Die Verteidigungspolitik der FPÖ: Pazifisten-Populisten
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und mit Herbert Kickl an der Spitze hat die FPÖ ihre Verteidigungspolitik gewandelt. Nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte.
Auch ein Landeshauptmann kommt herum, aber in seiner Funktion als Verteidigungsminister war Mario Kunasek in den Machtzentren der Welt unterwegs. Immer begleitet von der Pressestelle des Bundesheers, die die Botschaften des Freiheitlichen für die Nachwelt festhielt. Zum Beispiel im März 2018 bei Kunaseks Antrittsbesuch in Brüssel: „Wir werden uns wie bewährt an den EU-Einsätzen beteiligen“, sagte Kunasek damals. „Genauso unterstützen wir eine enge Kooperation zwischen EU und NATO – selbstverständlich immer unter Berücksichtigung der Verpflichtungen, die sich aus der österreichischen Neutralität ergeben.“ Im April 2019 besuchte Kunasek das Pentagon in Washington. „Zweck der Reise ist es, den verteidigungspolitischen Dialog zwischen Österreich und den USA wiederzubeleben und neue Ausbildungskooperationen zu beschließen“, hielt das Ministerium fest.
Heute sitzt Mario Kunasek als Landeschef in Graz, oberster Befehlshaber der FPÖ ist Bundesparteiobmann Herbert Kickl. In seiner „Festung Österreich“ gibt es nur Platz für eine sehr strikte Form der Neutralität: Das Land darf sich nicht einmal politisch bei Konflikten auf eine Seite stellen, aus gemeinsamen außen- und verteidigungspolitischen Diskussionen in der EU soll sich Österreich zurückziehen. In den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP forderte die FPÖ das Ende der USA-Kooperation, die ausgerechnet Kunasek bei seiner Reise angestoßen hatte, um die „immerwährende Neutralität“ zu schützen. Auslandseinsätze seien nur mit einem UN-Mandat möglich. Die Partei wehrt sich sogar gegen Nachrüstungen im Heer wie beim Luftabwehrschirm „Sky Shield“, wenn sie durch internationale Projekte entstehen. Das freiheitliche Argument dagegen ist auch hier: die Neutralität. Stattdessen warnt die FPÖ vor den angeblichen Kriegstreibern in der Bundesregierung und in Brüssel und vor österreichischen Soldaten in der Ukraine: „Unsere Kinder kriegt ihr nicht!“
Die Freiheitlichen setzen verstärkt auf Pazifismus und interpretieren die Neutralität für sich um. Die Frage ist nur: Warum?
In der Vergangenheit hat sich die Partei sicherheitspolitisch schon mehrmals neu erfunden, manchmal sogar ohne Vorwarnung. Zum Beispiel am 13. September 1990 um 11.18 Uhr. Österreich steckte damals mitten im Nationalratswahlkampf, als eine Eilt-Meldung der Austria Presse Agentur die FPÖ und die gesamte Öffentlichkeit überraschte. Jörg Haider, damals Parteichef, aber nicht Spitzenkandidat, hatte am Vorabend bei einem Vortrag in München die Neutralität infrage gestellt. „Nach der politischen Neuordnung Osteuropas müsse der Stellenwert der Neutralität neu diskutiert werden“, zitierte ihn die Agentur. Österreich könne es sich nicht leisten, in einem vereinigten Europa eine Insel zu sein.
Friedhelm Frischenschlager kann sich noch gut daran erinnern, er war damals live dabei. Seine Amtszeit als Verteidigungsminister war zu dem Zeitpunkt schon beendet, er saß für die FPÖ im Parlament. „Ich war ja immer neutralitätsskeptisch, aber der damalige Spitzenkandidat Norbert Gugerbauer war entsetzt über Haiders Aussagen.“ Wie es dazu kam? „Damals war die Stimmung eine andere. Der Ost-West-Konflikt neigte sich dem Ende zu, es gab eine gewisse Europa-Euphorie“, glaubt Frischenschlager. Und Haider wollte eben von dem gesellschaftlichen Wandel profitieren.
Später forderte er sogar einen NATO-Beitritt, dann wandte sich aber die FPÖ immer weiter der Neutralität zu, bis sie sich 2011 in ihrem Programm klar dazu bekannte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Frischenschlager die Partei ohnehin schon längst verlassen und das Liberale Forum gegründet. „Ein Zickzack-Kurs, um die Wählerklientel abzuholen“, nennt er die verteidigungspolitische Vergangenheit der FPÖ.
