Pandora Papers
Pandora Papers

Die Offshore-Geheimnisse der Reichen und Mächtigen

Das Herz der Offshore-Industrie: profil war Teil des größten Rechercheprojekts der Geschichte. 600 JournalistInnen arbeiteten an Millionen geheimer Dokumente. Sie führen zu tausenden Offshore-Firmen in Steueroasen – zu Politikern, Monarchen, Oligarchen, Popstars, Mafiosi. Auch nach Österreich.

Drucken

Schriftgröße

  • Ein riesiges Datenleck und ein globales Projekt: Orchestriert vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) recherchierten rund 600 Journalistinnen und Journalisten aus mehr als 100 Ländern in 11,9 Millionen Dateien. In Österreich arbeiteten profil und der ORF an dem Material.
  • Es handelt sich um die vertraulichen Geschäftsunterlagen von 14 international tätigen Anwaltskanzleien und Treuhandgesellschaften. Die 2,94 Terabyte große Datensammlung überspannt mehrere Jahrzehnte.
  • Die Dokumente offenbaren Offshore-Geschäfte von reichen und einflussreichen Leuten: vom tschechischen Premierminister, über den ukrainischen Präsidenten, den jordanischen König und schwerreiche Geschäftsleute hin zu Weltstars wie Shakira, Elton John, Ringo Starr und Claudia Schiffer.

Ein Regierungschef auf dem Weg zu seinem Wagen. Es ist der 30. September 2021, früher Nachmittag. Eben noch hat der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš die Belegschaft des Braunkohle-Kraftwerks Prunéřov im Nordwesten Tschechiens besucht und im Anschluss daran eine kurze Pressekonferenz abgehalten; er ist dieser Tage viel unterwegs, Wahlkampf-Endspurt, am 8. und 9. Oktober wird das tschechische Parlament neu gewählt. Beim letzten Urnengang 2017 war seine Bewegung ANO als Erste durchs Ziel gegangen; Babiš hat einiges zu verlieren.

Der Premier ist in Eile, es sind nur wenige Schritte zum Auto. Er wird von Bodyguards abgeschirmt, als die Journalistin Hana Čápová an ihn herantritt. Čápová arbeitet für die tschechische Investigativ-Plattform „Investigace“, die Szene wird von einem gleichfalls anwesenden Kamerateam des öffentlich-rechtlichen deutschen Senders NDR eingefangen.

„Herr Premierminister, ich habe gestern versucht, Ihnen eine Frage zu stellen“, sagt Čápová in Richtung des vorbeihuschenden Premiers; Babiš‘ robuste Sicherheitsleute bauen sich vor ihr auf. „Treten Sie bitte zur Seite“, ermahnt einer die Journalistin. Čápová insistiert: „Die Frage ist, ob Sie jemals eine Offshore-Firma in der Karibik hatten. Sagt Ihnen der Name Blakey Finance etwas? Das Jahr 2009, 15 Millionen Euro, klingelt da etwas?“ Die Journalistin bekommt keine Antwort. „Die Pressekonferenz ist vorbei, haben Sie das nicht verstanden? Verstehen Sie das nicht? Verschwinden Sie!“, herrscht sie einer Bodyguards an.

Babiš sitzt da bereits in seinem Mercedes-Van hinter getönten Scheiben. Er hat in der nur Augenblicke dauernden Episode kein Wort gesagt.

Das Geheimnis des Premiers

Tschechiens Regierungschef ist ein strammer Populist, der gerne gegen Eliten wettert, für Transparenz und gegen Steuerflucht eintritt; zugleich ist der 67-Jährige Gründer des Mischkonzerns Agrofert (Land- und Forstwirtschaft, Nahrungsmittel, Chemie, Medien) und eine der wohlhabendsten Personen Tschechiens.

Andrej Babiš hütet ein Geheimnis, das er zugleich mit zigtausenden anderen Wohlhabenden auf dem Planeten teilt. Sein Name taucht in einer gewaltigen Sammlung geleakter Dokumente auf, die dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) ab 2019 zugespielt wurden. Diese ermöglichen einen ungekannten Blick ins Herz der Offshore-Industrie: Sie enttarnen die tatsächlichen Eigentümer von mehr als 27.000 Briefkastenfirmen in mehr als drei Dutzend Steueroasen rund um den Globus.

