Chef der EU-Grünen: "Politik der Selbstzertrümmerung"

Reinhard Bütikofer, Chef der europäischen Grünen, über rechtsradikale Gespenster und den Kampf um die republikanische Ehre Österreichs.

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profil: Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, wer gewonnen hat. Aber ziemlich genau die Hälfte der Wähler hat Norbert Hofer, den FPÖ-Kandidaten, gewählt. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Reinhard Bütikofer: Wenn die eine Hälfte Hofer gewählt hat, dann hat die andere Van der Bellen gewählt, und dann möchte ich auch gerne sagen, dass ich es großartig finde, wie Alexander Van der Bellen für die republikanische Ehre Österreichs in Europa gekämpft hat. Und das Zweite, was sich jedem so stark aufdrängt, dass man zunächst gar nicht mehr darüber spricht, ist, dass ÖVP und SPÖ im Zentrum der österreichischen Politik eine so fatal erfolgreiche Politik der Selbstzertrümmerung umgesetzt haben, dass die Orientierung des Landes in einem Ausmaß infrage steht, wie ich mir das noch vor Kurzem nicht hätte vorstellen können.

Ich glaube nicht, dass der Rest Europas jetzt hämisch oder hochmütig auf Österreich schauen sollte

profil: Welches Bild gibt ein Österreich, das so stark dem Rechtspopulismus zuneigt, in Europa ab? Bütikofer: Ich glaube nicht, dass der Rest Europas jetzt hämisch oder hochmütig auf Österreich schauen sollte, weil es zu viele Signale dafür gibt, dass die Politik des Status quo und die Politik eines ineinander verhakten "Weiter so" auch andere nicht mehr lange trägt. Und ich glaube, das große Signal dieses Wahltags - und zwar unabhängig davon, ob Van der Bellen im Schlussspurt Hofer tatsächlich noch überholt - liegt darin, dass es eine Politik der Erneuerung braucht, damit nicht eine Politik des Extremismus Platz greift.

profil: Wie soll die EU Österreich im politischen Alltag begegnen? Bütikofer: Für die hauptsächliche österreichische Politik ist ja nicht der Bundespräsident verantwortlich, sondern der Bundeskanzler mit seinem Kabinett. Deswegen richtet sich meines Erachtens die erste Frage an Bundeskanzler Christian Kern. Diese Regierung hat ein Mandat, aber sicherlich nicht das Mandat, einem blauen Österreich die Hand zu reichen oder der FPÖ so lange hinterherzulaufen, bis die Leute sagen: "Gleich das Original wählen." Was soll diese Regierung tun? Das ist auch für den Rest Europas die entscheidende Frage. Wie viel Selbstrespekt und wie viel Fähigkeit zur Umkehr gibt es in dieser österreichischen Regierung?

Ich halte diese Parade rechtsradikaler Gespenster nicht für übermächtig

profil: Europa erlebt einen starken Trend in Richtung Nationalismus und EU-Feindlichkeit. Im Juni könnte Großbritannien entscheiden, die EU zu verlassen, und im kommenden Jahr will Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Front National Frankreichs Präsidentin werden und ein EU-Austrittsreferendum abhalten. Nähern wir uns dem Ende unserer Gemeinschaft? Bütikofer: Ich halte diese Parade rechtsradikaler Gespenster nicht für übermächtig, und ich glaube auch nicht, dass es in Großbritannien gerade eine große Austrittsbegeisterung gibt. Aber die Wahl haben ja wir selbst, wir sind nicht Beobachter - beziehungsweise wenn wir uns damit begnügen, Beobachter zu sein, dann verraten wir alles, wofür Europa steht.

profil: In Österreich hat die Flüchtlingskrise der FPÖ eine Dynamik verschafft. Bütikofer: Das bestreite ich.

profil: Das war zumindest atmosphärisch spürbar. Auch die Umfragen deuten darauf hin. Bütikofer: Ich bezweifle es trotzdem. Ich bestreite nicht, dass die Auseinandersetzung um die Flüchtlingsfrage eine zentrale Rolle gespielt hat, aber es war nicht einfach "die Flüchtlingskrise" - abgesehen davon, dass mir das Wort nicht schmeckt. Es war der Umgang mit dieser Herausforderung, welcher der FPÖ eine Steilvorlage geliefert hat. Wenn ein Kanzler innerhalb kürzester Zeit eine Kehrtwendung um 180 Grad hinlegt und der FPÖ blindlings hinterhertappt, dann enttäuscht er all diejenigen, die darauf gesetzt haben, dass die Werte der Humanität verteidigt werden, und er begünstigt das angeberische Gebaren derer, die sagen: "Also Fremdenfeindlichkeit können wir immer noch besser."

Es geht darum, dass man sich bei einer gemeinsamen europäischen Lösung trifft

profil: Sie würden der österreichischen Regierung raten, zur ursprünglichen Willkommenspolitik gegenüber Flüchtlingen zurückzukehren? Bütikofer: Es geht jetzt nicht darum, dass Österreich heldenhaft erklärt, in diesem Jahr noch einmal doppelt so viele Flüchtlinge aufzunehmen wie andere Staaten. Sondern es geht darum, dass man sich bei einer gemeinsamen europäischen Lösung trifft, und da muss ich der österreichischen Bundesregierung vorwerfen, dass sie sich dagegen vergangen hat. Sie hat eine spalterische Politik gemacht, die nicht europäisch zusammenführt, sondern europäisch trennt.

Reinhard Bütikofer, 63 Der Deutsche ist seit 2009 Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament und seit 2012 zusammen mit Monica Frassoni Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei. Von 2002 bis 2008 war er Vorsitzender der deutschen Grünen.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur