Stück vom Steuerkuchen
Für Länder und Gemeinden gibt es auch einen anderen Weg, um an höhere Einnahmen zu kommen: ein deutlich größeres Stück vom Steuerkuchen des Bundes, der aus Lohnsteuern, Mehrwertsteuern oder Körperschaftsteuern besteht. Das schmeckt Marterbauer naturgemäß nicht. Hinter den Kulissen wird mit den Ländern im Rahmen des sogenannten „Stabilitätspaktes“ schon heftig über die Aufteilung von Defizitquoten und Sanktionslasten gefeilscht.
Wie groß das Budgetloch der Länder und Gemeinden tatsächlich ist, soll sich näcshte Woche zeigen. Sollte die Lage dramatisch sein, könnte auch bei der ÖVP der Widerstand gegen die Grundsteuer bröckeln: Denn in den Gemeinden spüren die Menschen hautnah, wenn das Geld ausgeht. Und diese sind in der Mehrheit von ÖVP-Bürgermeistern regiert.