Die Dokumente offenbaren die verdeckten Offshore-Geschäfte der Reichen und Einflussreichen aus gut 200 Ländern. Sie benennen drei Dutzend aktive und ehemalige Staats- und Regierungschefs – unter ihnen der tschechische Premier, der König von Jordanien, die Präsidenten der Ukraine, Kenias und Ecuadors, der frühere britische Premier Tony Blair.

Von Shakira bis Elton John

Die Dokumente führen auch zu mehr als 130 Milliardären aus zahlreichen Ländern, darunter Russland, Indien, USA und Mexiko. Sie führen auch nach Österreich. Die beteiligten Medien konnten insgesamt rund 160 Österreicherinnen und Österreicher identifizieren, welche in der Vergangenheit Offshore-Services in Anspruch genommen haben – dazu später. Spoiler: Politisches Personal ist nicht darunter, dafür aber sehr interessante Unternehmerpersönlichkeiten.

Die Pandora Papers benennen darüber hinaus Hunderte von Spitzenbeamten, Richtern, Geheimdienstlern, Kommunalpolitikern, Sportgrößen und Celebrities. In den kommenden Tagen werden die Offshore-Konstruktionen sehr prominenter Leute aus Sport-, Pop- und Show-Business öffentlich werden, mit Blick auf die abgestimmte Vorgehensweise seien hier nur ein paar Namen genannt: Shakira, Ringo Starr, Julio Iglesias, Elton John und Claudia Schiffer. Hier lesen Sie dazu mehr.

Und schließlich führen die Dokumente auch zu Mafia-Clans, Drogenbaronen, Waffenschiebern, Rotlichtgrößen, Glücksspielhasardeuren und Anlagebetrügern – selbst ein gesuchter italienischer Neonazi und ein wegen mehrfachen Mordes einsitzender Landsmann sind darunter.

Die Datensammlung ist so groß, dass es unmöglich ist, die Ergebnisse des Projekts in einer einzigen Story an einem Tag zu verdichten. Wie schon bei früheren ICIJ-Projekten werden die beteiligten Partner ihre Recherchen Zug um Zug veröffentlichen. So auch profil und der ORF.

Willkommen bei den Pandora Papers

Dies ist die Geschichte der größten journalistischen Recherche der Geschichte. Sie beginnt vor nunmehr zwei Jahren und sie beginnt mit einem Datenleck: 2019 wendet sich erstmals eine anonyme Quelle mit brisanten Informationen an das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) in Washington.

Das ICIJ ist ein Mitte der 1990er-Jahre entstandenes investigatives Medienprojekt, das nicht auf Gewinn ausgerichtet ist. Im Laufe der Jahre entwickelte sich daraus auch ein globales Netzwerk von nunmehr 280 investigativen Journalistinnen und Journalisten. Aus Österreich sind Stefan Melichar und Michael Nikbakhsh, die Autoren dieser Geschichte, ICIJ-Vollmitglieder.

Das Netzwerk hat in den vergangenen Jahren immer wieder für globale Aufmerksamkeit gesorgt, indem es die Praktiken der Finanzindustrie offenlegte: „Offshore Leaks“ 2013, „Swiss Leaks“ 2015, „Panama Papers“ 2016, „Paradise Papers“ 2017, „FinCenFiles2020.

Ein Datenschatz, 2,94 Terabyte groß

ICIJ hat Erfahrung im Umgang mit sensiblem Material und großen Datenmengen. Doch was die Quelle ab 2019 in mehreren Etappen übergibt, sprengt jede Dimension: 2,94 Terabyte, verteilt auf mehr als 11,9 Millionen Dateien. Tausende und Abertausende Namen, Verträge, Firmenpapiere, Protokolle, Urkunden, Datenblätter, Reisepasskopien, Korrespondenz, Kontoauszüge, Buchhaltung, Behördenschreiben, Adresslisten, Kalendereinträge, E-Mails und das in zahlreichen Sprachen, darunter Englisch, Spanisch, Russisch, Griechisch, Mandarin, Koreanisch, auch Deutsch. Die ältesten Dokumente sind aus dem Jahr 1971, die mit der letzten Tranche übergebenen jüngsten Dokumente aus dem Jahr 2020.

