Christoph Leitl: "Ich bin ein Alt-68er"

Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl tritt ab. Ein Abschiedsgespräch

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profil: Alles erreicht? Leitl: Um Gottes willen, nein. Aber einiges erreicht. Und jetzt ist der richtige Zeitpunkt für einen Generationenwechsel. Der neue Präsident Harald Mahrer verkörpert den Zugang zur digitalen Welt. Und er hat als ehemaliger Wirtschaftsminister auch politische Erfahrung.

profil: Dass ein ehemaliger Minister an die Spitze einer Kammer rückt, ist neu. Leitl: Ich würde sagen, er steigt vom Minister zum Kammerpräsidenten auf.

profil: Sie hätten ja auch Minister werden können. Leitl: Mehrfach. Ich habe mich aber immer für die Kammer entschieden, weil ich der Meinung war, in dieser Funktion mehr bewirken zu können als ein Minister.

profil: Lag es nicht auch daran, dass Sie ein Superministerium mit Wirtschaft und Finanzen forderten, dieses aber nicht bekamen? Leitl: Es gab verschiedene Spekulationen. Das war nie so konkret.

profil: Das heißt, das einzige Amt, das Ihnen vorenthalten blieb, war der oberösterreichische Landeshauptmann. Leitl: Für diese Funktion war seinerzeit eigentlich immer schon Josef Pühringer vorgesehen. Ich habe darum gekämpft, Finanz-und Wirtschaftslandesrat in einem zu werden. Da konnte ich etwas umsetzen.

profil: Aus dem Bundespräsidenten-Amt wurde auch nichts. Leitl: Auch da gab es Gerüchte. Ich hatte aber zum fraglichen Zeitpunkt eine weitere Etappe der Wirtschaftskammer-Reform im Visier. Es ging darum, unseren Mitgliedern Zugang zu den weltweiten Innovations-Netzwerken zu bieten. Das ist gelungen. Für mich heißt es jetzt: Time to say goodbye in Austria. Ab sofort kümmere ich mich um das Projekt Europa als Präsident von Eurochambres, dem Dachverband der europäischen Wirtschaftskammern, mit.

profil: Die heutige Situation ähnelt frappant dem Jahr 2000. Als Sie antraten, regierte ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel mit einem FPÖ-Koalitionspartner, die gemeinsam die Sozialpartnerschaft schwächen wollten. Und Sie stemmten sich als Anhänger der Sozialpartnerschaft dagegen. Leitl: Aus Überzeugung. Bei aller Kritik werden wir auf der ganzen Welt um die Sozialpartnerschaft beneidet. Sie muss aber die neuen Herausforderungen annehmen und etwa akzeptieren, dass es nicht mehr nur um den Interessensausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geht, sondern dass der Konsument immer einflussreicher wird. Er kann auf Knopfdruck Güter und Dienstleistungen beziehen, auch wenn die Geschäfte geschlossen sind.

profil: Dass Geschäfte auch am Sonntag offenhalten, hat die Wirtschaftskammer in Ihrer Ära blockiert. Leitl: Wir blockieren gar nichts. Wir halten Grundwerte hoch. 99 Prozent der Unternehmen sind Kleinbetriebe. Die Unternehmer arbeiten bis zu 100 Stunden in der Woche. Der Mensch braucht einen Lebenstakt. Mir ist auch der Sonntag heilig. Ich gehe in die Kirche und ins Wirtshaus, treffe meine Mutter und meine Enkel. Menschen müssen zusammenkommen. Es gibt Studien, wonach 25 Prozent unserer Landsleute psychisch darunter leiden, dass der Wandel so schnell geht und sich soziale Bindungen auflösen.

profil: Und ohne Sozialpartnerschaft wäre alles noch schlimmer? Leitl: Wir haben die Gelegenheit, unsere Kritiker zu überzeugen. Die Wirtschaftskammer kann vieles bieten: die Gründerzentren, das WIFI, die Außenwirtschaftsorganisation. Ich stelle mich jeder Kritik. Als Alt-68er macht es mir Freude, mich in das Getümmel von Diskussionen zu stürzen.

profil: Sie bezeichnen sich als Alt-68er? Leitl: Ich bin ein Alt-68er im positiven Sinn.

profil: Die meisten Alt-68er halten Sie wahrscheinlich noch immer für einen Klassenfeind. Leitl: Damals hielten mich die Rechten für links und die Linken für rechts. Ich hatte lange Haare, einen blauen Pullover und Jeans. Die 68er waren die ersten Öko-Bewegung, die ersten Kämpfer für die Gleichberechtigung der Frauen und die ersten, die gegen Rassismus kampagnisierten.

profil: Und sie wollten die Produktionsmittel verstaatlichen und zum Beispiel auch die Industriellen-Familie Leitl enteignen. Leitl: Bei Leitl gibt es seit Langem eine Mitarbeiterbeteiligung. Die Veränderungen von damals wirken bis heute.

profil: Veränderungen verlangt die Regierung auch von den Sozialpartnern, etwa bei den Sozialversicherungen. Nebenbei versorgt sie Medien mit Informationen über angebliche Missstände bei Dienstwägen und Veranlagungen, die in Wahrheit keine sind. Leitl: Jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich sage: Das betrifft die Zukunft, das überlasse ich meinem Nachfolger Harald Mahrer. Alles darf hinterfragt werden. Dass dies an Äußerlichkeiten festgemacht wird, halte ich für weniger gut.

