Interview

Bürgermeister Michael Ludwig: „Niemand braucht jetzt Neuwahlen“

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, der neue starke Mann in der SPÖ, rechnet mit Ex-Kanzler Sebastian Kurz ab und wünscht sich Stabilität.

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profil: Sind Sie froh über den Rücktritt von Sebastian Kurz?

Ludwig: Es geht nicht um Freude oder sonstige Gefühle. Mir ist wichtig, dass es in der Republik bald stabile Verhältnisse gibt. Denn seit Sebastian Kurz in die Bundespolitik eingetreten ist, gab es instabile Verhältnisse-in den letzten fünf Jahren gab es sechs BundeskanzlerInnen. Gerade in der Corona-Krise sind stabile Verhältnisse wichtig.

profil: Steht der neue Bundeskanzler Karl Nehammer für stabile Verhältnisse?

Ludwig: Er übernimmt in einer schwierigen Phase und war Teil einer Bundesregierung, die sich bei der Bewältigung der Corona-Pandemie nicht mit Ruhm bekleckert hat. Man wird sehen, ob er in der Lage ist, für stabile Verhältnisse zu sorgen.

profil: Woran ist Kurz gescheitert?

Ludwig: Er hat sich stark - und erfolgreich - auf PR und Kommunikation konzentriert, ohne darauf zu achten, dass es in der Spitzenpolitik auch Inhalte braucht. Und ich nehme ihm übel, dass er sogar inmitten der Pandemie parteipolitische Interessen forcierte. Wir waren immer bereit, eine Bundesregierung zu unterstützen, obwohl sie uns lange Zeit die kalte Schulter gezeigt hat.

Rendi-Wagner hat sich festgelegt: Sie wird die Spitzenkandidatin der SPÖ. Ich unterstütze das."

profil: Hat Kurz auch etwas richtig gemacht?

Ludwig: Er hat der ÖVP Wahlsiege gebracht. Man wird sehen, ob diesem steilen Aufstieg der ÖVP nicht ein ebenso rascher Fall folgt.

profil: Sie verlangen Stabilität. Ihr burgenländischer Parteifreund Hans Peter Doskozil fordert Neuwahlen -Sie also nicht?

Ludwig: Manche übersehen, dass wir uns in einer ganz schwierigen Phase einer Pandemie befinden und dass große wirtschaftliche Auswirkungen auf uns zukommen. Mit Verwerfungen am Arbeitsmarkt, Herausforderungen im Bildungssystem und im gesellschaftspolitischen Miteinander, Stichwort starke Polarisierung. Niemand braucht jetzt einen Wahlkampf und Neuwahlen. Aber natürlich ist die SPÖ immer vorbereitet.


profil: Viele in der SPÖ monieren, mit Pamela Rendi-Wagner sei keine Wahl zu gewinnen.

Ludwig: Die SPÖ liegt derzeit in Umfragen am ersten Platz. Frau Doktorin Rendi-Wagner bringt in der Corona-Krise fachliche Kompetenz ein und hat Stehvermögen bewiesen.

profil: Hans Peter Doskozil sagt, angesichts der Schwäche der ÖVP sind 25 Prozent für die SPÖ nicht berauschend.

Ludwig: Na, alleweil - Erster zu sein in einer schwierigen Situation.

profil: Unterzeichnen Sie einen Notariatsakt, dass Sie nicht als SPÖ-Chef in den Bund wechseln?

Ludwig: Das brauche ich nicht, denn mein Wort hat Gewicht. Ich habe vor der Wahl versprochen, dass ich nicht wechsle.


profil: Wäre die SPÖ zu einem fliegenden Wechsel in die Bundesregierung bereit?

Ludwig: Nein. Vor einem Regierungswechsel müsste es Neuwahlen geben.

profil: Wenn die SPÖ für Neuwahlen bereit wäre-wer wäre Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidat?