Es handelt sich um die vertraulichen Geschäftsunterlagen von gleich 14 international tätigen Anwaltskanzleien und Treuhandgesellschaften, die sich auf das Offshore-Geschäft spezialisiert haben, also die Einrichtung und die Verwaltung von „shell companies“ in Steueroasen. Die Namen der Kanzleien und Agenturen dürften in Österreich nur einer kleinen Öffentlichkeit bekannt sein: so zum Beispiel Trident Trust mit Zentrale auf den Britischen Jungferninseln, ein global tätiger Finanzdienstleister mit rund 900 Beschäftigten; die panamaische Anwaltskanzlei Alemán, Cordero, Galindo & Lee, die zu den führenden Offshore-Beratern der Region zählt; die Treuhandgesellschaft Asiaciti Trust mit Sitz in Singapur; die zypriotische Anwaltskanzlei Demetrios A. Demetriades LLC, kurz DADLAW, die viel russisches Geld betreut. Die vollständige Auflistung der 14 betroffenen Kanzleien und Agenturen sehen Sie hier.

Pandora Papers: Unter diesem gemeinsamen Projekttitel veröffentlicht profil zeitgleich mit rund 150 Tageszeitungen, Magazinen, TV-Sendern und Online-Plattformen rund um den Globus die Ergebnisse der größten journalistischen Zusammenarbeit der Geschichte.

Organisiert und orchestriert durch ICIJ arbeiteten sich mehr als 600 Journalistinnen und Journalisten fast zwei lang durch Millionen Pdfs, Word-Dokumente, Excel-Tabellen, Power-Point-Folien, Outlook-Dateien, Fotos, Audios und Videos.

In Österreich waren profil und der ORF an den Recherchen beteiligt, in Deutschland „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR, „Le Monde“ aus Frankreich, „El País“ aus Spanien, „L’Espresso“ aus Italien, BBC und „Guardian“ aus Großbritannien, SVT aus Schweden, „Aftenposten“ aus Norwegen, das osteuropäische Netzwerk OCCRP, die „Washington Post“ und der „Miami Herald“ aus den USA.

Tausende Milliarden US-Dollar

Offshore-Services: Das ist ein weltumspannendes Geschäft, das mehrere Berufsgruppen einschließt. Rechtsanwälte, professionelle Treuhänder, Wirtschaftsprüfer, Steuer- und Finanzberater, Banker. Sie arbeiten einander zu, geeint durch ein gemeinsames Ziel: Den Besitz zahlungskräftiger Klientel verschwinden zu lassen. Hinter Schleiern aus Strohleuten, Scheinadressen, Zweckgesellschaften, vertraglichen Beziehungen, Bankgeschäften. Unsichtbar für Steuer- und Strafverfolgungsbehörden, Feinde, Freunde, Gläubiger, Geschäfts- und Ehepartner, die eigene Sippe, die Öffentlichkeit. Die Liste der Motive ist lang, die der Möglichkeiten auch.

Unternehmensbeteiligungen, Immobilien, Grund, Privatjets, Jachten, Gemälde, Edelmetalle: Wie viel Vermögen tatsächlich in Gegenden wie den Britischen Jungferninseln, den Cayman Islands, den Seychellen, Belize, Samoa und zunehmend auch diversen US-Bundesstaaten geparkt ist, weiß niemand so genau.

Die Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network wagt eine Annäherung: So sollen irgendwo zwischen 21.000 und 32.000 Milliarden US-Dollar – das sind auch im Euro zwölf Nullen – offshore liegen sein. Wodurch den von Steuerflucht betroffenen Staaten jährlich Einnahmen in einer Höhe von fast 430 Milliarden US-Dollar entgehen sollen. Wie gesagt, eine Annäherung.