profil: Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung durch Arbeitnehmer-und -geber soll weiterbestehen? Leitl: Diese hat sich bewährt. Aber überall gibt es Dinge zu verbessern.

profil: Auch beim AMS, das von der Regierung ebenfalls kritisiert wurde? Leitl: Ich habe mit dem AMS hervorragend zusammengearbeitet. Das sind pragmatische und weltoffene Leute. Eine neue Regierung hat aber das Recht, kritische Fragen zu stellen.

profil: Es ist ja eine Frage des Stils. Nicht jede Kritik der Regierung wirkt sachlich. Leitl: Ich habe immer sachlich argumentiert. Das ist zielführender.

profil: Sie waren ein regelrechter Konsenskämpfer. Leitl: Der innere Konsens ist in einem kleinen Land wie Österreich notwendig.

profil: Würde uns ein bisschen mehr Konfliktkultur wirklich schaden? Leitl: Wenn Konflikte rational geführt werden, bin ich sehr dafür.

profil: Sie sagten einmal, alles im Leben sei Widerstreit. Wichtig sei nur, dass all jene, die positiv denken, die Oberhand behalten. Leitl: Genau so ist es. Pessimisten haben noch nie etwas Positives bewirkt.

profil: Privat sind Sie auch so? Leitl: So hat man mehr vom Leben.

Die ÖVP schickt ihren Obmann immer in den Urwald. Kommt er mit einem erlegten Mammut zurück, wird er gefeiert, kommt er ohne Mammut, wird er gefeuert.

profil: Ihr Optimismus wurde gern belächelt und von Kabarettisten aufs Korn genommen Leitl: Das finde ich wunderbar und nehme es als Kompliment. Auch meine Mutter amüsiert sich immer köstlich. Am meisten hat sie gelacht, als im profil einmal stand, der Leitl sei der Einzige, der ein Salzstangerl quer in den Mund schieben kann.

profil: Kann man so viele Jahre in der Spitzenpolitik ohne Verletzungen überstehen? Leitl: Bei mir waren es fünf Jahre im oberösterreichischen Landtag, zehn Jahre in der Landesregierung und 18 Jahre in der Wirtschaftskammer. Jetzt folgt Eurochambres. Bei all meinen Aufgaben verspürte ich immer auch persönliche Freude.

profil: Eine Funktion haben Sie ausgelassen. Sie waren von 1999 bis 2017 Präsident des ÖVP-Wirtschaftsbunds, der mächtigsten Teilorganisation der Volkspartei. Sie haben sechs Bundesparteimänner erlebt. Der erste war Wolfgang Schüssel. Leitl: Schüssel war unheimlich kreativ und hat als Kanzler etwas weitergebracht.

profil: Wilhelm Molterer? Leitl: Ein detailreicher Kenner der Materie, der zu sehr im Detail hängen blieb.

profil: Josef Pröll? Leitl: Wie Molterer habe ich auch Pröll davor gewarnt, sich die Dreifachbelastung als Parteiobmann, Vizekanzler und Finanzminister anzutun. Prölls Gesundheit hat darunter gelitten.

profil: Michael Spindelegger? Leitl: Er war ein weltoffener Parteiobmann und vielleicht der meistunterschätzte.

profil: Und er wurde von der eigenen Partei gemobbt. Leitl: Die ÖVP schickt ihren Obmann immer in den Urwald. Kommt er mit einem erlegten Mammut zurück, wird er gefeiert, kommt er ohne Mammut, wird er gefeuert.

profil: Reinhold Mitterlehner war nicht auf Mammutjagd. Er war der erste Obmann, dem es nicht einmal vergönnt war, eine Wahl zu verlieren. Leitl: Als die Umfragen klar zeigten, dass die Partei mit Mitterlehner keinen Erfolg haben würde, kam es zum Wechsel.

profil: Sebastian Kurz? Leitl: Das größte politische Talent der Republik. Er hat bis heute keinen entscheidenden Fehler gemacht und ist ein Hoffnungsträger. Ich hoffe, dass die Reformagenda jetzt auch umgesetzt wird.

profil: Würden Sie Ihren Konzern tatsächlich einem 30-jährigen Geschäftsführer übergeben? Leitl: Selbstverständlich. Ich bin selbst mit 27 Jahren Chef geworden, nachdem mein Vater verstorben war. Wenn es dich nicht aus den Schuhen haut, lernst du laufen.

Wer sein Lebensglück auf hoher See sucht, soll es dort finden. Ich bin lieber in meinem Auszugshäusl im Mühlviertel.

profil: Ein früherer Betriebsrat Ihres Unternehmens sagte einmal, Sie würden in der Kantine mit Ihren Mitarbeitern das Bier aus der Flasche trinken und die Knackwurst mit der Hand essen. Leitl: In der Einfachheit lebt der Sinn.

profil: Wie wichtig ist Ihnen Ihr privater Wohlstand? Leitl: Ich brauche keine Yacht. Bin sie aber niemandem neidig. Wer sein Lebensglück auf hoher See sucht, soll es dort finden. Ich bin lieber in meinem Auszugshäusl im Mühlviertel.

profil: Statt auf dem Familienanwesen am Attersee. Leitl: Dort ist mir zu viel Trubel. Ich suche bewusst den Rückzug. Eine Wurst vom Grill, ein Glas Rotwein unter dem Sternenhimmel, dann findet man sein seelisches Gleichgewicht und Kraft.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.