Ludwig: Unsere Bundesparteivorsitzende hat das Recht, darüber zu entscheiden. Sie hat festgelegt, dass sie Spitzenkandidatin bei der nächsten Nationalratswahl sein wird. Ich unterstütze das. Alle anderen Personalspiele dienen nur dazu, die Autorität der Parteivorsitzenden zu untergraben. Dafür stehe ich nicht zur Verfügung.

Wenn es eine generelle Impfpflicht gibt, gilt die natürlich auch am Arbeitsplatz."

profil: Sie bleiben also zumindest bis 2025 Wiener Bürgermeister?

Ludwig: Genausolange meine Partei, die Bevölkerung und meine Gesundheit das wollen.

profil: Das waren eindeutige Festlegungen. Wechseln wir zum Thema Corona. Was war der zentrale Fehler im Corona-Management?

Ludwig: Diese chaotische Hü-hott-Politik-Masken rauf, Masken runter - der Bundesregierung, die selbstherrlich Entscheidungen traf. Oft waren sich Bundeskanzler und Gesundheitsminister nicht einig, was der richtige Weg ist.

profil: Warum ist die Impfquote in Österreich niedriger als in anderen westeuropäischen Staaten?

Ludwig: Erstens haben wir mit der FPÖ eine offensive Impfgegner-Partei. Und wir haben mit der ÖVP eine Partei, die über den Sommer plakatierte: Pandemie gemeistert. Die türkise ÖVP war populistisch, ihr Hauptziel war, Wähler nicht wieder an die FPÖ zu verlieren.

profil: Ist dieser vierte Lockdown eine Zumutung?

Ludwig: Er ist eine Zumutung für Geimpfte, eine Zumutung für Kulturbetriebe, für Unternehmen, für Schulen. Aber das ist vergossene Milch. Wir müssen jetzt möglichst schnell aus dieser Situation herauskommen und eine fünfte Welle verhindern.

profil: Wird der Lockdown in Wien am 13. Dezember enden?

Ludwig: Ich versuche, Entscheidungen wissensbasiert zu treffen. Kommende Woche habe ich die Expertengruppe einberufen. Dann werde ich für Wien eine Verordnung treffen und sie mit der Bundesregierung abstimmen-wer immer dann in der Regierung sitzt.

profil: Eine Woche wird die neue Regierung schon bleiben.

Ludwig: Ich gehe auf jeden Fall kommende Woche ins Bundeskanzleramt und schaue, wer da ist. Im Ernst: Dann entscheiden wir gemeinsam, ob der Lockdown endet und was wir öffnen können.

profil: Was sollte als Erstes geöffnet werden - Handel, Gastronomie, Kultur?

Ludwig: Die Frage ist, was wir medizinisch verantworten können.

profil: Sie können nicht versprechen, dass am 13.12. der Lockdown zumindest für Geimpfte endet?

Ludwig: Versprechen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt gar nichts. Leider.

profil: Wie lange kann der Lockdown für Ungeimpfte weitergehen?

Ludwig: Man wird auch Ungeimpfte nicht auf Dauer aus der Gesellschaft ausschließen können. Aber unser erstes Ziel muss sein, die Impfquote zu erhöhen. Sonst werden wir immer wieder starke Beschränkungen wie Lockdowns brauchen.

Eine Volksbefragung zum Lobautunnel kann ich mir gut vorstellen. Ganz sicher wäre eine Mehrheit dafür."

profil: Jetzt gibt es die drastische Maßnahme Impfpflicht.

Ludwig: Ich war lange skeptisch gegenüber dem harten Einschnitt einer Impfpflicht. Aber wenn es nicht anders geht, die Impfquote in die Höhe zu treiben, werden wir nicht darum herumkommen. Dann müssen wir die gesellschaftliche Solidarität einfordern-durch die Impfpflicht.
profil: Das bedeutet, Ungeimpfte können ab Februar nicht mehr arbeiten?

Ludwig: Details werden in der Begutachtung geklärt, aber wenn es eine generelle Impfpflicht gibt, dann gilt die natürlich auch am Arbeitsplatz.

profil: Wie hoch sollen die Strafen sein?

Ludwig: Wir in der SPÖ sind der Meinung, dass man das Strafausmaß sozial staffeln sollte.

profil: Bundesländer wie Burgenland oder Oberösterreich wollen mit Impflotterien zur Impfung locken. Kommt auch in Wien eine Impflotterie?

Ludwig: Ich bin nicht sicher, ob eine Impflotterie wirklich die Impfquote erhöht. Die hohe Impfquote im Burgenland liegt eher daran, dass die Bevölkerung dort älter ist. Wir setzen auf niederschwellige Impfangebote-im Stephansdom, in Straßenbahnen und so weiter.

profil: Impfgegner überzeugen Sie damit nicht. Corona-Demos finden mittlerweile auch vor Spitälern statt. Ist das noch tolerierbar?

Ludwig: Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Das überschreitet eine rote Linie. Ich hoffe auf den gesunden Menschenverstand. Aber sollte es in Wien dazu kommen, muss man das unterbinden. Auch mit Sperrzonen.

profil: Corona ist nicht der einzige Konflikt mit dem Bund. Sie toben auch wegen des abgesagten Lobautunnels durch die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler. Warum ist Ihnen ein Retroprojekt aus den 1980er-Jahren so wichtig?

Ludwig: Das ist kein Retroprojekt. Die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde erst im Jahr 2018 abgeschlossen.

profil: Die Planung begann vor Jahrzehnten.

Ludwig: Ja. Aber man schwenkte damals von einer geplanten Brücke auf einen Tunnel um, mit dem Ziel, den Nationalpark besser zu schützen. Das zog neue Prüfverfahren nach sich, die nun alle positiv abgeschlossen sind. Die Umfahrung führt zur Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt, weil sie den Schwerverkehr draußen hält. Jede kleinere Gemeinde hat eine Umfahrung. Nur Wien nicht, das seit 1990 um 400.000 Menschen gewachsen ist? Nur damit Ministerin Gewessler sich parteipolitisch profilieren kann?

profil: Sie behaupten, das Aus des Tunnels sei ein Schlag gegen die gesamte Wiener Bevölkerung. Aber auch die NEOS, immerhin Ihr Koalitionspartner, freuen sich darüber. Und selbst innerhalb der Wiener SPÖ positioniert sich die Parteijugend klar gegen den Tunnel.

Ludwig: In einer Demokratie gibt es immer unterschiedliche Meinungen-wie auch innerhalb der SPÖ. Beim Parteitag war ein Großteil der 1000 Delegierten klar dafür.

profil: In den Protestcamps gegen den Lobautunnel hängt ein Zitat von Ihnen: "Wir werden das Projekt nicht davon abhängig machen, ob es den Grünen gelingt, zwölf-,13-jährige Kinder dorthin zu bringen." Daneben das Zitat des früheren SPÖ-Bundeskanzlers Fred Sinowatz: "Kinderkreuzzüge". So bezeichnete Sinowatz 1984 die historische Besetzung der Hainburger Au. Haben Sie keine Angst, auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen?

Ludwig: Mir braucht niemand erklären, was Klimaschutz ist. Vor 20 Jahren hat Wien ein Klimaschutzprogramm gestartet, und als Wohnbaustadtrat habe ich mich des Themas sehr stark angenommen. Schauen wir mal, wer im Verkehrsministerium in Zukunft tätig ist, so turbulent, wie es gerade zugeht. Aber auch Ministerin Gewessler kann sich nicht über Gesetze erheben. Die Umfahrung ist im Bundesstraßengesetz verankert.

profil: Gehen Sie jetzt rechtlich gegen den Baustopp vor?

