Durch eine Fensterscheibe sieht man Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos telefonieren
Wahlkampfzonen, Teil 4

Wahlkampfzone Neos: Bunker-Meetings und Background-Checks

Neos-Manager Douglas Hoyos führt durch die Parteizentrale in Wien, lässt profil an einer Wahlkampf-Session teilnehmen und hält eine pinke „Schilling-Affäre“ für unwahrscheinlich.

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Douglas Hoyos, den alle „Duxi“ nennen, hat nicht viel Zeit. In fünf Minuten muss der Generalsekretär der Neos schon zum Parteimeeting, das in Wahlkampfzeiten besonders wichtig ist. Aber eines will er davor noch loswerden. Es geht um die Causa Prima, um die grüne EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling, deren charakterliche Eignung seit Wochen Dauerthema ist. Hoyos übt zwar keine Kritik an der missglückten grünen Krisenkommunikation, eine kleine Spitze kann er sich aber nicht verkneifen. Die Neos wären besser für eine Affäre dieser Art gewappnet gewesen, sagt Hoyos: „Wir führen bei all unseren Spitzenkandidaten Background-Checks durch.“ Den musste auch der pinke EU-Listenerste und frühere Journalist Helmut Brandstätter über sich ergehen lassen. Teil davon: Fragen nach allfälligen früheren Führerscheinabnahmen, etwa wegen Trunkenheit. Etwaige Unterlassungserklärungen hätte Brandstätter der Partei vorab vorlegen müssen.

Seit November lautet die neue Arbeitsadresse der Neos Am Heumarkt 7 (Dritter Wiener Bezirk), nur drei Minuten entfernt von der U-Bahnstation Stadtpark. Von außen ist nicht erkennbar, dass hier auf zwei Stockwerken die Neos Bundeszentrale, die Wiener Partei, Unos und Junos angekommen sind. Ein Schild soll dafür noch geliefert und an der Außenfassade angebracht werden.

Mann mit pinker Kappe und Stoffsackerl betritt die Parteizentrale

Hoyos’ Büro ist im ersten Stock der „Neosphäre", wie die Neos ihre Parteizentrale nennen, angesiedelt. Offiziell teilt er sich den Raum mit „der Beate“ (Meinl-Reisinger, Parteichefin). Tatsächlich ist sie aber nur einmal die Woche da. Denn ihr primärer Arbeitsplatz ist im Parlamentsklub.

Im „Situation Room“

Genug geplaudert. Hoyos eilt in den Keller. Denn dort, „im Bunker“, wie er scherzhaft sagt, befindet sich der „Situation Room“ – und damit auch der einzige Raum in der gesamten Zentrale ohne pinke Akzente. Hier trifft sich die Parteiführung mit den Abteilungsleitern täglich. Der Generalsekretär startet um 8 Uhr 30 mit den Vorbereitungen. Wer nur digital dabei sein kann, und das kommt oft vor, wird an die Wand projiziert. Das Meeting könne man sich „wie eine Redaktionssitzung vorstellen“, sagt Hoyos. Heute wird hier etwa die laufende Kampagne für die EU-Wahl diskutiert.

Der u-förmige Tisch ist bereits voll besetzt, die darüber schwebenden Lampen schauen aus wie UFOs. Thema sind unter anderem die aktuellen Umfragen. Die Pinken stehen gerade bei acht Prozent, wie die Grünen. Die Zahlen erwähnt der Generalsekretär nur kurz, sie könnten morgen „wieder ganz anders sein“. Rechts von ihm sitzt Claudia (Jäger) – Nikola („Nick“) Donig (Leitung Strategische Kommunikation) und Lukas Sustala (Politischer Direktor) sitzen an seiner Linken. „Ein zweistelliges Ergebnis mit einem Einser vorne“, erinnert Hoyos an das Ziel bei der kommenden Nationalratswahl. „Wir werden oft gefragt, mit wem wir koalieren wollen“, erzählt Julian Steiner später. „Die Frage muss man der ÖVP und SPÖ stellen: Sind sie bereit, in diesem Land was weiterzubringen, anstatt sich in eine Koalition mit der FPÖ zu flüchten, nur weil es angenehmer ist“, so der Pressesprecher von Beate Meinl-Reisinger.

Bringen sich die Neos für eine Dreierkoalition ins Spiel?

Auf dem Küchenregal stehen Nudeln, Öl und Gewürze

Die Gemeinschaftsküche im Ferienunterkunfts-Stil

Hier wird gemeinsam gekocht (Nudeln und Pesto sind griffbereit ...), aber auch gefeiert (... und jede Menge Bier eingegekühlt).

Der Neos-Schrein

Claudia Jäger ist Bundesgeschäftsführerin der Neos. Diese Rolle übernahm sie 2023, davor war sie Klubdirektorin im Parlament, noch früher im Rathaus. „Die zwei, drei Wochen vor der Wahl sind die wichtigsten“, sagt die 54-Jährige, „du musst verliebt in die Leute sein und energisch bleiben.“ Vor der Nationalratswahl 2019 habe sie jede U-Bahn-Fahrt für Gespräche genutzt.

Zwar ziehen sich pinke Farbkleckse durch die gesamte Innenarchitektur, doch der bunteste Raum ist eindeutig Jägers Büro. Auf dem Kasten hinter ihrem weißen Schreibtisch hat sie so etwas wie einen EU-Schrein aufgebaut. Neben der blauen Fahne mit zwölf Sternen, liest man Slogans wie „Wer weist Orban in die Schranken?“ und „Die Nationalisten gehen am 9. Juni wählen.“ 

Wahlgeschenke mit EU-Motiv: Wasserflasche, Springschnur, Sticker
Eingerahmtes Kunstwerk aus Asche

Wenn die Neos ein Kunstwerk wären, dann würde es so aussehen, wie das düstere und abstrakte Bild, das in Jägers Büro hängt. Gemalt wurde es vom Hotelier und Nun-doch-wieder-Neos-Kandidaten Sepp Schellhorn, der dafür die Asche verbrannter Kopien von Brandschutzüberprüfungen oder Lebensmittelkontrollen verwendete – ein Ausdruck seines Ärgers über die österreichische Bürokratie.

Überregulierung ist bekanntlich eines der Lieblingsthemen der Neos.

Jägers Zimmer ist ein Museum pinker Parteigeschichte. „Ich bin eine Sammlerin“, sagt Jäger. Beleg dafür sind die Polaroids von ehemaligen Wahlhelfer:innen, alle Neos-Plakate, die es jemals gab, sowie alte und neue Wahlgeschenke, die ihren Arbeitsplatz schmücken. 

Bildung, Inserate, Sicherheit – zu unpopulär?

Was macht es mit einer Partei, die seit über zehn Jahren mitgestalten will, noch nie Teil einer Regierung gewesen zu sein? 

Wahlkampfzonen

Das profil-Digitalteam besucht im Zuge des Superwahljahrs die Parteizentralen von ÖVP, SPÖ, Neos und KPÖ. FPÖ, die Grünen und die Bierpartei wollten an der Reportagen-Serie nicht teilnehmen. 

„Was nicht ist, das kann noch werden“, lautet die Devise von Generalsekretär Hoyos. „Wir haben die letzten Jahre vor allem eins gemacht: Uns darauf vorzubereiten“, pflichtet ihm Julian Steiner bei. Aus Sicht des Pressemanns sind die Pinken besser gerüstet als die Grünen, aber auch besser als die Salzburger Neos, die „von Null auf Hundert“ in die Regierung sprang und bei den letzten Gemeinderatswahlen einen Drittel ihrer Wähler:innen in der Landeshauptstadt verlor. In Salzburg mussten die Neos mit ihrer glücklosen Landesrätin Andrea Klambauer lernen, dass es schwierig sein kann, Regierungs- und Parteiarbeit unter einen Hut zu bekommen. 

Aber auch in Wien hat Neos-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr keine leichte Aufgabe: „Christoph Wiederkehr muss pro Monat hunderte geflüchtete Schüler in Schulklassen unterbringen, die teilweise noch nie in einer Schule waren. In anderen Ländern ist das System zusammengebrochen, aber in Wien hat er es geschafft“, hält Steiner der anhaltenden Kritik entgegen. Ähnlich wie die Grünen im Bund müssen die Neos in Wien mit einem machterprobten Koalitionspartner fertig werden. „Es ist ein Bohren von sehr, sehr, sehr harten Brettern“, sagt Steiner zur Zusammenarbeit mit der SPÖ Wien. Als Erfolg führt er die Umstimmung der SPÖ in der Debatte um die Wohnsitzauflage für Asylberechtigte an, die von den Neos seit 2016 gefordert wird. Weniger erfolgreich waren die Pinken mit dem Versprechen, die traditionell üppigen Inseratenbudgets der Stadt Wien nach objektiven Kriterien zu vergeben. Das Vorhaben steht zwar im rot-pinken Arbeitsübereinkommen, lässt aber noch auf sich warten.