Natürlich ist nicht jeder Cent, der in Geldspeichern mit Adressen an sonnigen Orten liegt, auch gleich unversteuert. Und dass jemand eine Immobilie kauft, die dann einer Limited gehört, die einer anderen Limited gehört, die jeweils ein Postfach in Belize, ein Bankkonto in Liechtenstein und ein paar Direktoren auf Zypern haben, ist für sich genommen auch kein Beleg für Geldwäsche.

Aber die Frage, wie Geld reiste und warum, verspricht zumeist eine Geschichte voller Abenteuer.

Die Pandora Papers sind voll mit diesen Geschichten.

Château Bigaud mit seinen fünf Schlafzimmern, einem Billardzimmer und eigenem Kino ist ein Juwel von einer Villa im malerischen südfranzösischen Örtchen Mougins nahe Cannes, wo Pablo Picasso die letzten zwölf Jahre seines Lebens verbrachte. Auch der frühere Bawag-Chef Helmut Elsner hatte in Mougins einst seinen Alterssitz eingerichtet.

2009 verzauberte di französische Riviera einen Mann, der damals bereits sehr viel Geld, wenn auch noch keine erkennbare politische Ambition hatte: Andrej Babiš. Nach Recherchen der am Projekt beteiligten tschechischen Kolleginnen und Kollegen von investigace.cz war der Unternehmer ab Juli 2009 Klient der panamaischen Anwaltskanzlei Alemán, Cordero, Galindo & Lee, kurz Alcogal.

Alcogal errichtete noch 2009 zwei Babiš zuzurechnende „Shell companies“: eine Blakey Finance Ltd. mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln (BVI) und eine Boyne Holding LLC mit Sitz in Washington DC. Dazu kamen zwei weiteren Firmen mit Adresse in Monaco, eine SCP Bigaud und eine SCP Porte des Iles. Laut den ausgewerteten Unterlagen ließ Babiš nach 2009 insgesamt 15 Millionen Euro auf die Reise schicken: Das Geld wanderte von den Britischen Jungferninseln nach Washington und von da nach Monaco. Damit wurden neben Château Bigaud nach und nach 15 weitere Liegenschaften in Mougins, 9,4 Hektar insgesamt, aufgekauft.

2011 trat Babiš in die Politik ein, mit seiner Partei ANO (Tschechisch für „Ja“) errang er rasch Erfolge, Anfang 2014 wurde er Finanzminister, ehe die Koalitionsregierung nach Steuerbetrugsvorwürfen gegen Babiš wieder zerbrach. Bei der Wahl 2017 wurde ANO die stärkste Kraft, Babiš Ministerpräsident.

Laut den Recherchen von investigace.cz hätte Babiš bei seinem Amtsantritt als Finanzminister Tschechiens den damaligen Offshore-Besitz (dieser hat sich zwischenzeitlich wieder verschoben) offenlegen müssen, was aber nie geschah.

ICIJ und seine Partner übermittelten dem Büro des Ministerpräsidenten vor Tagen eine ausführliche Anfrage, die unbeantwortet blieb.

Am 29. September gab Babiš eine Pressekonferenz in Prag – gemeinsam mit Ungarns Premier Viktor Orbán. Zu dieser waren auch Medien des ICIJ-Netzwerks akkreditiert, darunter investigace.cz, NDR und „Le Monde“. Doch ihnen wurde der Zutritt verwehrt, wie auch anderen Journalistinnen und Journalisten, 19 an der Zahl. Angeblich gab es nicht genügend Platz. Den beteiligten Medien liegt mittlerweile die Akkreditierungsliste vor. Die Namen der auszuschließenden Medienvertreter waren vorab mit „red flags“ versehen worden.

Bei Alcogal wollte man sich auf ICIJ-Anfrage nicht zu dem langjährigen Kunden Andrej Babiš äußern. Die panamaische Anwaltskanzlei legt aber Wert auf die Feststellung, dass „alle Gesetze in den Ländern, in denen wir tätig sind, ordnungsgemäß eingehalten“ würden, darüber hinaus biete man auch „keine Steuerberatung“ an.

