Non-Prophet-Organisation

Die antiklerikale Initiative "Religion ist Privatsache" nimmt Justiz und Richter ins Visier

Religion. Die antiklerikale Initiative "Religion ist Privatsache" nimmt Justiz und Richter ins Visier

Drucken

Schriftgröße

Der berühmte Ententest (was wie eine Ente aussieht, schwimmt und schnattert, dürfte auch eine sein) funktioniert auch im politiknahen Bereich. Am Beispiel des Wiener Vereins "Religion ist Privatsache": RIP-Sprecher Eytan Reif, 43, ist ein ernsthafter Mann, studierter Kunsthistoriker und Betriebswirt, Senior Investment Manager bei einer Fondsgesellschaft. Die Initiative hatte im April 2013 das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien mitorganisiert. "Wir sind nicht antiklerikal“, sagt Eytan. Er sagt aber auch: "Die katholische Mehrheit in Österreich ist fingiert.“ Die Kirche versuche, über die ÖVP die Gesetzgebung zu manipulieren; sie wolle "mit unlauteren Mitteln“ Debatten zur Sterbehilfe abdrehen. Trotz der deftigen Worte beharrt Eytan auf seiner Selbsteinschätzung: "Wir sind keine Kirchenkritiker, Gotteslästerer oder Atheisten. Wir wollen nur, dass Religion Privatsache wird.“

Damit Religion Privatsache wird, nützt RIP öffentliche Einrichtungen: Seit Jahren führt der Verein einen juristischen Kreuzzug gegen Behörden, Ämter und Gerichte. Der laizistische Zweck - die Trennung von Kirche und Staat - heiligt die Mittel an der Grenze zur Querulanz. Sprache und Tonalität werden aggressiver, Gegner namentlich geoutet, Richter beschnüffelt. Wird "Religion ist Privatsache“ zur antireligiösen Sekte?

"Das Recht, frei von Religion zu leben, muss genauso geachtet werden wie das Recht, an die Heilige Dreifaltigkeit, Allah, Satan oder den Weihnachtsmann zu glauben“, sagt Eytan Reif. Um "die Diskriminierung konfessionsfreier Personen“ zu bekämpfen, gründete er vor drei Jahren die Initiative - mit Glaubensbrüdern wie dem aus dem Fernsehen ("Science Busters“) bekannten Astrophysiker Heinz Oberhummer. Man finanziert sich über Spenden, sympathisierende Anwälte verrechnen milde Honorare für ihre Schriftsätze.

Vor Gericht und auf hoher See ist man freilich in Gottes Hand - auch RIP. In den vergangenen Monaten musste der Verein juristische Serienniederlagen verdauen.

"Das Höchstgericht demontiert sich selbst"
Im Oktober bestätigte der Verfassungsgerichtshof die Zulässigkeit der steuerlichen Absetzbarkeit von Kirchenbeiträgen, wogegen RIP zum zweiten Mal vorgegangen war. Reif: "Das Höchstgericht demontiert sich selbst." Es versage "als oberste Kontrollinstanz der Republik“. Überdies sei Verfassungsgerichtshof-Präsident Gerhart Holzinger Mitglied im katholischen Cartellverband.

Im Jänner untersagte die Wiener Polizeidirektion RIP die Gründung des Vereins "Letzte Hilfe - Verein für selbstbestimmtes Sterben“, da dessen Statuten dem gesetzlichen Verbot der Sterbehilfe widerspreche.

Im Jahr 2012 stellten der Bundeskommunikationssenat und die Rundfunkbehörde KommAustria fest, dass eine Schweigeminute am Karfreitag im Kärntner ORF-Radio und Fernsehen rechtens sei, und wies eine entsprechende RIP-Beschwerde ab.

Einen Etappenerfolg errang der Verein 2012 gegen das ORF-Landesstudio Niederösterreich. Ein leitender Redakteur hatte Mitarbeiter aufgefordert, den norwegischen Massenmörder Anders Breivik nicht als "christlichen Fundamentalisten“ zu bezeichnen, sondern als "religiösen Fanatiker“. Der Bundeskommunikationssenat stellte nach RIP-Beschwerde eine Verletzung des ORF-Gesetzes fest, die vom Verfassungsgerichtshof letzt-instanzlich freilich wieder verneint wurde.

Im heurigen September wies das Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde von RIP gegen den Landesschulrat von Niederösterreich ab. Die Schulbehörde hatte per Weisung dekretiert, dass religiöse Lieder zur Erstkommunionsvorbereitung nicht nur im Religions-, sondern auch im Gesamtunterricht gesungen werden dürfen.