„Was nicht ist, das kann noch werden.“

Generalsekretär Douglas Hoyos

Über die Chancen seiner Partei auf einen Regierungssitz

Als liberale Partei haben die Neos einige Forderungen im Angebot, die in Österreich nicht mehrheitsfähig sind: Etwa den Wunsch nach einer Anhebung des Pensionsantrittsalters. „Wir sind eine Partei, die auch die Herausforderungen anspricht. Wir wollen dieses Land verändern und dafür braucht es dringend Reformen“, sagt Generalsekretär Hoyos dazu. „Ich sehe keine Reformwillen bei der ÖVP, keinen bei der SPÖ, und bei den Grünen haben wir in der letzten Regierung auch gesehen, dass keine Reformen stattfinden.“

Dem würde die türkis-grüne Regierung sicher heftig widersprechen und beispielsweise die Abschaffung der kalten Progression ins Treffen führen. Doch diese Maßnahme werten die Neos als ihren eigenen Erfolg, schließlich hätten sie das Thema jahrelang kampagnisiert. Vor zehn Jahren sei das noch „kein Thema“ gewesen.

Hoyos, der auch Sicherheitssprecher ist, lobt zwar auch die Entscheidung zum gemeinsamen Luftabwehrsystem Sky Shield, es sei jedoch „schade“, dass Österreich noch immer keine Nationale Sicherheitsstrategie habe. Immerhin finde derzeit ein hybrider Krieg statt. Es brauche „schleunigst“ eine gemeinsame europäische Armee, denn: „Wir sind nicht safe“, sagt er, „und jeder der das behauptet, lügt.“ Neutralität heiße „nicht gleich Pazifismus“. 

Und wenn es sich wieder nicht ausgeht mit der Regierungsbeteiligung? „Die Neos können, egal in welcher Rolle, Reformen anstoßen und Dinge weiterbringen“, resümiert Hoyos.

Vom Trinkgeld bis zur Wurstsemmel

Zumindest einer hat schon gewonnen: Der Marketing-Chef. Gleich zwei Tennis-Pokale holte er bei den „NEOS Open 2023“. Ein paar Türen weiter, in der Abteilung „Field Campaign“ für Wählermobilisation, sind etwa drei der fünf Schreibtische besetzt. Nach dem EU-Wahlkampf ist ein fließender Übergang in den nächsten geplant: Für die Nationalratswahl sollen geschätzt 50 Vollzeitäquivalente mobilisieren, manche borgt man sich aus dem Parlamentsklub aus, gelobt allerdings sie supersauber aus dem Parteibudget zu bezahlen.

Tennis-Pokale von der "NEOS Open 2023" vor einem Bücherstapel
Mitarbeiter in der Neos-Zentrale

Jede Ein- und Ausgabe aus der Parteikasse – „selbst für eine Wurstsemmel“, wie Hoyos betont, ist übrigens online nachzulesen. „Wir können nicht volle Transparenz einmahnen, und die nicht selber leben“, sagt er. So kann jeder nachschauen, dass bei einer Taxifahrt ein Euro Trinkgeld überwiesen wurde oder die Miete für die Parteizentrale am Heumarkt 13.917,24 Euro im Monat beträgt. Zum Teil wird der Betrag aber auch von der Wiener Partei, der Wirtschaftskammer-Fraktion Unos (Unternehmerisches Österreich) und Junos (Junge liberale Neos) bezahlt.

Es ist schon spät am Nachmittag, viele Schreibtische unbesetzt. Die meisten Mitarbeiter seien auf der Straße, um für die EU-Wahl zu werben. Über diesen Stichtag hinaus stehen auf der auf einer riesigen White Board gezeichneten Agenda keine Einträge. Zwei Termine sind in Großbuchstaben auf dem Kalender hinter den „Field Campaignern“ eingetragen: PRIDE (am 8. Juni) und EUROPAWAHL (9. Juni).

Steckbrief

Superkraft: „Sagen wir seit Jahren“-Attitüde

Erwartung: Kritik an andere Parteien selbst umsetzen

Gefahr: Nach über zehn Jahren wirkt das „Neue Österreich“ (kurz: Neos) nicht mehr ganz so frisch. Gut möglich, dass die Partei weiter die Oppositionsbank drücken muss, obwohl sie seit Anfang an in die Regierung will

Tipp: Wer Hoyos‘ Schritttempo hält, braucht kein zusätzliches Workout

Spitzenkandidaten: Beate Meinl-Reisinger, Stephanie Krisper, Sepp Schellhorn – Background-Check inklusive

Veränderung zu 2019: Keine, bei der Nationalratswahl 2019 erreichten die Neos 8,1 Prozent

Wahlkampfbudget: „Transparente“ 3,1 Millionen

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.