Volodymyr Zelensky ist seit Mai 2019 Präsident der Ukraine. Der ehemalige Schauspieler und Filmproduzent konnte nicht zuletzt auf eine Welle des Zorns gegen die politische Elite des zerrissenen und von Korruption gebeutelten Landes ins Amt reiten. Nun zeigen die Pandora Papers, dass Zelensky und einige seiner Vertrauten zumindest ab 2012 Offshore-Firmen eingerichtet hatten.

Laut Recherchen des Investigativnetzwerks OCCRP übertrug Zelensky später – und zwar knapp bevor er gewählt wurde – seinen Anteil an einer Offshorefirma auf den BVI an einen Geschäftspartner. Nicht nur, dass dieser bald darauf einer seiner wichtigsten Berater als Präsident wurde. Auch soll eine Konstruktion geschaffen worden sein, über die weiter Dividendenzahlungen flossen – an eine Firma, die nun Zelenskys Frau gehört. Ein Sprecher des Präsidenten wollte keinen Kommentar abgeben.

Guillermo Lasso, seit heuer amtierender Präsident Ecuadors und gelernter Banker, nutzte ebenfalls die Dienste Alcogals, um 2017 Vermögen von einem panamaischen Stiftung zu Treuhandgesellschaften nach South Dakota zu verschieben, wobei auch die Großbanken Morgan Stanley und JPMorgen Chase eine Rolle spielten. Der US-Bundesstaat South Dakota hat dank seiner überaus vermögensfreundlichen Fiskalpolitik in den vergangenen Jahren viel verdecktes Geld angezogen, das gilt auch für ein Dutzend weiterer US-Bundesstaaten wie Delaware, Nevada und Alaska – längst sind die Vereinigten Staaten einer der wichtigsten Player im internationalen Offshore-Geschäft.

Aus den von den ICIJ-Partnern ausgewerteten Kontounterlagen geht übrigens auch hervor, dass Guillermo Lasso gegenüber seinen Hausbanken keine Adresse in Ecuador, sondern die eines Bürogebäudes in Florida angegeben hatte.

Alcogal wollte sich auf Anfrage einmal mehr nicht äußern.

Abdullah II, König von Jordanien: Er ließ mit Hilfe seiner Berater zwischen 1995 und 2017 zumindest 36 Briefkastenfirmen aufsetzen. Damit wurden unter anderem 14 Luxus-Immobilien im Gegenwert von 106 Millionen US-Dollar – aktuell rund 91 Millionen Euro – erworben. 2017 zum Beispiel kaufte eine Company des Königs mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln eine 22 Millionen US-Dollar teure Liegenschaft in Kalifornien. Auch daran war Alcogal beteiligt. Aus E-Mails geht hervor, dass der Namen des Königs um jeden Preis herausgehalten werden musste. Die interne Chiffre lautete: „Du weißt, wer“ („You know who“).

Die britischen Anwälte des Königs erklärten auf Anfrage von ICIJ, dass dieser nach jordanischem Recht keine Steuern zahle und er aus Gründen der Sicherheit und der Privatsphäre Eigentum in Offshore-Gesellschaften halte. Der König habe nie öffentliche Gelder missbraucht. Die Anwälte legen Wert auf die Feststellung, dass die meisten der von ICIJ identifizierten Firmen und Immobilien entweder keine Verbindung zum König hätten oder nicht mehr existierten, wenngleich sie keine Einzelheiten nennen.

2017 wechselte eine Romanstone International Ltd. mit Adresse auf den Britischen Jungferninseln für 8,8 Millionen US-Dollar diskret die Besitzer. Daran hing wiederum ein stilvolles viktorianisches Haus in London. Die Pandora Papers erlauben den Blick hinter die Fassade. Nach Recherchen des britischen „Guardian“ stand auf der Verkäuferseite die Familie des Bahrainer Industrie- und Tourimusministers Zayed bin Rashid al-Zayani – und auf der Käuferseite die Eheleute Cherie und Tony Blair; sie Rechtsanwältin, er früherer britischer Labour-Premier (1997 bis 2007). Dadurch, dass auf dem Papier eine Firma verkauft wurde und keine Immobilie, sparten die Blairs nach Berechnungen des „Guardian“ – völlig legal – rund 300.000 Pfund oder 350.000 Euro Grunderwerbsteuer.