Was denken die Wählerinnen und Wähler der Freiheitlichen heute? Jemand, der es wissen muss, ist Franz Eder. Der Politikwissenschafter von der Uni Innsbruck ist Teil eines Forschungsteams zu Sicherheitsthemen. Eine homogene Masse ist die blaue Wählerschaft nicht, allein schon dadurch, dass sie so groß ist. Wählerinnen und Wähler von Rechtsparteien sind aber grundsätzlich patriotischer und haben einen höheren Wehrwillen. „Sie sind eher dazu bereit, die Souveränität des eigenen Staates zu verteidigen“, sagt Eder. Unter den Befragten der Studie gaben 48 Prozent derjenigen, die sich rechts der Mitte verorten, an, bei einem Angriff selbst einen militärischen Beitrag zur Landesverteidigung leisten zu wollen. Bei denjenigen, die sich links einordnen, sind es nur 29 Prozent.
Der Treppenwitz ist: Gerade kleine Staaten profitieren von internationalen Netzwerken und Institutionen, denn dadurch erhalten sie viel mehr Mitsprache und Schutz.
Franz Eder
Uni Innsbruck
Gleichzeitig schüren Rechtspopulisten Misstrauen gegenüber der Regierung und einem angeblichen System. „Und wir wissen aus unserer Forschung: Wer der Regierung und den Institutionen nicht vertraut, hat wenig Interesse, sie mit der Waffe zu verteidigen. Das ist ein Spannungsfeld.“ Die Wehrbereitschaft ist auch von anderen Faktoren abhängig: Ein niedriger formaler Bildungsgrad und ein geringeres Einkommen mindern grundsätzlich die Bereitschaft, das eigene Land mit der Waffe zu verteidigen. Die FPÖ muss also sehr verschiedene Positionen mit ihrer Sicherheitspolitik bedienen.
Schutzfaktor Neutralität?
Grundsätzlich ist eine knappe Mehrheit der Meinung, dass die Neutralität vor einem Angriff schützt. Nur bei Menschen, die sich politisch rechts verorten, ist das anders: 38 Prozent glauben an den Schutzfaktor Neutralität. Danach gefragt, ob sie für die Beibehaltung der aktuellen Form der Neutralität sind, die die Solidarität mit der EU in außen- und sicherheitspolitischen Fragen vorsieht, war diese politische Zielgruppe am skeptischsten. Nur 47 Prozent von ihnen sprachen sich für die Beibehaltung aus. Bei links ausgerichteten Befragten waren es hingegen 67 Prozent. Während der Forschungsarbeit beobachtete Experte Eder, dass sich viele Menschen zurückziehen wollen. „Sie möchten ihre Ruhe haben und wollen nicht Gefahr laufen, durch internationale Kooperationen noch mehr Krisen ausgesetzt zu sein. Darauf setzt die FPÖ stark.“
Taktisch mache das durchaus Sinn, sicherheitspolitisch nicht, findet Eder: „Der Treppenwitz ist: Gerade kleine Staaten profitieren von internationalen Netzwerken und Institutionen, denn dadurch erhalten sie viel mehr Mitsprache und Schutz.“ Verteidigungspolitisch stärker zusammenzuarbeiten, sei ein völlig rationaler Trend in Europa. Aber das passe nicht in das Weltbild der FPÖ. „Wenn man sich davon zurückzieht, ist das auch aus sicherheitspolitischer Sicht problematisch. Transnationale Probleme kann man nicht national lösen.“
ÖVP und SPÖ vermeiden allerdings eine Debatte darüber, wie die Neutralität definiert und ausgestaltet sein soll. „Sie haben Angst, das Thema anzugreifen“, sagt Eder. „Dabei könnte man auch die Meinungen mit inhaltlichen Argumenten formen und einen politischen Diskurs starten.“
Auch Frischenschlager findet: „Diese alte Denkweise, dass eine nationale Verteidigung ohne Europa reicht und möglich ist, passt in das Bild einer Festung Österreich.“ Sie sei aber nicht realistisch. Nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine seien internationale Kooperationen wichtiger denn je.
So, wie sie auch Kunasek als Verteidigungsminister angekündigt hatte.
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.