Ludwig: Aber selbstverständlich.

profil: Sie werden richtig grantig bei dem Thema.

Ludwig: Ja, weil es um die Lebensqualität der Menschen geht.

profil: Können Sie sich eine Volksbefragung über den Tunnel vorstellen?

Ludwig: Ich gehe davon aus, dass per Gesetz beschlossene Projekte auch umgesetzt werden. Aber ja, auch das kann ich mir gut vorstellen. Ganz sicher wäre eine Mehrheit für den Tunnel.

profil: Bauen Sie die Stadtstraße, die zur Lobauautobahn geführt hätte, trotzdem?

Ludwig: Die Stadtstraße verliert an Bedeutung, ist aber notwendig für die Stadtentwicklung der Donaustadt mit neuen Wohnungen für 60.000 Menschen. Es geht um die Zukunft auch junger Menschen. Nebenbei bemerkt: Ich finde es schon erstaunlich, dass eine Partei wie die Grünen, die immer für Zuwanderung eintritt, nun verhindern will, dass wir für eine stark wachsende Stadt auch neuen Lebensraum schaffen-mit Öffis, Radwegen und auch Straßen.

profil: Und wenn die Besetzer die Baustellen weiter blockieren?

Ludwig: Nachdem Ministerin Gewessler für die Stadtstraße grünes Licht gegeben hat, wüsste ich nicht, was noch gegen einen Baubeginn spricht.

profil: Andere Millionenstädte setzen mutige Konzepte um, Paris etwa macht die ganze Stadt zur Tempo-30-Zone. Warum trauen Sie sich das in Wien nicht?

Ludwig: Bei allem Respekt für Paris und meine hochgeschätzte Bürgermeisterkollegin Hidalgo. Zieht man die Bundes-und Durchzugsstraßen ab, gilt in Wien schon jetzt auf 84 Prozent der Straßen Tempo 30.

profil: Wien ist geprägt von kleinen Fahrradwegen und viel Platz für Autos.

Ludwig: Dass Radwege in dichtverbauten Gründerzeitvierteln eher schmal sind, wird in Paris auch nicht anders sein. Und wir haben allein in Floridsdorf und der Donaustadt mehr Radwege als in ganz Kopenhagen, das immer wieder als Fahrrad-Musterstadt genannt wird.

profil: Reden wir zum Ende über eine Gemeinsamkeit zwischen Ihnen und Sebastian Kurz. Sie beide verteilten viel Geld über Inserate. Angesichts der Vorwürfe in der Inseratenaffäre: Denken Sie um?

Ludwig: Inserate sind eine Möglichkeit, mit der Bevölkerung zu kommunizieren.

profil: Und zu kommunizieren, dass die Müllabfuhr gut funktioniert?

Ludwig: Gar nicht. Aber zum Beispiel zu erklären, wo man sich impfen lassen kann. Aber bitte, wenn der Wunsch bei den Medien besteht, weniger Inserate zu schalten, weil jedes Inserat automatisch im Verdacht der Inseratenkorruption steht, können wir die Bevölkerung auch direkt mit der Post informieren.

profil: Es geht um die Relationen: In der Mediengruppe "Österreich" inserierte Wien im ersten Halbjahr um 1,7 Millionen Euro. Ist diese enorme wirtschaftliche Unterstützung gerechtfertigt?

Ludwig: Sie werden nicht ernsthaft glauben, dass ich Inserate direkt vergebe. Das macht der Presse-und Informationsdienst (PiD) nach klaren Kriterien.

profil: Kurz ist weg, die ÖVP taumelt. Wann auch immer im Bund gewählt wird: Streben Sie eine rot-grünpinke Mehrheit an?

Ludwig: Es wäre gut, wenn die Sozialdemokratie wieder Regierungsverantwortung übernimmt. Dass ich für neue Regierungsformen offen bin, habe ich in Wien mit der Fortschrittskoalition aus SPÖ und NEOS bewiesen.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.