Auf Anfrage des Recherche-Netzwerks teilte Cherie Blair mit, dass ihr Ehemann nicht in die Transaktion involviert gewesen sei und sie auch nicht die Eigentümerin der (mittlerweile liquidierten) BVI company werden wollte. Der Verkauf der Firma (und nicht der Immobilie allein) sei aber eine Bedingung des Verkäufers gewesen. Ein Anwalt der Familie al-Zayani wiederum erklärte, dass man stets allen gesetzlichen Erfordernissen in Großbritannien entsprochen habe.

Paulo Guedes, Brasiliens Wirtschaftsminister im Kabinett Bolsonaro, bediente sich ebenso der Dienste von Offshore-Agenten wie der amtierende libanesische Premier Nadschib Miqati und sein Vorgänger Hassan Diab.

Unter den mehr als 130 Milliardären finden sich drei Dutzend russische Oligarchen, von denen einige beste Verbindungen zu Wladimir Putin (und wenig überraschend auch nach Österreich) unterhalten. Unter den Kunden der Offshore-Berater war unter anderem das Familienmitglied einer Kreml-treuen russischen Politikerin, der über eine Zweckgesellschaft in Großbritannien zwischendurch zum Eigentümer einer elf Millionen Euro teuren Wohnung in der Wiener Innenstadt wurde. Dazu zu einem späteren Zeitpunkt mehr.

Viel Diskretion für wenig Geld

Die Errichtung und der Betrieb einer Offshore-Firma ist weder besonders kostspielig, noch aufwendig. Die Errichtung kostet nur einige tausend US-Dollar, ohne dass dafür ein Flugzeug bestiegen werden müsste. Das geht heute alles digital. Für die Verwaltung einer solchen Struktur verrechnen die Offshore-Dienstleister je nach Ausstattung und Arbeitsfall jährlich einige hundert bis einige tausend US-Dollar.

In diesem Spiel sind es gerade bestens vernetzte Rechtsanwälte, deren Rolle alles andere als unproblematisch ist. Am Beispiel von Baker McKenzie, der größten Anwaltskanzlei der USA, zugleich die Klammer für einen weltweit tätigen Juristenverbund.

Anwälte von Baker McKenzie haben sich als kundige und einflussreiche Berater von Regierungen international einen Namen gemacht, rund um die Welt tragen Gesetze mit Bezug zur Finanzwirtschaft ihre Handschrift. Zugleich berät aber Baker McKenzie auch Leute, die mit diesen Gesetzen in Konflikt geraten. In den Pandora Papers finden sich unter anderem Belege dafür, dass Baker McKenzie den später vom Weg abgekommenen malaysischen Geschäftsmann Jho Low dabei unterstützte, ein dichtes Netz aus Briefkastenfirmen in Hong Kong und Malaysia aufzuziehen. Jho Low ist flüchtig. Er soll als Berater des malaysischen Staatsfonds 1MDB im Verdacht an den Veruntreuung von mehr als 4,5 Milliarden US-Dollar beteiligt gewesen sein.

Ein Sprecher von Baker McKenzie wollte sich auf Anfrage der beteiligten Medien nicht zu Details äußern: Anwaltsgeheimnis. Er legt Wert auf die Feststellung, dass die Kanzlei ihre Klienten ausnahmslos in legalen rechtlichen und steuerrechtlichen Belangen berate. Zugleich würden im Vorfeld einer Geschäftsbeziehung strenge Background-Checks vorgenommen.

Die Rolle der Banken

Neben den Beratern spielen Banken die zweite zentrale Rolle im Offshore-Geschäft. Ohne Banken und Konten ließe sich all das Vermögen nicht rund um den Globus bewegen. Dass dabei auch schmutziges Geld unterwegs ist, dokumentiert eine weitere ICIJ-Recherche, an welcher profil und ORF beteiligt waren: Das im September 2020 veröffentlichte Projekt FinCEN Files, das insgesamt rund 2000 Geldwäscheverdachtsmeldungen US-amerikanischer Banken in Zusammenhang mit rund 200.000 fragwürdigen Geldtransfers behandelte.