"Bürger zweiter Klasse"
Eytan Reifs Reaktion auf das "bizarre Urteil“ des Bundesverwaltungsgerichts kumuliert in einer Pauschalattacke gegen Justiz und Verwaltung: "Wann immer Religion im Spiel ist, hat die Rechtsstaatlichkeit in Österreich das Nachsehen.“ Konfessionsfreie seien "Bürger zweiter Klasse“. So sehr die Initiative die Anonymität der betroffenen Eltern wahrt, so leichtherzig nannte sie in einer Presseaussendung Mitte November den Namen der involvierten Musiklehrerin. Auch Verschwörungstheorien und Schnüffeleien dienen dem höheren Ziel "Diskriminierungsschutz“: So sei die zuständige Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichts "Recherchen zufolge ein engagiertes Vorstandsmitglied eines Pfarrgemeinderates“. Vorvergangene Woche reichte RIP schließlich eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein. Und auch strafrechtlich führte die Erstkommunionsaffäre zu einem Nachspiel, nachdem RIP im Mai eine Anzeige gegen Landeshauptmann Erwin Pröll wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch eingebracht hatte (siehe Kasten).

Eytan Reif verteidigt die juristische Hyperaktivität: "Unsere Klagen sind ja nicht reiner Aktionismus. Wir reichen wohl begründete Schriftsätze ein, die fundamentale Verfassungsfragen betreffen.“ Abseits der Gerichte zeigt sich RIP ebenfalls angriffsfreudig. Zu Semesterbeginn startete der Verein die Kampagne "Schulkreuz, Schulmesse und Morgengebet - wir müssen draußen bleiben!“. Im vergangenen Schuljahr konnte die Initiative zwei Erfolge verbuchen. In einer Wiener Volksschule mussten nach einer Intervention sämtliche Schulkreuze abgehängt werden, da weniger als die Hälfte der Schüler Christen waren. Und im Burgenland gelang es, das rituelle Morgengebet an einem Gymnasium abzustellen. Eine offene Wunde ist dagegen das wiedererrichtete Papstkreuz im Wiener Donaupark - für Heinz Oberhummer "ein pompöses Prestigeobjekt, um zu zeigen, wer der Herr in der Stadt Wien ist“. Da RIP Verstöße gegen die Bauordnung ortete, brachte man eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ein. Ob sein Verein nicht obsessive bis sektiererische Züge aufweise? Eytan Reif: "Jeder, der sich gegen das Establishment engagiert, wird als Sektierer verunglimpft.“

Gegner in allen Lagern
Streitbar zeigt sich Reif auch gegenüber anderen NGOs. Im Oktober opponierten Rotes Kreuz und Caritas scharf gegen die Sterbehilfe. Prompt legte ihnen der RIP-Sprecher nahe, "sich auf ihren eigenen Tätigkeitsbereich zu konzentrieren und nicht zu versuchen, sich in den Gesetzgebungsbereich einzumischen“. Schließlich handle es sich bei Rotem Kreuz und Caritas um "steuerfinanzierte Institutionen“.

Eines muss man RIP zugute halten: In der Auswahl der Gegner geht die Initiative nicht mono-konfessionell vor. Neben dem katholischen Haupt-Kontrahenten legt man sich auch mit Islam und Judentum an - etwa durch die Forderung nach einem Beschneidungsverbot für Buben unter 14 Jahren.

Politisch fühlt sich RIP nicht vertreten, auch wenn mit dem NEOS-Abgeordneten Niko Alm ein Bruder im Geiste im Nationalrat sitzt. Alm war Mitorganisator des Anti-Privilegien-Volksbegehrens und Sprecher der laizistischen Giordano Bruno Stiftung, benannt nach dem 1600 in Rom als Ketzer verbrannten Dominikaner-Mönch. Alm: "Die Initiative hat die gleiche Herausforderung in der Kommunikation wie all die anderen laizistischen Aktivisten: Argumentieren sie brav und sachlich, werden sie öffentlich nicht wahrgenommen. Akzentuierte Aussagen kommen aggressiv an. Der Bereich dazwischen ist sehr schmal.“

Was der Abgeordnete Alm schon in eigener Sache erlebte: Nachdem er im Sommer als Religionssprecher von NEOS-Obmann Matthias Strolz abgelöst worden war, nannte RIP dies "eine Rückgratlosigkeit, die normalerweise nur langdienende etablierte Parteien auszeichnet“.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.