Wenngleich die Pandora Papers das Innenverhältnis zwischen vermögenden Kunden und ihren Treuhändern beschreiben, so sind die Banken auch in dieser Datensammlung stets präsent, so auch österreichische. profil wird die vielschichtige Rolle hiesiger Kreditinstitute in den Papers zu einem späteren Zeitpunkt gesondert beleuchten.

Die Spuren nach Österreich

Wie darf man sich die Arbeit mit einer 2,94 Terabyte großen Datensammlung vorstellen? Ehe die Recherchen anlaufen konnten, hatte ICIJ die geleakten Dokumente mit großen Aufwand in eine Datenbank gespielt. Ab da konnten die beteiligten Medien mittels Suchbegriffen nach Inhalten suchen. Ein langwieriger Prozess, der über die laufende Verfeinerung von Suchparametern führt. Man fängt geografisch an.

Das grobe Schlagwort „Austria“ lieferte gleich einmal fast 34.500 Treffer, „Österreich“ beziehungsweise „Oesterreich“ noch einmal fast 1000; „Wien“ beziehungsweise „Vienna“ brachten ihrerseits rund 16.000 Treffer, bei den großen Landeshauptstädten kamen jeweils mehrere hundert Hits zusammen, selbst „St. Pölten“ brachte noch 16 Treffer (wenngleich sich hier alle Dokumente auf eine einzige Person beziehen. Einen Kaufmann mit Lebensmittelpunkt in St. Pölten, der sich bei der Treuhandgesellschaft mit dem programmatischen Namen „All About Offshore“ vor einiger Zeit eine Firma auf den Seychellen besorgt hat).

Viele der Suchergebnisse waren für eine Recherche unbrauchbar, andere redundant.

So hatte beispielsweise eine der von dem Leak betroffenen Treuhandgesellschaften über viele Jahre Konten bei einer österreichischen Landes-Hypothekenbank: Fidelity Corporate Services, gegründet 2005 von zwei lettischen Rechtsanwälten, mit Adressen auf den British Virgin Islands, Belize, Gibraltar, Seychellen und Lettland. In den Pandora Papers finden sich hunderte kleine Rechnungen an Fidelity-Kunden in aller Welt, selten mehr als ein paar hundert US-Dollar oder Euro. Verrechnet wurden Gebühren, die beim Betrieb einer Briefkastenfirma anfallen, zahlbar auf die Konten bei der österreichischen Bank. Wir werden dazu noch gesondert berichten.

Selbstredend haben die beteiligten JournalistInnen im Zuge der Pandora-Recherchen alle wesentlichen österreichischen Banken abgefragt. Auch hier gehen die Treffer in die Tausende. Das ist keine Überraschung – einige österreichische Banken hatten in der Vergangenheit sehr viel Geschäft mit Kunden aus Zentral- und Osteuropa, die sich wie selbstverständlich ihrer Shell companies bedienten, um Geschäfte abzuwickeln oder Vermögen zu transferieren. In Österreich bestanden bis vor ein paar Jahren tausende und tausende Bankkonten von Offshore-Firmen, viele davon bei der Raiffeisen Bank International und der mittlerweile kollabierten Meinl Bank. Siehe dazu auch frühere Recherchen von profil, etwa zum Fall „Ukio Leaks“.

Die Raiffeisen Bank International hat stets betont, allen gesetzlichen Erfordernissen und Sorgfaltspflichten entsprochen zu haben; das Offshore-Geschäft wurde in den vergangenen Jahren auch nach und nach zurückgefahren.

Zugleich war die Raiffeisen Bank International auch die Korrespondenzbank einer Vielzahl kleinerer Banken rund um die Welt, die ihrerseits in den Pandora Papers genannt werden. So kommen zahlreiche Suchergebnisse zusammen, die aber für sich noch keine Geschichte erzählen.

Im Zuge der Recherchen fragten profil und ORF nach und nach Hunderte prominente Personen ab, so genannte PEPs, das steht im Englischen für „politisch exponierte Personen“. Aktive und ehemalige Regierungsmitglieder, Abgeordnete, Funktionäre, Spitzenbeamte, Diplomaten, CEOs, Unternehmer, Sportler und Promis aller Art, Männer und Frauen.

Am Ende blieben rund 160 ÖsterreicherInnen übrig, die im Laufe der Zeit die Services von Offshore-Agenten in Anspruch genommen haben – es sind keine aktiven oder ehemaligen PolitikerInnen darunter. Dafür aber einige sehr interessante Unternehmerpersönlichkeiten.

  • Die Privatstiftung des Wiener Investors und Milliardärs Martin Schlaff stand in Geschäftsbeziehung mit einer zypriotischen Briefkastenfirma, die von der Kanzlei DADLAW betreut wurde – dies ausgerechnet in Zusammenhang mit einem Immobilienprojekt in Montenegro, bei dem die staatliche Abbaufirma der Kärntner „Hypo Alpe Adria“ auf rund 30 Millionen Euro verzichtet hat.
  • Ein weiterer Milliardär mit Lebensmittelpunkt in Niederösterreich nutzte die Dienste der Kanzlei Alcogal, um in Panama eine Firma zu gründen — darüber berichten wir gesondert.
  • Ein mittlerweile in der Schweiz lebender Österreicher, sein Name taucht im Eurofighter-Skandal an prominenter Stelle auf, beschaffte sich mit Hilfe der Treuhandgesellschaft Trident Trust 2018 eine Firmenadresse auf den Britischen Jungferninseln.
  • Ein Salzburger Unternehmer bediente sich der Agentur Asiaciti in Singapur, um eine Firmenbeteiligung in einen Offshore-„Trust“ zu verschieben – darüber berichten wir gesondert.
  • Ein Wiener Rechtsanwalt unterhielt geschäftliche Verbindungen zu Trident Trust auf den Britischen Jungferninseln. Er agierte dabei im Auftrag russischer Klienten – auch darüber berichten wir gesondert.
  • Auch die Firma eines Kärntner Finanzinvestors hatte geschäftliche Kontakte zu Trident Trust.
  • Ein bekannter Vorarlberger Unternehmer, dessen Industrie-Gruppe weltweit exportiert, taucht wiederum in Dokumenten der panamaischen Anwaltskanzlei Alcogal auf – in Zusammenhang mit der Gründung einer lokalen „Sociedad anónima“.
  • Ein Hotelier in Kärnten brachte sein Hotel vor einigen Jahren via Trident Trust in eine Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln ein. In einem Kundendatenblatt aus dem Jahr 2017 wird der Wert mit acht Millionen Euro angegeben.
  • Ein früherer Betriebsrat eines großen österreichischen Unternehmens ließ über SFM Corporate Services mit Adressen in der Schweiz und den Vereinigten Arabischen Emirate eine Firma in Belize errichten.

Da kommt noch mehr

Die Verbindungen der Offshore-Berater nach Österreich entstanden schon vor langer Zeit. In den Pandora Papers findet sich unter anderem auch ein Schimmelbrief der Kanzlei Demetrios A. Demetriades aus dem Jahr 1997. Die Juristen aus Zypern planten damals eine mehrtägige Österreich-Reise, deren augenscheinlicher Zweck es war, bei möglichst vielen RechtsanwältInnen in Österreich vorstellig zu werden, um für Zypern zu werben. Die österreichischen Kanzleien waren nicht zufällig ausgewählt – man konzentrierte sich offenbar auf Anwälte, die russische Kunden betreuten.

Was die Offshore-Spezialisten aus Zypern den österreichischen Kollegen zu erzählen hatten?

Laut Brief: Demetrios A. Demetriades habe einen guten Namen und viel Erfahrung bei der Behandlung von Doppelbesteuerungsthemen zwischen Russland und Zypern – und man unterhalte gute Kontakte zu den zypriotischen Behörden und zur russischen Botschaft in Nikosia.

Dieses Projekt steht erst an seinem Anfang, in den kommenden Tagen und Wochen folgen weitere Veröffentlichungen. Pandoras Büchse ist bekanntlich tief. Und hält für manchen noch einiges an Ungemach bereit.

Die Recherchen unserer Projektpartner finden Sie hier.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.